Du hast mich nicht gefragt

Text zum Thema Wut

von  Seelensprache

Es ist einer dieser Tage, die ich allzu gern vergessen würde. Ich schaue mich um. Es ist als stünde überall dein Name. In dicken Lettern überall. Auf den Blumenkübeln, den leeren Bierflaschen und ausgedrückten Zigaretten. An der giftgrünen Tapete, den abgrebannten Kerzen und in dunkelgrauen Fugen. Ich wende mich ab und schaue westwärts aus dem Fenster hinaus. In die letzten Sonnenstrahlen, die an der Scheibe brechen, frisst sich dein Gesicht. Es lächelt. Ich nehme einen Scheit Holz aus dem Korb neben dem Ofen. Die Scheibe bricht und dicke Risse ziehen sich nun bis hinab an den Rahmen. Ich schlucke. Du bleibst. Aus kleinen Mosaiken dringen Augen, Mund und Nase. Ich drehe dir den Rücken zu. Gelenke werden zu Stein und brechen. Momente huschen über das dicke, mürbe Holz des Wohnzimmertischs, der mächtig inmitten des Raums trohnt. Erinnerungen purzeln daran herunter, fallen und zerbrechen. Gedanken hängen sich an Lampenschirmen auf und baumeln daran. Ich sitze darunter, auf den kalten Fließen und blicke hinauf. Ich starre. Tick, tack, tick, tack, tick, tack, tick, tack. Zeit vergeht. Gesehntes fällt in sich zusammen und regnet wie Asche auf mich hinab. Ich lasse meinen Kopf in meine Hände fallen und verharre. Nach einer Weile ziehe ich ein Bild aus der hinteren Tasche meiner Hose. Es ist verknittert. Es ist von dir und von mir als wir noch nicht in diesen Kategorien dachten, als "du" und "ich" noch "wir", als "mein" und "dein" noch "unser" war. Wir lachen. Wir lachten. Wir haben gelacht. Wir hatten gelacht. Ich zünde ein Streichholz und lausche wie es einen Funken fängt. In der Flamme, die sich durch das Papier frisst, verschwindet ein "wir" und das Lachen, das uns einst getragen hat. Ende.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (18.09.22, 23:07)
Depri-Stimmung in einer renovierungsbedürftigen Wohnung.
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