Zoe, Paris und die Glut

Kurzgeschichte

von  ZAlfred

***
Sie saß draußen an einem runden Bistrotischchen und behielt die vorbeiflitzenden Autos im Blick. So hatte sie sich den Frühling in Paris nicht vorgestellt. Weniger hektisch, nicht so abweisend und rastlos geschäftig. Ihr fehlte Romantik. Die hatte er mit sich genommen, als Hubertus sie mitten in der Nacht am Gare de l'Est verließ. Ein schmales Lederhalsband mit langen, spitzen Nietenstacheln war ihr von ihm geblieben. Er hatte sie direkt nach der Ankunft am Gare de l'Est verlassen. Hubertus hatte sie dort stehen lassen. Seine letzten Worte waren, er glaube, es würde keinen Sinn mit ihr machen, wenn Zoe sich weigere, das Zeichen seiner Herrschaft um den Hals zu tragen.

***Trotzig hatte sie sich am Morgen darauf entschieden das Stachelband anzulegen. Hubertus hatte sie verlassen. Sein Problem, wenn dieses Zeichen ihm kein Signal mehr sein würde.

***Passanten starrten sie und das Halsband an. Sie spürte die Blicke, jeden einzelnen Blick! Schmerzhafte Berührungen, die knapp unter der Haut zubissen. An den Armen, den nackten Beinen, am Hals und im Gesicht. Keiner sah ihr in die Augen. Diese grauen Augen, die deutlich redeten, deren Schreie keiner bemerken wollte.

***Zoe schlug die Beine übereinander, zeigte ihre Schenkel bis unter das Sommerkleidchen und wippte mit dem rechten Schuh, der ihren schmerzenden Fuß eng umschloss. Sie zog die Sonnenbrille aus dem Haar über die Augen und begann heimlich hinter den dunklen Gläsern zu weinen. Ihren Körper befiel ein Zittern, sie konnte ihre Erregung nicht verbergen. Der Schuh glitt von ihrem Fuß und fiel zu Boden, so heftig bebte ihr schlanker Körper.

***»Bongschuhr, Mattmohsäll.» Ein Mann, der ihren Schuh vom Boden aufgeklaubt hatte, trat zu ihr und hielt den Slingback in die Höhe. »May Ei äideh Wouh aweck this ...  mhrm, verdammt, wie heißt das noch? This ... Schläppchen?«

***Sein Versuch, sie dieserart polyglott anzusprechen, ließ sie lächeln. Das erste Lächeln seit Hubertus sie mit seiner lächerlichen Forderung konfrontiert hatte.
***»Sie können gerne deutsch mit mir reden.« Wieder lächelte sie.
»Bekomme ich meinen Schuh zurück?«

***Mit offenem Mund sah Zoe stumm zu, wie dieser wildfremde Mann sich in den Straßenstaub kniete und ihr den Schuh über den Fuß streifte. Sie gab sich der Wärme seiner Hand hin, mit der er ihre Ferse gegriffen hatte. Seine Finger glitten über ihren Fuß. Kundige, präzise und flinke Bewegungen, die ihr wohl taten.  Selbst das feine Kitzeln, das seine Fingerspitzen auslösten, erschien ihr angenehm. Er schien zu wissen, was er tat. Er schien es zu mögen, stellte sie fest, und er machte es gut. Als er aufstand, bedauerte sie, den Moment nicht festhalten zu können. Er war ihr kurzzeitig so nahe gekommen, wie Hubertus es niemals gekonnt hätte.

***»Setzen Sie sich doch noch auf einen Cafè zu mir, bitte.«
***Er blieb. Sie unterhielten sich. Den ganzen Vormittag verbrachten sie in dem kleinen Bistro. Der Verkehr tobte auf dem Grand Boulevard, Zoe bemerkte es nicht. Geschäftige Menschen kamen aus verschiedenen Richtungen vorbeigeeilt, Zoe sah sie nicht. Sie hatte nur Augen für den Fremden.

***Er hielt ihre Hände, seine Daumen strichen über ihre Handrücken. Zoe liefen die Schauer in Wellen über den Rücken und die Arme hinab. Sie zog einen Fuß aus dem Schuh und strich damit unter dem Hosenbein bis zu seinem Knie hinauf. Er hatte kleine, gekräuselte Haare, die ihre Fußsohlen reizten und Zoe erneut zum Lächeln brachten.

***Er erwiderte ihr Lächeln.
»Schür die Glut«, sprach Zoe sich Mut zu. Sie legte ihren Fuß in seinen Schoß und schloss die Augen.

***»Madame? Vous désirez?»
***Zoe schlug die Augen auf. Vor ihr stand der Garçon und sah sie auffordernd an. Von der Straße tönte Lärm zu ihr herüber. Abgasgestank wehte mit einer Brise über den runden Tisch hinweg. Sie schaute auf die zahllosen vorbeihastenden Menschen, ihr Blick fiel auf den leeren Stuhl gegenüber.
***Paris war da, die Glut war fort.

© ZAlfred 2012

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Kommentare zu diesem Text


 Lluviagata (24.06.12)
Hach, ich bin hin- und hergerissen.
Ob Frauen in gerade solch einer Situation so reagieren? Fraglich, doch nicht unmöglich, gebe ich zu.
Aber geschrieben ist diese Geschichte wieder mal ... astrein!

 Songline meinte dazu am 24.06.12:
Hier schließe ich mich voll und ganz an.
Liebe Grüße
Song

 ZAlfred antwortete darauf am 24.06.12:
@Lluviagata
hin- und hergerissen? Ob der Frage nach der Wahrscheinlichkeit ihrer Reaktion? Sollte Dir entgangen sein, dass Zoe, in Sekundenschlaf versunken, tags träumt? Oder hatte ich es nicht deutlich genug dargestellt?
ich danke Dir von Herzen fürs Lesen, Kommentieren und fürs Herzchen.

 ZAlfred schrieb daraufhin am 25.06.12:
@Songline
... zur Hin- und Hergerissenheit: Siehe oben. Zu
... astrein!
*errötendhauch* Dankeschön.
Scrag (24)
(24.06.12)
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 ZAlfred äußerte darauf am 24.06.12:
Dankeschön.

 Martina (27.06.12)
Ja, auch ich hab mich zu einem Tagtraum mitreißen lassen...gut beschrieben !

 ZAlfred ergänzte dazu am 27.06.12:
Was für ein schönes Feedback, Tina. ... und noch dazu eine weibliche Stimme, die meine aufgeschriebene weibliche Sicht akzeptieren kann. Ich fühle mich saugut mit Deinem Kommentar. Dankeschön
ZAlfred
Graeculus (69)
(30.06.18)
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