Als Lily eine Gruselgeschichte schreiben wollte.

Erzählung zum Thema Schreiben

von  Skala

„Was schreibst du da?“, frage ich Lily. Allein sie an diesem Ort zu treffen, erstaunt mich.
„Gar nichts“, antwortet Lily.
„Gar nichts?“ Ich ziehe die Augenbrauchen hoch. „Aber du hast einen Stift in der Hand und einen Schreibblock mit einem unbeschriebenen Blatt auf denen Knien liegen.“
„Eben“, sagt Lily. „Unbeschrieben.“
„Warum schreibst du dann nicht?“
Lily schaut mich an mit diesem Blick, der mir sagt, ich sei der größte Naivling auf Erden. „Ich sammele Inspiration indem ich die Aura dieses Ortes auf mich wirken lasse“, erklärt sie hochtrabend.
Ich schaue mich um.
„Lily, wir sind auf einem Friedhof.“
„Eben“, sagt Lily.
„Lass mich raten: Du schreibst einen Heimatroman?“
„Haha“, macht Lily trocken.
„Gut, dann nicht. Vielleicht doch ganz profan eine Schauergeschichte?“
„Erraten“, seufzt Lily.
„Wo liegt das Problem?“
Lily stöhnt. „Schauermärchen, Gruselgeschichten, Horrorstreifen… Fred, es gibt doch nichts, was nicht schon geschrieben worden wäre!“
„Ist das nicht dasselbe bei Liebesromanen?“, bedenke ich.
„Liebesromane interessieren mich gerade nicht“, motzt Lily.
„Was willst du denn schreiben?“, frage ich interessiert nach. Ich setze die Gießkanne, die ich schon seit geraumer Zeit trage, was mir meine Armmuskeln mittlerweile deutlich zu verstehen geben, auf den Boden und mich selbst neben Lily auf die Bank. Sie ist leicht feucht, die Bank natürlich, und ich frage mich, ob Lily wirklich keinen bequemeren Platz hätte finden können.
„Na, eine Gruselgeschichte“, sagt Lily.
„Mit… gruseligen Gestalten?“
„Bitte was?“, fragt Lily mich, eine starke Betonung auf dem was.
„Vampire, Werwölfe, Monster… sowas eben.“
„Ja, genau!“ Lily klingt begeistert. „Mit einem bisschen Fantasy. Mädchen verliebt sich in Vampir, aber da ist auch noch ihr bester Freund der Werwolf, und es kommt zu einer Fehde zwischen Blutsaugern und Schoßhündchen…“
„Klingt doch super!“, ermutige ich sie. Lilys Miene gefriert. „Du hast keine Ahnung“, sagt sie dann. Und seufzt.
„Hmm“, mache ich. Eine Weile schweigen wir uns an.
„Eigentlich“, sage ich dann, „eigentlich sind so Geistergestalten auch gar nicht wirklich gruselig.“
„Weil es sie nicht gibt?“, fragt Lily und dreht den Stift in der Hand.
„Auch“, sage ich.
„Weil sie immer stilisierter werden, weil kein Mensch mehr das Wort Vampir lesen will, weil Werwölfe jetzt auch kuschelig sein können…“ Lilys Stimme trieft vor Verachtung.
„Genau“, sage ich.
Lily zuckt die Schultern. „Egal“, sagt sie. „Schreibe ich halt über Menschen.“
„Uh, mir läuft ein Schauer über den Rücken“, entgegne ich. Lily schaut mich erbost an.
„Warum nicht?“, sagt sie. „Vor Horrorfiguren ängstigst du dich nicht. Vor Menschen hast du auch keine Angst. Worüber sollte ich denn schreiben, damit du Angst bekommst?“
„Ach komm“, sage ich etwas von oben herab. „Du kannst mir doch nicht erzählen, dass man mit einer Geschichte jemanden wirklich zum Gruseln bringen kann!“
„Nie im Zeltlager Schiss gehabt, wenn der Aufpasser Geschichten von Kindern erzählt hat, die auf einmal merken, dass sie allein mit einem Mörder im Haus sind?“, erwidert Lily schnippisch.
„Wenn einer sowas erzählt, ist das was anderes!“, erkläre ich. „Da spielt doch die Stimme eine Rolle, der Überraschungseffekt, die Dunkelheit. Aber hör mal, vorm Lesen gruseln sich doch nur Waschlappen. Wovor soll ich Angst haben? Dass mich auf einmal Buchstaben anspringen?“
„Du bist so arrogant“, faucht Lily.
„Uh, jetzt bin ich aber getroffen.“
„Wart’s ab“, zischt Lily. „Ich werde eine Mord- und Verfolgungsgeschichte schreiben, in der eine tote rothaarige Femme Fatale sich an ihrem Ex-Lover rächt, der sie mit seiner Arroganz zum Selbstmord getrieben hat, und den werde ich nach dir benennen. Deine Figur wird die ganze Geschichte über an Paranoia leiden, weil sie ihn aus dem Grab heraus verfolgt und am Ende wird der Macho grausamst unter seiner eigenen Hand sterben, getrieben von den Stimmen aus dem Jenseits, die ihn Tag und Nacht verfolgen!“
„Wow“, gähne ich. „So eine Verfolgungswahngeschichte an deren Ende einer stirbt ist natürlich was ganz Neues.“
„Was weißt du denn schon!“, heult Lily. „Du liest doch noch nicht einmal. Du hast keine Ahnung von Literatur und Geschichten und…“
„Vielleicht nicht“, gebe ich zu, „aber dafür weiß ich dich zu inspirieren.“
Ich stehe auf, nehme die Gießkanne um das Grab meiner Großeltern zu bewässern und lasse Lily zurück auf dieser Bank, inmitten von altern, verwitterten Grabsteinen, deren Besitzer wohl friedlich schlafen und nicht daran denken, jemanden aus dem Jenseits zu verfolgen. Ein leichter Windhauch streicht durch die Blätter der riesigen, alten Eichen, die einen Großteil des Sonnenlichtes verschlucken, und ich fröstele.

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Kommentare zu diesem Text

Scrag (24)
(31.07.12)
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 Skala meinte dazu am 31.07.12:
Hey du. Weißt du, ich kann deine Ablehnung dem zitierten Abschnitt gegenüber völlig verstehen (was mir nicht richtig flutschen wollte und will, ist die Sache mit der Gießkanne), aber ich erkläre dir mal die Frage: Fred wollte nur wissen, was genau Lily jetzt zu schreiben gedenkt (ob sie schon eine Handlung im Kopf hat, ob sie weiß, in welche Richtung ihre Geschichte sich bewegen wird), ein wenig plump ausgedrückt, ganz in Fred-Manier. Und Lily, ganz auf Lily-Art, antwortet darauf das für sie Naheliegendste: "[...]eine Gruselgeschichte". Irgendwie habe ich da die Klischees von Mann und Frau, was Kommunikation anbelangt. Normalerweise wäre es die Frau, die eine simple Frage stellt, in der viel mehr mitschwingt, während der Mann simpel auf das antwortet, was sie gefragt hat. Oder so. Ich hab mir beim Schreiben nichts dabei gedacht, aber jetzt interpretiere ich diese Stelle selbst so. Ich denke über den Teil mal nach.

Danke für dein Lob! Ich freue mich.

LG Ranky.
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