Sprachniveau

Glosse zum Thema Sprache/ Sprachen

von  loslosch

Caeci sunt oculi, cum animus alias res agit (Publilius Syrus, 1. Jh. v. Chr.; Sententiae). Die Augen sind blind, wenn der Geist anderes im Visier hat.

Eine sehr wohlwollende Übersetzung. Wikipedia transformiert streng: Die Augen sind blind, wenn der Geist andere Dinge macht. Publilius Syrus, der freigelassene ehemalige Sklave, hinterließ eine Reihe griffiger Ideen mit Latein-gemäß knapper Diktion. Manches wurde im Mittelalter beigemischt, so dass die Autorschaft nicht immer gesichert ist.

Diese knappe Sentenz ist ein Muster für eine eher schlichte, anspruchslose Aussage mit schonungsloser Umsetzung in Gegenwartssprache. Besser gefiele (als Variante) z. B. "in Gedanken vertieft sieht man weniger". (In Gedanken vertieft heißt, allzu wörtlich übersetzt, mente captus, so viel wie „durch den Verstand gefangen“, „verrückt“.) Die Aussage würde nuancenreicher ("weniger" statt "blind") ausfallen, und die Deutungsvielfalt würde sogar erweitert.

Bisweilen gewinnt man den Eindruck, dass die Übersetzungen der Nachgeborenen den Urtext subtiler, differenzierter betrachten, als das zeitgenössische Ausdrucksvermögen zu leisten im Stande war.

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Kommentare zu diesem Text


 Bergmann (07.03.12)
Gehört "Liebe macht blind" oder sogar "Liebe geht durch den Magen" auch zu dieser Kategorie?
ttU

 loslosch meinte dazu am 07.03.12:
das erste: ja, wenn auch pointiert und gewollt undifferenziert. das zweite: nein. das scheint mir eher der spruch eines praktikers mit weit geöffneten augen. t.t. lo

 Bergmann antwortete darauf am 07.03.12:
Danke! Mille gratias! Ich bin nicht blind für dein Urteil und ganz bei dir.
ttU

 ViktorVanHynthersin (07.03.12)
Entgegen der weitverbreiteten Meinung, scheint die heutige "Sprachnivea" doch nicht alles nur zu vereinfachen, sondern auch zu glätten und zu differenzieren.
Herzlichst
Viktor

 loslosch schrieb daraufhin am 07.03.12:
was denkst du, viktor, wie oft ich den kleinen text überarbeitet habe, um ja nicht in die falsche kategorie zu geraten? allein das wort "Autorschaft" spricht bände ... lothar

 Didi.Costaire (07.03.12)
Die erste (freie) Übersetzung bekommt durch das Visier einen militärischen Bezug. Dann ist knapp vorbei auch daneben.
Ziviles Leben hat mehr Niveau und mehr Möglichkeiten.
Schöne Grüße, Dirk

 loslosch äußerte darauf am 07.03.12:
dirk, das visier entstammt dem "ritterlichen" mittelalter mit dem "gnadenstoß" (beim rädern). das war eine heroische zeit. lothar

 EkkehartMittelberg (07.03.12)
Lothar, mir gefallen die tradtionelle und deine moderne Übersetzung. Die traditionelle bleibt näher am Bild des Originals.
Das Beispiel eignet sich aber gut, um daran generelle Probleme des Übersetzens zu zeigen.

 loslosch ergänzte dazu am 07.03.12:
aus einer lebenden sprache adäquat zu übersetzen ist schon schwer genug. ein guter trick wäre, den lateinischen text in der mittelalterlichen übersetzung zu kontrollieren und dann in die aktuelle sprache zu transformieren. t.t. lothar
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