Alleingang

Kurzprosa zum Thema Alleinsein

von  tulpenrot

Noch habe ich keine Erdbeeren für nächstes Jahr eingefroren. Sie wachsen weit hinten auf dem Feld. Ich wandere heute Abend neben den Eisenbahnschienen, umflattert von diesen Dorfvögeln, die emsig in jedem Gebüsch schwatzen. Auch im Holunder. Seine Blüten riechen fein säuerlich.

Ich machte damals ein Bild von dir neben den Holunderblüten, und ein zweites und weitere. Hochformat und Querformat, Nahaufnahmen und Totale. Vielleicht waren es schöne Bilder. Für mich vielleicht. Damit ich immer wüsste, wie du aussiehst. Ich wollte gerüstet sein für den kommenden Sommer, wenn es heiß würde. Holundersekt schmeckt so erfrischend.

Mohnblüten sollte man nicht pflücken. Sie verwelken. In meinem Haar hielten sie sich eine halbe Stunde. Mein Haar, der Mohn. Drei Bilder. Dein Haar war dünn geworden.

Angesichts des Mohns und der Spatzen und der Holunderblüten schwiegst du. Das war fast wie Winter mitten im Frühsommer. Das Korn begann zu reifen. So zartgrün und gerade stand es da. Es litt an den dunklen Wolken am Horizont. Der Mohn dagegen leuchtete noch kräftiger rot. Und du hattest kein Wort dafür.

Unsere Hände sind nun leer. Es schmerzen die Finger, die Arme, die Schultern vom Tragen und Halten und Zupacken, vom täglichen Einerlei. Jeder trägt seine Last.

Wann haben wir vergessen zu lachen? Vielleicht damals, als du ein Monument aufgebaut hattest. Mitten in die Landschaft. Ein Baum mit kahlen Ästen war es, als ob er mit nackten Armen ratlos suchend sich zum Himmel streckt. Die Zweige hattest du abgeschnitten. Er trägt nun keine Frucht mehr und lebt nicht mehr. Damals wird es gewesen sein.

Ich möchte heute nicht an ihm vorbeigehen, sondern in der Ferne vor ihm stehen bleiben. Einfach nur das. Davor stehen, nicht dahinter. Ich möchte nicht mehr dahinter kommen. Er gehört dir. Allein.

Heute habe ich keinen Korb dabei. Aber morgen früh werde ich Erdbeeren pflücken und Holunderblüten und ihren Duft besingen.

aus: "gestern heute morgen" 2012

Illustration zum Text
Mohnblüten
(von tulpenrot)
Illustration zum Text
Baummonument
(von tulpenrot)

Anmerkung von tulpenrot:

Einer Landschaft einen Text untergeschoben

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Kommentare zu diesem Text

Jonathan (59)
(09.06.12)
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 tulpenrot meinte dazu am 10.06.12:
Nu jammer ma nicht! Sind deine Texte besser? Immerhin fällt dir hierzu ein Kommentar ein, während ich schweigend und sprachlos vor deinen Monumenten stehe
tulpi
Jonathan (59) antwortete darauf am 11.06.12:
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 tulpenrot schrieb daraufhin am 24.06.12:
Hab aber inzwischen doch was geschrieben. Ob genial oder nicht, es steht jedenfalls was da.

 AZU20 (10.06.12)
Sehr schön geschrieben, wenn auch sehr traurig. LG

 tulpenrot äußerte darauf am 10.06.12:
Blöderweise fallen mir eher solch traurige Texte ein - aber immerhin war er dir ein Sternchen wert - DANKE und
LG Angelika
drhumoriscausa (60)
(20.11.12)
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 tulpenrot ergänzte dazu am 20.11.12:
Es ist ein Phantasietext - hat also keinen realen Anlass. Die Szene, die ich beschreibe, gab es nicht. Sie hätte aber so sein können.
Nicht weit von meiner Wohnung gibt es eine weite Landschaft, mit Büschen, Baumreihen (Obst), Wiesen mit Mohn, Maisfelder (für die Biogasanlage hier) und ein Erdbeerfeld. Ich gehe dort viel spazieren und habe auch Erdbeeren gepflückt. Das Baummonument stammt von einem eigenwilligen Künstler, der den nur teilweise gefällten Baum so "drapiert" hat. Das wirkt halb natürlicherweise verfallen, halb "künstlich" so hingestellt. Als ich diese Skulptur das erste Mal sah, war ich verwirrt - was ist "echt", was ist einfach so geworden? Diese Unsicherheit ist wohl auch intendiert. Ich müsste den Künstler mal fragen - er hat auch vor seinem hinfälligen Wohn-Haus einen mächtigen Baumtorso stehen.
Das alles ist also real.
Und dann hab ich eine etwas melancholische Szene da reingewoben. Einfach so aus dem Hemdsärmel....
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