Gelitten unter Pontius Pilatus

Text zum Thema Glaube

von  Rudolf

Nach dem Rausch göttlicher Verherrlichung, nachdem Jesus im Glaubensbekenntnis mehr als Gott denn als Mensch eingeführt ist, folgt der Absturz. Keine Wundertaten, keine Heilungen von Kranken, keine Jünger, kein Streit mit Pharisäern. Das Glaubensbekenntnis reduziert Jesu Leben auf „gelitten“. Alles, was übrig bleibt, ist: „gelitten unter Pontius Pilatus“.

Leiden ist das Grundgefühl der Menschen. Leiden an Armut, Einsamkeit, Krankheit, Hunger. Leider unter Terror, Krieg, Gewalt. Ob am Arbeitsplatz oder in Arbeitslosigkeit, es wird gelitten. Wo man hinsieht, nur Elend, nur ernste, leidende Gesichter.

Das Leben ist eine Aneinanderreihung von Krisen. Kurze Momente glücklicher Euphorie bewirken, dass man sich nicht gleich umbringt. Jesus ging es nicht besser. Die Erfolgsgeschichte des Christentums begann, indem der Gründer völlig unschuldig, brutal leiden musste. Unter den Augen seines allmächtigen Vaters wurde er gefoltert und nichts und niemand half ihm. Schmerzen, ungerechte Behandlung, Trauer und Sorge hat Jesus durchlebt. Alles, was Leben so wertlos macht, so zur Last werden lässt, Jesus kannte es. Und der Vater, den er mit dem ganzen Herzen und mit der ganzen Seele und mit dem ganzen Gemüt und mit aller Kraft liebte, er ließ es geschehen.

Ich glaube, so war es.

Bleibt die Frage, warum Jesus gerade unter einem gewissen Pontius Pilatus gelitten haben soll. Was macht diesen unbedeutenden Mann, der nicht Jude war, der nicht an Gott glaubte, so wichtig? Wollten uns die Erfinder des Glaubensbekenntnisses erinnern, dass es die kleinen Herrscher sind, die uns am meisten peinigen? Es waren doch die Pharisäer, die Jesus tot sehen wollten, Pontius Pilatus wusch sich die Hände in Unschuld, für ihn war es ein lästiger Verwaltungsakt in einer aufsässigen Provinz. Warum sollte Jesus genau darunter gelitten haben?

Pontius Pilatus steht bis heute als Sinnbild für starre Strukturen. Er steht für den Teil in uns, der sich bequem eingerichtet hat, sich hinter Regeln und Gesetzen verschanzt. Vielleicht hat schon damals niemanden die Person Pontius interessiert, aber er personifiziert das herrschende Umfeld, einschließlich der Feinde im eigenen Lager. Er erinnert an die dunklen Ecken in uns, wenn wir unschuldig die Achseln zucken:

„Ich habe doch gar nichts gemacht.“
„Genau! Du hast nichts gemacht.“

Darunter litt Jeus.

Das „gelitten unter Pontius Pilatus“ bekommt so die Farbe von Anklage gegen Selbstgefälligkeit, gegen fest gefügte Strukturen. Es klingt wie ein Murren gegen unmenschliche Organisationsformen. Es erklärt die sanfte Aufsässigkeit der Märtyrer, die sich lieber hinrichten lassen, als ihren Gott abzuschwören. Lange bevor der Klassenkampf erfunden ist, wird Unzufriedenheit mit den Herrschenden verbreitet. Überall finden sich in der Kirchengeschichte Christen, die die Mängel der umgebenden Gesellschaft aussprechen und dafür büßen. Der Fingerzeig auf Pontius Pilatus weist bis in unsere Zeit. Auch heute waschen auf der ganzen Welt Verantwortliche für Gewalt und Terror täglich ihre Hände in Unschuld. Wieder und wieder wird gelitten.

Jesus lebt.

Vergesse ich die dümmlichen Sprüche über die Gottheit Jesu und die Empfängnis einer Jungfrau durch den Heiligen Geist, ich bin im 21. Jahrhundert angekommen. Jesus der Mensch steht wieder vor mir. Sein Leben war Leiden. Das Leiden der Menschen unter Pontius Pilatus ist so aktuell wie eh und je.

Ich glaube, Jesus litt unter Pontius Pilatus.


Anmerkung von Rudolf:

Lieber loslosch, falls Du diesen Text liest, was meintest Du mit: " "post mortem" aber in 6 ziffern! "? Ich krieg's nicht raus?

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Kommentare zu diesem Text


 loslosch (05.08.12)
die detailinformation passt nicht ins große ganze des bekenntnisses. es geht seit jahrhunderten das fast geflügelte wort: wie kam p. p. ins bekenntnis?

"Vielleicht war diese ehrenwerte Erwähnung an herausgehobener Stelle ein diskreter Hinweis auf das zunächst erfolgreiche Hinhalten und Lavieren des historischen Pontius Pilatus, das bei den Konzilsvätern einen starken Eindruck hinterlassen haben könnte. Andererseits: Hätte Pilatus Erfolg gehabt, wären die Worte der Schrift womöglich nicht in Erfüllung gegangen."

das war ein selbstzitat. ich gebe keine quelle, weil ich das bei kv mal in erweiterter fassung bringen könnte.

zur anmerkung: post mortem und die 6 ziffern krieg ich nicht mehr gedeutet. vermutlich eine anspielung auf einen vertipper, der korrigiert wurde. lo
Jack (33)
(05.08.12)
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 Mondgold (06.08.12)
ich möchte jack zustimmen, doch ohne den text zu empfehlen und ohne die achseln zu zucken.

 Dieter Wal (31.01.24, 12:08)
Bleibt die Frage, warum Jesus gerade unter einem gewissen Pontius Pilatus gelitten haben soll.
Das ist eine in biblischen Geschichts- und Prophetenbüchern übliche Art einer mehr oder weniger präzisen antiken Zeitangabe.
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