Verloren, in Chinas Wäldern

Text zum Thema Zuneigung

von  Bella

Dieser Raum war nicht dein und auch nicht mein Zuhause. Aber für kurze Zeit fühlte ich es: Er könnte es gerade sein. Von außen betrachtet, saßen wir hier völlig verloren. Doch solange wir beide da waren, und auch in den Minuten, nachdem du schon gegangen warst, fühlte ich mich umfangen von ihm, in potentieller Wärme. Vielleicht aber war es nur der ganze Wein.

Wo ich mit dir bin, fühl' ich mich nicht fremd. Aber Zuhause, das suchst du irgendwo in China. Und ich im Wald.
Wir sind uns so ähnlich, siehst du.

Heute Nacht. Da fielen so viele sehnsuchtsvolle, fast traurige Worte aus deinem Mund. Dir fehle der Antrieb, die Begeisterung, etwas zu ändern, überhaupt etwas in deinem Leben zu erreichen. Ja, deshalb fallen deine Worte einfach aus dir heraus. Und immer wieder fange ich sie auf und stecke sie in mein Herz, so gut es geht. Es wird kaum schwerer dadurch, es piekst nur ein bisschen. Wenn du wüsstest, wie viele Worte ich schon eingesammelt habe! Auch die bösen. Ich nehme sie alle mit. Aus manchen werde ich Bäume pflanzen, wenn ich Zuhause bin. Einige von ihnen werden groß und bedrohlich vor mir stehen, weil du mich mit ihnen ärgern oder kränken wolltest. Dann werde ich mich an ihre Stämme lehnen und fühlen. Denn ich selber habe sie gepflanzt, nachdem du meine Ängste mit einer großen Taschenlampe überrascht hast.

Genaugenommen war es eine fröhliche Nacht. Wir beide lachten viel, tranken und schlugen in Gedanken Purzelbäume. Solange unsre Träume nicht gelebt sind, sind sie gleich. Was macht es, wenn ich nicht über all deine Witze lachen kann? Ich sehe deine Augen und deinen frohen Mund. Als unsre Hände sich kurz berührten, auf der Suche nach der Weinflasche, hätte ich fast gezittert. Aber nein, es gibt keine Schmetterlinge in meinem Bauch, die sind alle in China, oder im Wald. Nur diese Überraschung plötzlicher Nähe, die mich an unsrer beider Lebenslust erinnert, bringt mich immer wieder aus jedem Konzept.

Deine Konzepte dagegen schwanken nicht. Ich sehe sie nur manchmal in deinem lachenden Gesicht wackeln, aber das ist nichts objektiv Wahrnehmbares. Es gibt viele Gründe, aber keinen Beweis. So wie damals, als sich die ganze Welt um uns drehte und wir endlich Kopf an Kopf eingeschlafen sind. Doch vorher hatten wir uns die Köpfe mit der geteilten Flasche Wodka weggesoffen. Existierten sie dann überhaupt noch? Und warum fing die Welt sich erst so spät an zu drehen, wenn sie doch nie still gestanden hatte?

Heute Nacht haben wir uns wieder sorgfältig umkreist und in Sehnsucht die ganze Welt verdreht.

Werde ich dabei zu dir hingezogen, fühlt es sich an, als wollte ich dir immer wieder ein und dieselbe Frage stellen. Manchmal schüchtern, ab und zu frech. Ich kann sie selbst nicht formulieren, mal fehlt mir das Gefühl, mal vergesse ich, wie man Fragen überhaupt bildet. Konzentriere mich auf das Grammatikalische und sehe an der Bedeutung von Wörtern vorbei. Diese ist zu groß, um wahr genommen zu werden. Oder zu dünn, wie ein viel zu langer Faden. Man kann nur umfangen werden von ihr, und dann ist es schon zu spät für den Satzbau. Alles verwickelt.

Und doch, ich will dich gar nichts fragen, nur alles von dir wissen. Alles. Und wenn es wieder und wieder das Gleiche ist. Der fehlende Antrieb, die weit verlegten Träume.

Jetzt sitze ich noch mit der leeren Flasche im Raum und wundere mich. Und in meinen Gedanken tanzen wir in Chinas Wäldern. Jeder verloren. Jeder wild lachend. Jeder für sich. Dann, endlich, streifen sich unsere Hände nicht.

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Kommentare zu diesem Text


 Sternenpferd (02.09.12)
letzter absatz . den finde ich am stärksten.

den titel übrigends "genial" :)

lg m.
(Kommentar korrigiert am 02.09.2012)

 Bella meinte dazu am 03.09.12:
Vielen Dank, Marcus! :)

 Dieter_Rotmund (25.06.20)
Manieriert formulierte Nabelschau mit China-Bezug.
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