Neulich am Wald

Kurzgeschichte zum Thema Mystik

von  ZAlfred


Nach der Autobahnabfahrt rechts, dann bis zum Wegweiser Höllbach, am Wegweiser nach rechts, durch Höllbach, der Kreisstraße durch zwei Waldstücke folgen, geradeaus bis Gubendorf. In Gubendorf die dritte links, Am Löschteich Hausnummer 5.

Die Wegbeschreibung war eindeutig. Höllbach lag hinter mir, das erste Waldstück auch, als nach einer scharfen Linkskurve das Motorgeräusch verstummte. Mit dem letzten Schwung lenkte ich den Wagen auf die Bankette und beendete das Ausrollen unter einem Alleebaum.

Einen saftigen Fluch unterdrückend stieg ich aus und öffnete die Haube. Der Motor sah aus wie immer. Kein Qualm, der mir entgegenschlug, keine Flüssigkeiten, die aus porösen Schläuchen oder Dichtungen quollen, kein ungewöhnlicher Geruch, keine verschmorten Kabel ...

»Das war's dann wohl.« Hörte ich eine belustigte Stimme in meinem Rücken. »Der wird so schnell nicht wieder.«

Das brauchte ich jetzt so nötig wie einen Kropf in Handschellen, ein rechthaberisches Weib, eine Klugscheißerin als Publikum. Ich fuhr herum, um ihr mit wohlgesetzten Worten zu verdeutlichen, wohin sie sich scheren könne.

Ein keckes Augenpaar, das zu einer Blondine in einem weißen Trägerkleid gehörte, empfing mich. Sein blassblaues Schmunzeln fand auf tiefrotgeschminkten Lippen eine entzückende Fortsetzung. Mir blieb der angedachte, ungesagte Satz im Halse stecken. Wäre mir die Kinnlade auf die Brust gefallen, es hätte mich nicht verwundert. In meiner Verwirrung ließ ich sie wortlos stehen und ging kopfschüttelnd nach hinten, um mein Telefon aus dem Fond zu holen.

Warum überraschte es mich nicht, den Schlüssel im Zündschloss und die Türen verriegelt zu finden? Murphys Law: Wenn erst mal etwas schief gegangen ist, dann läuft auch alles andere schief.

»Wer wird denn gleich in die Luft gehen?«, sprach sie mit sanfter Stimme und griff nach meinem Arm. »Komm mit, Du musst auf andere Gedanken kommen. Es gibt nichts, das so eilig wäre, dass es nicht auch noch ein wenig warten könnte.«

Sie führte mich von der Straße weg zum Waldrand. Als hätte sie mich an dieser Stelle längst erwartet, lag dort eine rotweiß gewürfelte Decke, mit einem Picknickkorb, zwei Bechern und Tellern darauf, im moosigen Gras ausgebreitet.

Wir saßen uns gegenüber, aßen und tranken einträchtig schweigend. Danach räumte sie die Überreste zurück in den Korb und streckte sich auf der Decke lang aus. Sie schürzte den Rock ein wenig, streifte die Träger von den blassen Schultern und schloss die Augen. Sonnenflecken und die Schatten der Blätter verbanden sich zu einem unregelmäßigen Muster auf ihrem Kleid.

Ich tat es ihr nach, legte mich auf den Rücken und lauschte dem Specht, dessen typisches Hämmern tief im Gehölz erklang. Ich sog den würzigen Duft von modrigem Waldboden, vermengt mit Waldmeister und Sonnenlicht, durch die weit geöffneten Nüstern und spürte eine warme Hand sanft und zielstrebig an meinem Oberschenkel.

Als ich die Augen öffnete, konnten nur wenige Momente vergangen sein. Ich lag im Gras. Decke und Picknickkorb waren fort, das weiße Kleid und die Frau darin auch. Achselzuckend erhob ich mich und ging zum Wagen, der natürlich nicht verschlossen war und auf die erste Schlüsseldrehung tadellos startete.

Minuten später sah ich vor dem Haus Am Löschteich Nummer 5 in das gesunde, rotwangige Gesicht eines echten Dorfgendarms alten Schlages.

»Da sind Sie ja ... Endlich!«

Aufgeregt und ungeduldig ging er vor mir her in ein puristisch, beinahe klinisch gestaltetes, weißgefliestes Wohnzimmer, mit weißen Wänden, weißen Lackmöbeln - bar jeglicher Dekorationen.

»Da liegt sie, Herr Kommissar.« Er wies in den Garten.

Auf einer rotweiß gewürfelten Decke sah ich sie liegen. Mir stockte der Atem. Ein Déjà-vu! Die Träger des weißen Kleides von den Schultern gerutscht, bleiche Haut, blondes Haar, tiefrotgeschminkte Lippen und leere Augen. ... und die Sonne malte fröhliche Kringel auf ihr Kleid und das verblühte Gesicht.


© 2012 by ZAlfred

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (29.04.21)
Solide. rechtschreibsicher und flüssig formuliert, bin aber kein Freund von "Schlusspointen".
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