The importance of being earnest*

Sonett zum Thema Lebensbetrachtung

von  EkkehartMittelberg

Dieser Text ist Teil der Serie  Sonette auf berühmte Dichter und Philosophen
Der Hochmut tänzelt leicht durch deine Werke,
du Dandy, geistreich und auf Ruhm versessen.
Umwittert von Skandalen, unvergessen;
zu provozieren, das war deine Stärke.

Das Bildnis Gray’s war Spiegel deiner Sünden,
die upper class vergab dem Spötter nicht,
ein Lord im Zorne zog dich vor Gericht,
um Sodom und Gomorrha zu ergründen.

Dein Künstler-Leben war ihm einerlei,
verzweifelt „de profundis“ klingt dein Flehen,
Komödien, Maskenspiele längst vorbei.

Vom Vatikan spät rehabilitiert:
Wer reuig umkehrt, wird vor Gott bestehen.
Verengt, wer über Gnade räsonniert?!**

© Ekkehart Mittelberg, Juni 2012


Anmerkung von EkkehartMittelberg:

* Diese Komödie kritisiert die englische Oberschicht, ohne sie grundsätzlich in Frage zu stellen. Sie gilt allgemein als die beste von Oscar Wilde (1854 -1900).
* * Vers 7 Oscar Wilde hatte ein homosexuelles Verhältnis mit Lord Alfred Douglas. Dessen Vater, der Marquess von Queensberry, gab den Anstoß, dass Wilde 1895 zu zwei Jahren Zuchthaus mit schwerer Zwangsarbeit verurteilt wurde
Vers 10 Ein Brief von 50 000 Wörtern, den Oscar Wilde im Zuchthaus an Alfred Douglas schrieb.
Vers 12 „Anfang 2007 nahm der Vatikan in einer Anthologie Provokationen: Aphorismen für ein anti-konformistisches Christentum Oscar Wilde in die Ehrenliste von Autoren auf.“ (Wikipedia: Oscar Wilde und Welt Online, 10. Juni 2012. Die katholische Kirche rehabilitiert Oscar Wilde)

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Kommentare zu diesem Text


 loslosch (12.06.12)
ich sinniere über VATILEAKS. hat ihn ein aufklärerischer bankmanager rehabilitiert? mein weltbild stürzt ein. t.t. lo

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.06.12:
Vielen Dank, Lothar. Du weißt doch, für reuige Sünder, die in der Öffentlichkeit Furore machten, öffnet die katholische Kirche ihren Schoß sehr weit. Da machen auch die Erzkonservativen mit.
magenta (65)
(12.06.12)
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 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 12.06.12:
Oscar Wilde gilt immer noch als einer der geistreichsten Aphoristiker, und seine Kunstmärchen zeigen die romantische Seite dieses Aufkärers. Schön, dass du darauf verwiesen hast, Heidrun.
"Ein Lord zog Sohnes Lover vor Gericht."
Du hast recht: Dieser Vers ist nicht optimal. Aber angesichts des wichtigen Inhalts ist es sehr schwierig, ihn zu korrigieren: Ausgerechnet Lord Douglas, dessen Sohn ein Verhältnis mit Wilde hat, bringt letzteren vors Gericht und verstößt seinen Sohn, um die "Schande" vom Adel fernzuhalten.
Vielleicht ist dies eine bessere Variante:
"Ein Lord, betroffen, zog dich vor Gericht."
Inhaltlich ist sie schwächer.
Was meinst du?
Vielen Dank für deinen Kommentar und herzliche Grüße
Ekki
BBA (45) schrieb daraufhin am 12.06.12:
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 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 12.06.12:
Lieber BBA, ich habe mir die dichterische Freiheit erlaubt, die drei Prozesse wegen „widernatürlicher Unzucht“ selektiv mit den Augen Wildes wahrzunehmen. Du hast recht, dass im ersten Prozess Wilde als Kläger auftrat, der Lord erst im zweiten und dritten.
Sieht man die Sache psychologisch, kann man wie ich zu dem Schluss gelangen, dass der Verursacher der gerichtlichen Auseinandersetzungen der Marquess war. Hatte dieser doch mit gezielter Provokation auf einer Visitenkarte Wilde als Päderasten beschuldigt, wobei er die Selbstsicherheit des Poeten richtig einschätzte und wohl auch, dass dieser ihn, den Lord, verklagen würde. Ein Prozess, bei dem der Lord gute Karten hatte, wohl wissend, dass er Belege und Zeugen finden würde, um in der Rolle des besorgten Vaters Wilde als den Verführer seines unschuldigen Sohnes darzustellen. Kurzum: Der Lord hatte bei dem ersten Prozess wenig zu fürchten und vielleicht sogar vorausgesehen, dass er bei einem zweiten und dritten obsiegen würde.

 loslosch ergänzte dazu am 12.06.12:
ist ja hoch komplex. der lord hat sich also gerächt. im england des 19. jhs. nach den umständen erstaunlich, dass wilde zunächst in die offensive gegangen war. mein vorschlag für v. 7: "Ein Lord im Zorne zog dich vor Gericht."

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.06.12:
Ich übernehme deinen Vorschlag gern, Lothar. Danke.

 AZU20 (12.06.12)
Schön geschrieben. Wer rehabilitiert die Kirche? LG

 loslosch meinte dazu am 12.06.12:
der war gut!

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.06.12:
Vielen Dank, Armin, die Kirche würde im Falle Wilde bestimmmt behaupten, sehr großherzig gehandelt zu haben.

 ViktorVanHynthersin (12.06.12)
Wilde war zu Lebzeiten eine schillernde Figur und wäre sie auch heute noch. Auf Anhieb fällt mir jedoch keine lebende Person ein, die es mit seinem Geist und Ego-Marketing aufnehmen kann. Dein Sonett, lieber Ekkehart, zeigt eindrucksvoll die Facetten des Künstlers und hebt ihn nicht unreflektiert auf den verdienten Sockel. Gelungen.
Herzlichst
Viktor

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.06.12:
Viktor, du hast ganz richtig erkannt, dass Wilde auch heute noch eine schillernde Figur wäre, weil er Fragen der Moral prinzipiell aus ästhetischer Perspektive sah.
Wenn man unter Geist die Fähigkeit zur Selbstironie und sublimer Satire versteht, ist es wirklich nicht leicht, jemanden unter den Lebenden zu finden, der es mit ihm aufnehmen könnte. Und das Ego-Marketing? Er wollte sein Leben als Kunstwerk gestalten und meinte, dass er damit sein geschriebenes Werk weit übertroffen habe. Um dem zuzustimmen, muss man einen sehr komplexen Begriff von Kunst haben
Vielen Dank und herzliche Grüße
Ekki
BBA (45)
(12.06.12)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.06.12:
Lieber BBA,
die katholische Kirche konnte Wilde ganz gelassen schneller rehabilitieren, denn er hatte sie durch seinen ausschweifenden Lebenswandel zwar provoziert, sich an seinem Lebenende aber zu ihr bekannt. Galileo jedoch erschütterte sie mit seiner Lehre in den Grundfesten. Ich will sie keineswegs entschuldigen. Man wird ihr die 350 Jahre währende Sturheit immer wieder berechtigt vorhalten.
Vielen Dank für deinen amüsanten Hinweis.
Herzliche Grüße
Ekki

 Didi.Costaire (12.06.12)
Hallo Ekki,
ernsthaft betrachtet wirkt dein Sonett ziemlich hingemurkelt und es bietet sich ein konfuses Bild.
Obwohl du sieben Reime mit zumeist einfachen Endungen benutzt, brichst du in V6 mit der Folge der weiblichen Kadenzen in den Quartetten. Du wechselst recht wild zwischen zweiter und dritter Person, zwischen Deutsch, ein bisschen Englisch und Latein. Am Ende (V11, 12 und 14) gibt es gar keine vollständigen Sätze mehr. Im Anschluss an das Gedicht ist eine ausführliche Erklärung nötig.
Vom leichten Tänzeln des Startverses bleibt leider nicht viel übrig.
Liebe Grüße, Dirk

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.06.12:
„Hingemurkelt“ habe ich es nicht, Dirk. Ich habe mir viel Mühe gegeben. Es gäbe das eine oder andere Argument zu
Gunsten meiner Formulierungen. Aber ich möchte nicht kritikresistent erscheinen. Lieber räume ich ein, dass ich deinen hohen Anforderungen diesmal nicht genügen konnte.
Ich weiß, dass du dich auch meldest, wenn mir etwas aus deiner Sicht besser gelungen ist.
Vielen Dank für deinen Klartext.
Liebe Grüße
Ekki

 loslosch meinte dazu am 12.06.12:
ich mach mal in noch kleinerer münze, dirk: dieses sonett hat laut zählmaschine 82 wörter, davon 20 verbformen und 3 hilfverben, ergibt 28%. das kann sich sehen lassen. problem auch, in ein enges 14er sonett genügend facts einfließen zu lassen, die dem dichtergenius einigermaßen gerecht werden können.

 Didi.Costaire meinte dazu am 13.06.12:
@ Ekki: Dass du Mühen investiert hast, glaube ich dir. Allerdings ist das Sonett auch etwas mühsam zu lesen. Das arg konstruierte "Sohnes Lover" zu ersetzen, ist schon mal eine Verbesserung.
@ Lothar: Eine interessante Betrachtungsweise, die Verben zu zählen. Es sind in der Tat viele davon enthalten, meistens in gebeugten Formen, dann wiederum dreimal die als Vollverb verwandte einfache Verbform "war", sogar direkt hintereinander in V4 und V5. Am Ende fehlen Verben und Hilfsverben, auch jeweils Formen von "sein", ganz.
(Antwort korrigiert am 13.06.2012)

 loslosch meinte dazu am 13.06.12:
ja, interessant, dirk. hab ich bei diesem herrn gelernt:  wolf schneider. guckst du?

ps: Verengt, wer über Gnade räsonniert?!

da ist gar nix weggelassen. sprachverknappung. steht für: "verengt derjenige, welcher ... " man kann es unvoreingenommenerweise sogar als elegant bezeichnen.
(Antwort korrigiert am 13.06.2012)
SigrunAl-Badri (52)
(12.06.12)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.06.12:
Vielen Dank, Sigrun, deine feinfühlige Charakterisierung Oscar Wildes kann ich nur bestätigen.
Bis zu seinem verlorenen Prozess war er wohl nicht innerlich zerrissen. Bis dahin war sein überheblich erscheinendes Verhalten eine Form der Selbstironie, die viele nicht verstanden.
Ich bin froh, dass du dieses Sonett mit seinem diffizilen inhaltlichen Thema so positiv würdigen konntest.
Liebe Grüße
Ekki

 Dieter Wal meinte dazu am 13.06.12:
@ Sigrun: Inwiefern scheiterte Wilde an seinem Perfektionismus?
SigrunAl-Badri (52) meinte dazu am 13.06.12:
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 Dieter Wal meinte dazu am 13.06.12:
Das meintest du. S o offen scheint er sie wieder nicht ausgelebt zu haben, sonst wäre der letzte Prozess nicht nötig gewesen.

Dass er in den Knast ging, interpretiere ich als freiwilliges, letztlich ästhetisches Martyrium. Er ließ sich zum Zeugnis seiner Liebe, die sich im Gegensatz der damaligen Gesellschaft befand, umbringen.

Ich nehme an, dazu könnte ihn die Kreuzigung Christi und die Hirams-Legende inspiriert haben. Letztlich dürfte nach dieser Lesart seine Verurteilung die Krönung seiner Lebenskunst gewesen sein. Starb Wilde auch für seinen Ästhetizismus? Vermute, dass ja.

Reine auf keine Dokumente gestützte These.
JowennaHolunder (59)
(13.06.12)
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 Dieter Wal (13.06.12)
The importance of being earnest*
Sonett zum Thema Lebensbetrachtung
von EkkehartMittelberg.


Der Hochmut tänzelt leicht durch deine Werke,
du Dandy, geistreich und auf Ruhm versessen.
Umwittert von Skandalen, unvergessen;
zu provozieren, das war deine Stärke.

Das Bildnis Gray’s war Spiegel deiner Sünden,
die upper class vergab dem Spötter nicht,
ein Lord im Zorne zog dich vor Gericht,
um Sodom und Gomorrha zu ergründen.

Dein Künstler-Leben war ihm einerlei,
verzweifelt „de profundis“ klingt dein Flehen,
Komödien, Maskenspiele längst vorbei.

Vom Vatikan spät rehabilitiert:
Wer reuig umkehrt, wird vor Gott bestehen.
Verengt, wer über Gnade räsonniert?!**

© Ekkehart Mittelberg, Juni 2012


Lieber Ekkehart,

begrüße deine Sonette, die sich wie Haushofers einem Literaten widmen.

Dieses halte ich für misslungen. Würde mich freuen, falls es mir gelingt, die Gründe meines Eindrucks nachvollziehbar darzulegen.

Das Sonett scheint sich aus dem Sprichwort "Hochmut kommt vor dem Fall" aufzubauen. Mir missfällt, wie selbstgerecht im Sonett dem Autor Hochmut bescheinigt wird.

Wilde war nicht elitär, er gehörte zur irisch-britischen Oberschicht. Einem derart empathischen Autor Hochmut vorzuwerfen, finde ich deplaziert.

Der Welt-Artikel zitiert aus dem Buch mit "brillante Intelligenz". Damit könnte ich bestens leben. Das trifft Wildes Schriftstellerei in kurzen Worten. "Hochmut" ist negativ wertend, stellt sich moralisch über den Bewerteten, wirkt damit wahrhaft selbst hochmütig.

Den Begriff "Sünde" halte ich im Zusammenhang ebenfalls für äußerst unglücklich gewählt, kommt nach der (in meinen Augen) falsch diagnostizierten "Hochmut" auch noch eine mutmaßlich christliche Morallehre hinzu. (Urteilt da ein frommer Katholik über anderer Homosexualität?)

Die mosaischen Geschichten um "Sodom und Gomorrha" in ihrer dunkelschillernden Leuchtkraft und gewaltiger erzählerischer Tiefe wie Dramatik auf Leumunds-Prozesse und Fragen schwulen Lebens zu reduzieren, vergewaltigt die Bibel in Pfützen und wird der Bibel so wenig wie historischen Ereignissen oder dem Thema der männlichen Homosexualität gerecht.

Ein Sonett über Wilde geschrieben zu haben, finde ich mutig, weil der Autor mit seinem makellosen Werk derart hoch steht, dass es, um nicht kläglich dagegen zu wirken, sprachlich mit Wildes Lyrik auf Augenhöhe stehen sollte und froschperspektivische Klippen umschiffen müsste. Beides definitiv nicht gegeben und daher umso couragierter.

Dass der Vatikan Wilde rehabilitiert hätte, wird zwar  behauptet (Springer-Presse ...), aber hält keiner Prüfung stand.

Immerhin wird er in einer Schrift zitiert, die katholisch sein möchte.

Dass Provokation Wildes Stärke war, simplifiziert zu sehr und bringt nicht zum Ausdruck, was Wildes Lyrik und Prosa großartig macht. Die Formulierung kehrt unter den Teppich. Vielleicht krankt dein Sonett einfach daran, dass es nicht aus Liebe und Bewunderung für Werk und Autor geschrieben wurde.

Wilde hätte der Gefängnishaft sich durch Flucht nach Frankreich entziehen können. Er ließ sich freiwillig einsperren und verrichtete in einer Tretmühle schwerste Sklavenarbeit, deren gesundheitliche Folgen ihn umbrachten.

Auch darin liegt alles andere als Hochmut.

Entdeckte durch die von Wildes Enkel Merlin Holland herausgegebenen Wilde-Briefe einen begnadeten Stilisten und herzlichen Brief-Verfasser. Wildes anonym herausgegebener Homosexuellen-Roman Teleny ist empfehlenswert.

Das ging gründlich daneben. Schreib ein neues!

Herzlich
Dieter
(Kommentar korrigiert am 13.06.2012)

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.06.12:
Lieber Dieter,
ich bleibe dabei, dass Oscar Wilde hochmütig war, weil er sich überschätzte. Er glaubte in seinen Werken die britische Oberschicht ungestraft lächerlich machen zu können und musste doch damit rechnen, dass sie seine damals illegale Homosexualität nutzen würde, um in Gestalt des Marchess Douglas zurückzuschlagen. Der Hochmut liegt auch darin, dass er die satirisch angegriffene upper class nicht wirklich beseitigen wollte; denn sie ermöglichte ihm ein Leben als Dandy. Wilde glaubte mit dem Leben spielen, es inszenieren zu können, aber er hat wie die Helden in der griechischen Tragödie die Macht des Schicksals unterschätzt, darin zeigt sich seine Hybris. Wilde hätte voraussehen können, dass er die Klage gegen den Marchess Douglas verlieren würde, dass er seine in London bekannte Homosexualität nicht erfolgreich würde leugnen können.

„Hochmut ist negativ wertend, stellt sich moralisch über den Bewerteten, wirkt damit wahrhaft selbst hochmütig.“ (Wal)
Für mich ist Hochmut nicht zwingend eine moralische Kategorie, sie stellt fest, dass jemand seine Kräfte nicht realistisch einschätzt.

„Brillante Intelligenz“ spreche ich Oscar Wilde nicht ab, ich nenne ihn „geistreich.“

„Das Bildnis Gray’s war Spiegel deiner Sünden“ (Aus meinem Sonett)
Ich denke, dass der Roman durchaus autobiografische Züge hat und nicht nur auf der ästhetischen Ebene zu verstehen ist. Der Text hat stets auch ein moralisches Substrat, denn das Bildnis Dorians altert nicht nur, es nimmt zunehmend abstoßende Züge an, die Folgen eines verwerflich ausschweifenden Lebens. Du liegst insoweit richtig, als das Ich und ÜberIch Oscar Wildes den Begriff Sünde für seine Lebensführung wohl abgelehnt hätten, aber aus seinem Unterbewusstsein müssen schon vor dem Zuchthaus andere Botschaften aufgestiegen sein, jene der Reue, die sich in „De Profundis“ und in „Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading“ manifestieren. Trat Wilde am Ende seines Lebens aus Angst und Feigheit zur römisch-katholischen Kirche über oder zog er eine Konsequenz aus Zweifeln, die ihn immer schon geplagt hatten? Diese Frage wird wohl nie einwandfrei zu lösen zu sein, in Fragen der Moral bleiben Wildes Leben und Werk ambivalent.
Die Ambivalenz seines Lebens und Werks spiegelt sich in dem folgenden Zitat:
„Die vermeintlich amoralische Tendenz des Werkes rief die viktorianischen Kritiker auf den Plan. Wilde konterte mit der Behauptung, es handle sich um ein zutiefst moralisches Buch. Die Bestrafung des vermessenen Sünders Dorian Gray am Ende legt zwar eine solche Interpretation nahe, doch muss man - grundsätzlich bei der Beurteilung von Wildes Leben und Werk - seinen beständigen Hang zu Selbstinszenierung und -ironisierung berücksichtigen. Die Geschichte ist im Grunde eine raffiniert getarnte Persiflage auf diverse literarische Zeitmoden, und in der Person Grays und seines Mentors Lord Henry karikiert der Autor eigene Wesenszüge.“ (www.besuche-oscar-wilde.de/biographie/bewegtes_leben.htm )

Die Zeilen
„ein Lord im Zorne zog dich vor Gericht,
um Sodom und Gomorrha zu ergründen“
hast du völlig missverstanden. „Sodom und Gomorrha“ ist doch die Perspektive des Lords, der Wilde vorgeworfen hatte sich wie ein Sondomite (Päderast) zu benehmen.

„Vielleicht krankt sein Sonett einfach daran, dass es nicht aus Liebe und Bewunderung für Werk und Autor geschrieben wurde.“ (Wal)
Doch, ich bewundere sein Werk genauso wie du, aber meine Bewunderung für sein Leben, das er als Kunstwerk gestalten wollte, eine Intention, die ihm noch wichtiger war, als sein Werk selbst, hält sich in Grenzen. Wir beurteilen Wildes Verhalten während des Prozesses unterschiedlich. Du meinst:
„Wilde hätte sich der Gefängnishaft durch Flucht nach Frankreich entziehen können. Er ließ sich freiwillig einsperren… .“
Ich denke, dass er, gelähmt vor Angst, seine Entschlusskraft verloren hatte. Hätte er ein freiwilliges Martyrium gesucht, so hätte er während des Prozesses nicht immer wieder versucht, seine homosexuellen Kontakte zu vertuschen.
Mein Sonett ist mehr auf Wildes Leben gerichtet als auf sein Werk, und in diesem Leben war Provokation zugleich Stärke und Schwäche, denn als Gestalter seines Lebenskunstwerks wollte er eine Kömödie leben und nicht eine Tragödie erleben. In der Tragödie wurde er wieder liebenswert und groß, aber das war nicht geplant, und du gibst in dem Kommentar zu SigrunAl-Badri auch zu, dass du deine Ansicht nicht belegen kannst.

Du meinst die Rehabilitierung durch den Vatikan lasse sich nicht belegen. Ich bin deinem Link nachgegangen und fühle mich vielmehr bestätigt als widerlegt.

Wie komme ich dazu, mein Sonett, das ambivalent ist wie Wilde selbst, zu löschen? Das kann ich auch gegenüber jenen nicht verantworten, die es empfohlen und favorisiert haben.

Herzliche Grüße
Ekki

 loslosch meinte dazu am 14.06.12:
mich interessiert, als nichtliteraturwissenschaftler, ein aspekt, das lob des vatikans. oder gab es keines? ich zitiere daher aus dem link von dieter:

Der Vatikan hat in einer neuen Anthologie "Provokationen: Aphorismen für ein anti-konformistisches Christentum" auch Wilde in die Ehrenliste der Autoren aufgenommen.

pater zapienza (weisheit heißt it. übrigens sapienza) aus der protokollabteilung des vatikans ist der herausgeber der anthologie.

lo ist vom stuhl gefallen.
AronManfeld (43)
(14.06.12)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.06.12:
Lieber Aron, Oscar war immer für Überraschungen gut. Was ihn angeht, bin ich mir fast in allem nicht ganz sicher.
ichbinelvis1951 (64)
(15.06.12)
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 loslosch meinte dazu am 15.06.12:
das ist doch die sicht des vatikans, klaus. ich vermute mal, dass ekki sie nicht teilt.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 15.06.12:
Lieber Klaus, danke für deine Frage. Lothar hat dir genau in meinem Sinne geantwortet. Der Vatikan würde nur bedingungslose und das heißt diskussionslose Reue akzeptieren.
Liebe Grüße
Ekki
ichbinelvis1951 (64) meinte dazu am 16.06.12:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 16.06.12:
Dieses Schweigen der Selbstgerechten, Klaus. Wir werden bestimmt nicht mehr erleben, dass es sich ändert.

 FloravonBistram (20.06.12)
Es tut fast schon weh, wenn ich diese ganze Murkelei mit Zählerei und Vergleicherei lese.
Versmaß hin und her, ich kenne unendlich viele Gedichte der hochverehrten Klassiker, die sehr oft nicht darauf achteten, ob Herr Hinz und Frau Kunz befriedigt über Versmaß, Trimeter, Tetrameter, Versfüße wie Pherekrateus; Phalaikeios, Asklepiadeus oder was auch immer in den Wogen der Dichtkünste versanken.
Nach wie vor sind die Gedichte bekannt geworden, die etwas aussagen oder das Herz klingen lassen.

Ekki, ich habe nichts auszusetzen, aber ich bin auch nicht kompetent für Macharten, sondern lebe Gefühl. Ich sehe im Vordergrund den Menschen, dem Du eine kleine Hommage schriebst. Einem Menschen, der mit seinen Texten Menschen berührte und erreichte. Danke
Flo
janna (66) meinte dazu am 20.06.12:
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 FloravonBistram meinte dazu am 20.06.12:
Ja Janna, das kann ich nachvollziehen, doch ich kann nur für mein Empfinden sprechen.
Die Sonette sind ohnehin Kunstgebilde, die selten leicht wirken. Es gibt nur Wenige, bei denen sich die Sonette wie gleichmäßig sanft fließende Wasser lesen.
Doch mich persönlich stören gewisse Unebenheiten nicht.
Ich möchte damit auch nicht die Kritiker verdammen, jeder kann doch nur aus seinem Schreib-Gefühl heraus schreiben.
:-) lg Flo

Natürlich lese ich die fließenden Texte auch lieber. Klaro
(Antwort korrigiert am 20.06.2012)

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 21.06.12:
Liebe Flora, liebe Janna,
ich danke euch beiden.
Mir macht es Spaß, am Metrum zu feilen und nach der optimalen Lösung zu suchen. Eigentlich sollte das selbstverständlich sein. Es sind Grenzfälle, die diese Selbstverständlichkeit strittig werden lassen
Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen:
In meinem Sonett „Ein Titan“ kommt das Wort Sibirien vor, für mich ein nicht auswechselbares Schlüsselwort für die Leiden Dostojewskis, Leiden, wie es sie in dieser Intensität wohl in keinen anderen Straflagern der Welt gab als in Sibirien. Streng genommen lassen die Trochäen meines Sonetts das Wort nicht zu, weil birien lautrein gesprochen ein Daktylus ist. Das bezeichnete ein Kritiker als metrisch „Kraut und Rüben“. Ein anderer konzedierte man dürfe durchaus Sibirjen lesen.
Dies war mein einziger metrischer „Fehler“ in dem Gedicht, den ich um der inhaltlichen Aussage willen in Kauf genommen habe. Darauf herumzuhacken und dem Autor zu unterstellen, er sei fahrlässig oder er wisse es nicht besser, halte ich für penetrant.
Wahrscheinlich hast du an solche intoleranten Beispiele gedacht, Flora. Im Prinzip hast du, Jana, Recht. Ich habe den Eindruck, dass ihr euch auch ohne meine Einlassung verständigt habt.
Liebe Grüße an euch beide
Ekki
Mephobia (31)
(13.07.12)
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EikeFalk (60)
(12.06.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.06.13:
Wie schön, Eike, dass du trotz deiner gewiss nicht geringen beruflichen Belastung die Zeit findest, weiter zurückliegende Gedichte von mir zu lesen.
Merci und LG
Ekki
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