III.
 Inhalt 
V 

IV.

Erzählung zum Thema Erziehung

von  Lala

„Du siehst schlecht aus. Hast viel zu tun, gell?“
„Ja, es ist anstrengend.“, vor allem, wenn man sich - wie ich - nicht ausreichend mit dem beschäftigt hatte, womit ich mich eigentlich hätte beschäftigen sollen. Aber das sagte ich nicht. Noch nicht. Nach dem Projekt Selbsterfahrung durch Malen und Zeichnen hatte ich angefangen, mich mehr mit der Kunst und der Malerei zu beschäftigen als mit der Architektur und ihren zähen Grundlagen. Aus der Spielerei wurde Hobby, dann Leidenschaft, schließlich sogar – durch lukrative Nebenjobs - Broterwerb.

Fakt war: Ich hatte keine Lust mehr auf Papiermodelle und hektische Bastelabende in letzter Minute, um Abgabetermine einzuhalten. Der Architekt und Baumeister in mir war gestorben, aber meine Bewerbungsmappe für einen Platz in einer Kunstakademie war stattdessen kontinuierlich gewachsen.

An einem sonnigen Sonntagnachmittag wollte ich Mum bei Kaffee und Kuchen in meine neuen Pläne einweihen. Dazu hatte ich die Mappe mitgenommen, wartete aber auf eine passende Gelegenheit.
Mum schenkte mir noch mal Kaffee nach und bemerkte ganz beiläufig:
„Nun zeig schon her, was Du da in Deiner Mappe hast. Du hast doch was auf dem Herzen?“
„Danke, Mum. Ich habe angefangen, zu malen und zu zeichnen. Das wollte ich Dir zeigen.“
Mum war nicht erfreut. Sie war skeptisch. Ich machte auf dem Tisch etwas Platz und legte ihr meine Mappe hin.
„Schau es Dir bitte an, bevor Du was sagst.“
„Na, dann wollen wir doch mal sehen.“, sagte sie, löste die Haltegummis und wendete mit leicht zitternder Hand den Deckel. Mir fiel mit einem Mal auf, dass Mutter in den letzten drei Jahren mindestens zehn Jahre älter geworden war. Sie war eine alte Frau geworden. Ich war wie vor den Kopf gestoßen und nahm erst gar nicht wahr, wie sie auf die von mir geplante Überraschung reagierte. Denn das erste Blatt in der Mappe war ein Portrait von ihr. Zu jung, wie ich jetzt dachte.
Sie hatte ihre rechte Hand vor dem Mund und sie weinte leicht vor Rührung, so sehr gefiel ihr, was sie sah.
„Ist das schön. Danke. Und so gut gezeichnet.“, und ähnliches mehr flüsterte sie. Ihre Skepsis – was ihr Sohn da wohl mitgebracht hatte – war Rührung und Begeisterung gewichen. Als sie die Signatur bemerkte: „Meiner Mum.“, war es ganz um sie geschehen. Sie brauchte einige Minuten, um sich wieder zu sammeln und zu fangen.

Sie blätterte. Wir plauderten. Diskutierten. Ob ich mir denn dieses Mal sicher sei? Ich nickte und gab mich auch selbstkritisch.
Die Landschaftsmalereien beeindruckten sie nicht so sehr wie die Zeichnungen, die ich von meinen Mitbewohnern angefertigt hatte. Sie wollte wissen, wie alle heißen und interessierte sich vor allem für die Portraits meiner Mitbewohnerinnen. Wahrscheinlich hoffte Sie so, einen Blick auf ihre zukünftige Schwiegertochter werfen zu können.

„Ich hätte nie gedacht, dass Du Gesichter so lesen kannst. Ich hatte schon vermutet, dass Du Dich nur mit Steinen und Dingen beschäftigen kannst. Und jetzt das.“
„Du bist also einverstanden, wenn ich nochmal von vorn beginne, Anne?“
Mit ihren großen, runden Augen und einem strahlenden Lächeln nickte sie mir zu, legte das vorletzte Blatt zur Seite und erstarrte. Jeglicher Frohsinn, jegliche Zuversicht, alle Liebe war mit einem Schlag aus ihrem Gesicht gewichen, als sie das letzte Bild sah.
„Mum?“
Sie reagierte nicht. Ich ließ ihr etwas Zeit.
„Mutter?“, wiederholte ich zärtlich.
Sie riss, als ob ich einen Befehl gegeben hätte, den Kopf zu mir hoch. Mit einem mir fremden Gesicht starrte sie mich an.
„Du wagst es!“, schrie sie mich an. „Du wagst es! Du!?“
„Mum! Was ist los?“, rief ich und hielt ihre Arme fest in meinen Händen. Sie war drauf und dran gewesen, mir ins Gesicht zu schlagen oder es mir zu zerkratzen.
Statt mir zu antworten, spuckte sie mich an, riss sich los, floh in ihr Schlafzimmer und verbarrikadierte sich.
Sie heulte wie ein Hund und brüllte immer wieder, ich solle abhauen, ich solle mich nie wieder blicken lassen. Ich sei ein undankbares Balg und hätte nichts verstanden.

Minuten? Stunden? Keine Ahnung, wie lange ich noch geblieben war, wie lange ich versucht hatte, Anne irgendein vernünftiges Wort zu entlocken oder zu hoffen, dass sie wieder die Tür öffnete und mich nach Hause ließ. Denn sie war die einzige Heimat, die ich hatte. Aber sie war wie von Sinnen, am Ende sang sie sogar Kirchenlieder. Und wenn ich es wagte, vor ihrer verschlossenen Tür kniend, einzustimmen, dann schrie sie wie am Spieß und keifte, ich solle das Maul halten, ich hätte für alle Zeit mein Recht verwirkt, der Gnade des Herrn teilhaftig zu werden. Ich hätte mich doch schon längst anders entschieden.
„Geh endlich weg! Geh weg.“, das war noch das Vernünftigste, was sie mir durch die verschlossene Tür zu sagen hatte. Irgendwann ging ich dann auch.

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