Die Gestrandeten

Kurzgeschichte zum Thema Tanz(en)

von  ZAlfred

Wie ein nasses Laken hatte sich Dunkelheit über die Stadt gelegt und eine durchdringende Kälte mit sich gebracht. Die Witterung hatte zahllose Nachtschwärmer in die Cocktailbar gespült. In kleinen Wellen kam die vielgestaltige Schar hereingeschwemmt. Wie Strandgut am Spülsaum gruppierten sich die späten Gäste entlang der polierten Theke.

...Die letzten Takte »J'attendrai«, verklangen, danach knisterte es aus der Wurlitzer, während die Platten wechselten. Gitarren-Akkorde kündigten Them, »Here comes the Night« an. Danach folgte »Sunny Afternoon«. Das Publikum an der Bar reagierte mit rhythmischem Kopfnicken und strömte auf die Tanzfläche.

...Ein Pärchen war am Tresen geblieben. Die Musik unterbrach ihre angeregte Unterhaltung nicht. Sie verharrten in einigem Abstand zueinander, während er ihr zärtlich über die Hand strich.

...Sie trug ein graues Schneiderkostüm mit engem, hochgeschlitzten Rock, Nahtstrümpfe an den schlanken Beinen und glänzend-schwarze Lackpumps. Er wirkte im graubraunen Business-Anzug zum weißen Oberhemd mit Doppelmanschette und seinen braunen Budapestern ebenso stilvoll und distanzheischend gekleidet wie sie. So wie die beiden sich gegenüber standen, wirkten sie nicht wie zwei Fremde, die sich zum ersten Mal begegneten. Obwohl die Körpersprache wenig Vertrautheit verriet, sprach aus seiner wenig gedämpften Hochstimmung und ihrem kaum zugeknöpft erscheinenden Temperament die mühsam unterdrückte Leidenschaft. Ganz sicher war die Begegnung in jener Nacht, in dieser verschwiegenen Bar, nicht ihr erstes Treffen. Alles deutete darauf hin, dass die beiden den Moment auskosteten, wie einen ersten Kuss.

...Unerwartet und zutraulich legte sie ihren Kopf an seine Brust und sah zu ihm auf. Ihr blondes, zu einem kurzen, fransigen Bob geschnittenes Haar, korrespondierte mit den Tönen seiner Paisleykrawatte. Die graublauen Augen nahmen einen bittenden Ausdruck an.

...Sein Blick fixierte einen imaginären Punkt am nicht vorhandenen Horizont. Er schien ganz in seinen Gedanken versunken und strich ihr, obwohl geistig unendlich weit weg, dennoch auffallend zärtlich eine Strähne aus der Stirn und stierte weiter ins Leere. Ihre Bitte schien er weder wahrzunehmen noch zu erwägen.

...Als die Jukebox »Hernando's Hideaway« spielte, nahm die zierliche Blondine den Rhythmus auf und wiegte sich in den Hüften. Sie griff mit beiden Händen zu und zog ihn am Revers zu sich heran.

...Er blieb abweisend, wenn auch die regelmäßig klopfende Fußspitze, mit der er den Ventures-Song begleitete, seine zunehmende Gemütsbewegung preisgab. Eine Erregung, die sich explosiv entlud, als die ersten klagenden Takte von »La Cumparsita« aufbrandeten. Er straffte sich, warf den Kopf in den Nacken, ergriff ihre Hand und stolzierte mit betont gesetzten Schritten zur Tanzfläche. Ihren zierlichen Körper zog er wie eine Puppe an einem Arm hinter sich her.

...Die Sohlen ihrer Schuhe fest auf den Boden gepresst, die Fersen angehoben, folgte sie widerstandslos seiner entschlossenen Führung. Sie hielt die Körperspannung, als sie scheinbar von einer Bewegung seines Handgelenkes herumgewirbelt wurde und wie von einem Mahlstrom mitgerissen - mit durchgebogenem Kreuz - in seine Arme strudelte. Kaum hatte ihre Stirn seine Brust berührt, glitt sie an ihrem Partner herunter, wie Wasser über einen Stein rinnt.

...Zum nächsten Taktschlag riss er sie herauf in seine Arme und hielt ihre Hand fest in seiner während sie davonkreiselte und dabei mit den Füßen Achten auf den Tanzboden schrieb. Das Ende ihrer Flucht markierte er mit einer exakten Drehung aus dem Becken.

...Sie verharrte am Endpunkt ihrer Bewegung und erwartete seinen Armschwung mit dem er die Torsion abschließen würde. Widerstandslos folgte sie seiner Hand und fand sich von seinen Armen aufgefangen, mit einem Hüftschwung über sein ausgestelltes Bein gedrängt und herumgeworfen. Den Rücken weit nach hinten durchgebogen, verharrte sie in seinen Armen. Wie eine Welle im Sand versickerte die Musik.

...Beider Atem ging keuchend als sie hocherhobenen Hauptes zum Bartresen zurückkehrten und wie Verdurstende ihre Gläser leerten ohne den Blick voneinander zu lassen.

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Kommentare zu diesem Text

Nimbus (37)
(25.06.12)
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 ZAlfred meinte dazu am 25.06.12:
Liebe Heike, Deine Erklärungssuche kann ich gut nachvollziehen, heisst es doch, der Tango sei der vertikale Ausdruck eines horizontalen Verlangens. Manchmal verwischen sich die Grenzen... Herzlichen Dank für Deinen Kommentar und fürs *
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