Erlebnislyrik im Barock

Sonett zum Thema Lebensweg

von  EkkehartMittelberg

Dieser Text ist Teil der Serie  Sonette auf berühmte Dichter und Philosophen
Biografie Günthers

Das Leben von Johann Christian Günther ist sehr anrührend, weil es die immense Schwierigkeit für diesen hochbegabten Poeten zeigt, im Barock als freier Schriftsteller zu leben. Ich stelle es meinem Gedicht voran.

J. C. Günther wurde am 8. 4. 1695 in Striegau/ Schlesien geboren.
Er besuchte von 1710 -1715 das Gymnasium in Schweidnitz. Dort fand er aufgrund seiner ungewöhnlichen Begabung die Beachtung mehrerer Lehrer. Er veröffentlichte schon als Schüler ein Gedicht zu Ehren des Schweidnitzer Schulinspektors und erhielt den Zugang zu Privatbibliotheken.
Wenn man nicht gerade Hofpoet wurde, war Dichter zu sein in dieser Zeit kein angesehener Beruf. Dennoch entschloss sich Günther zu einem kärglichen Leben als Dichter, obwohl er aus einer nicht gerade wohlhabenden Mediziner-Familie stammte.
Noch als Schüler, im Sommer 1714, verliebte sich Günther in Leonore Jachmann, die Schwägerin seines Schulrektors, der er seine "Leonoren-Lieder" widmete.
Mit seinem Theaterstück „Die von Theodosio bereute Eifersucht“ bringt sich Günther wegen Blasphemie und Satire ins Gerede und verliert nicht nur ehemalige Förderer, sondern auch die ideelle und materielle Unterstützung seines Vaters, eines gesellschaftlich angesehenen Mediziners. Darauf verlässt Günther Schweidnitz und Leonore Jachmann.
Er lenkt gegenüber seinem Vater ein und immatrikuliert sich 1715 für Medizin in Frankfurt an der Oder, wechselt aber schon nach einem halben Monat nach Wittenberg.
Es könnte primär Eitelkeit gewesen sein, weshalb sich Günther 1716 den umstrittenen Titel „poeta laureatus Caesareus“ verleihen ließ, näher liegend ist jedoch, dass er die Aufmerksamkeit an deutschen Fürstenhöfen auf sich lenken wollte, um eine materiell gesicherte Stellung als Hofpoet zu erlangen. Denn von Gelegenheitsgedichten konnte er nicht leben, und seine wirtschaftliche Situation war so miserabel, dass ihn 1717 schlesische Landsleute aus dem Schuldgefängnis auslösen mussten.
Als sich Günther 1717 an der Universität Leipzig einschrieb, schien sich seine Not zu wenden. Er fand in dem namhaften Professor Mencke, einem Schriftsteller und Historiker, einen Gönner und Berater. Doch 1719 schlug seine Bewerbung als Hofdichter bei August dem Starken in Dresden fehl.
Er kehrte in seine Heimat nach Schlesien zurück, wo er sich mit dem Schreiben von Auftragsgedichten für ein adliges Ehepaar notdürftig ernährte.
1720 löste er, schwer erkrankt und weiterhin in finanziellen Nöten, die Verlobung mit Leonore Jachmann, um sie nicht an sein Leben zu binden, das keine Perspektive bot.
Der Verlust Leonores spiegelt sich in Liebeslyrik, Abschiedsgedichten und Klageliedern.
Günther überlebte als Gast in Pfarrhäusern und versuchte im Oktober 1720 sich eine bürgerliche Existenz als Mediziner aufzubauen. Er verlobte sich mit der Pfarrerstochter Johanna Littmann, konnte sie aber nicht heiraten, weil Pfarrer Littmann wegen der nicht geglückten Aussöhnung Günthers mit seinem Vater der Ehe nicht zustimmte.
Günther schlug sich monatelang als Gast bei den Familien ehemaliger Studienfreunde durch.
Er schien noch einmal 1722 in Jena bei seinem ehemaligen Studienfreund C.S. von Ebenen und Brunnen Halt zu gewinnen, erkrankte aber so schwer, dass er nur noch Gelegenheitsgedichte schreiben konnte und am 15. 03. 1723 an Tuberkulose starb.

Diese Biografie stützt sich insbesondere auf „think of me on the web. J_ C_ Günther (1695 - 1723).mht“, dessen Autor ich nicht ermitteln konnte


Erlebnislyrik im Barock

Des Lebens Flüchtigkeit war dir bewusst,
Vergänglichkeit war der Epoche Zeichen,
du wolltest aber nicht dem Schicksal weichen
und suchtest in der echten Liebe Lust.

Du fandest sie in der Geliebten Treue,
und sie empfing den Ring mit Totenkopf*,
noch hieltet ihr die Liebe fest am Schopf,
als gäbe es kein Ende, keine Reue.

Erlebte Lyrik reichte nicht zum Leben,
du solltest dich dem Vater ganz ergeben,
vergeblich und du gabst die Liebe preis.

Du warst fürs Bürgerdasein nicht bestellt,
erfolglos deine Kämpfe um das Geld.
Noch heute trauert, wer dein Ende weiß.

*Anspielung auf eines der bekanntesten Gedichte Günthers: „Als er der Phillis einen Ring mit einem Totenkopf überreichte“. Phillis ist ein Pseudonym für die Pfarrerstochter Johanna Barbara Littmann.

© Ekkehart Mittelberg, August 2012

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Kommentare zu diesem Text

AronManfeld (43)
(30.08.12)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.08.12:
Vielen Dank, Aron. In dieser Zeit gabe es viele intellektuell Hochgezüchtete. An Günther gefällt mir, dass er die gelehrte Anakreontik-Tändelei nur zum Broterwerb mitmachte. Er verstand es, schon vor Goethe unverstellte Erlebnislyrik zu schreiben, der ihm dies auch in "Dichtung und Wahrheit" mit hoher Anerkennung dankte.
Ja, Engels gehörte zu den wenigen Sozialisten, die kein ideologisches Brett vor dem Kopf hatten.

 loslosch antwortete darauf am 30.08.12:
zu engels: wir lernten, er sei auch unternehmer gewesen. kein brett, aber grips en masse. "Engels beherrschte zwölf Sprachen aktiv und zwanzig passiv, darunter Altgriechisch." (Wiki.) o dear ...

lo, der auch altgriechisch passiv beherrscht, zu etwa 0,5%
(Antwort korrigiert am 30.08.2012)
AronManfeld (43) schrieb daraufhin am 30.08.12:
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 loslosch äußerte darauf am 30.08.12:
dieses fand ich:  wiss. sozialismus. besprechung.

vieles andere für den bücherwurm am pc ... was mich zuerst stört, ungemein stört, ist die huldigung dialektischen denkens. per se unwissenschaftlich. ich hab wohl (früher) zu viel karl popper gelesen. karl der GROSSE!
(Antwort korrigiert am 30.08.2012)
AronManfeld (43) ergänzte dazu am 30.08.12:
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 loslosch meinte dazu am 30.08.12:
ach sooo.

 AZU20 (30.08.12)
Wieder was dazugelernt. Schönes Gedicht. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.08.12:
Danke, Armin. Es freut mich, dass es dir gefällt.
LG
Ekki

 Lluviagata (30.08.12)
Was für ein Leben - ein Irren, ohne jemals zum Ziel kommen zu können, ohne jegliche Perspektive! Auf wie viele Poeten mag das so zugetroffen haben. Er wurde nur 28 Jahre alt ...
Danke, Ekki für diese Weiterbildung und das schöne Sonett! ♥

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.08.12:
Vielen Dank, Andrea. Es ist keine Rhetorik, wenn ich sage, dass mich dieses aussichtslose Leben immer noch traurig macht. Mein Mitempfinden gilt auch Eleonore Jachmann und Johanna Littmann, die er sehr liebte und die seine Liebe erwiderten.
Liebe Grüße
Ekki
AronManfeld (43) meinte dazu am 30.08.12:
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 Matthias_B (30.08.12)
Da wurde in der LitWi darüber diskutiert, ob er eher eine persönliche Note in seine Lyrik (die jedoch ebenfalls an den gewohnten Produktions- und Rezeptionsbedingungen orientiert war - siehe u.a. den anvisierten Status des "lorbeerbekränzten Poeten") eingebracht habe, die klar über die konventionelle, allgemein repräsentative Sprechinstanz des Barock hinausgehe, oder ob es eher dem Prinzip der Aemulatio (wobei hier ein bisschen mehr als üblich übersteigert wird - siehe sein "Sechzehnzeiliges Sonett", in welchem die Regelübertretung (begründet) entschuldigt wird) zuordenbar sei - größtenteils wurde quasi salomonisch entschieden, dass er zwar i.G.u.G. den regulären formalen Kriterien und Normen entsprechend geschrieben hat (siehe "Nach der Beichte an seinen Vater", ein rhetorisch verziertes, nicht unbedingt völlig persönliches Gedicht an jenen), aber zugleich miterlebte "spätbarocke" Prozesse der Weiterführung des Literatursystems in seinen Texten abgebildet habe; viele seiner Erzeugnisse weisen diese Merkmale des Übergangs auf, dass Denkmuster und Schemata der barocken Weltsicht samt poetischen Ausdrucksformen zwar weiterhin verwendet, aber zunehmend (im dichterischen Gewande) kritisch analysiert werden (das bekannteste Beispiel stellt wohl Menckes "Kein Sonnet" dar). Was mir im Fließtext fehlt, ist der Bezug auf das Denksystem, wobei hier auf die constantia bzw. den Neu-Stoizismus (da im Barock auf eine spezifisch zeitgenössische Art mit umfassendem Bezug auf die Umwelt gelitten wurde, die aus den aktuellen Perspektive, die wir aber nicht auf die historischen Personen bzw. damaligen Werke als maßgebliches Interpretationsmuster projizieren sollten, als fremd empfunden wird) eingegangen hätte werden können, um zu versuchen, gewissermaßen fundiert zu erahnen, mit welchen Kategorien der Weltdeutung er sich auseinanderzusetzen hatte, um seine (eigene) Sichtweise aufzubauen (wobei die aus den jeweiligen kulturellen Erzeugnissen erschlossene gedachte Welt nicht unbedingt der gelebten vollends entsprechen muss). (Mir schwirrt noch im Kopf herum, dass das einstig gepflegte Bild des ersten primär frühsubjektivistisch Schreibenden auch aus einer Schilderung seiner Person in "Dichtung und Wahrheit" resultiert haben soll. [editiert: Suchmaschine benutzen, dann schreiben.])
Gute Idee, an ihn zu erinnern, da er im DU bloß noch als Fußnote behandelt wird.
(Kommentar korrigiert am 30.08.2012)

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.08.12:
Sapperlot, Matthias, du kennst dich gut aus und gibst Günther-Experten wertvolle Hinwseise. Vielen Dank.
AronManfeld (43) meinte dazu am 30.08.12:
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 ViktorVanHynthersin (30.08.12)
Mein erster Gedanke war: Ein deutscher John Keats. Ob man die Beiden wirklich vergleichen kann, kann ich auf die Schnelle nicht sagen. Günther war mir bis vor ein paar Minuten völlig unbekannt und wurde für mich durch Deine gelungene Aufarbeitung ins rechte Licht gerückt. Vielen Dank dafür, lieber Ekkehart.
Herzliche Grüße
Viktor

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.08.12:
Vielen Dank, Viktor. Ich habe nur oberflächliche Kenntnisse über John Keats. Einige äußerliche Parallelen fallen in der Tat auf, insbesondere, dass beide sehr jung an Tuberkulose verstarben.
Keats war Romantiker, und so weit war Günther seiner Zeit wohl noch nicht voraus. In Teilen seines Werks fühlt man sich an den Sturm und Drang erinnert.
Vielleicht liest deine Anregung zum Vergleich ja jemand, der beide Dichter kennt und sich kompetenter als ich äußern kann.
Herzliche Grüße
Ekki
SigrunAl-Badri (52)
(30.08.12)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.08.12:
Liebe Sigrun,

wir alle sind mehr oder weniger auf die Gegenwart fixiert. Das ist auch gut so, denn andernfalls würden wir als Autoren unproduktiv in der Vergangenheit schwelgen.
Aber gelegentlich lese ich doch gern in der Lyrik vergangener Epochen, immer mit dem Bewusstsein, dass wir "auf den Schultern verstorbener Dichter stehen", auch wenn uns dies nicht immer bewusst wird. Wir orientieren uns an ihnen doch selbst dann, wenn wir uns von ihnen abgrenzen.
Ich danke dir für deine wie immer einfühlsame und aufmerksame Lektüre meiner Erinnerungsversuche sehr.

Liebe Grüße
Ekki

 irakulani (30.08.12)
Ich finde es sehr gut und hilfreich, lieber Ekki, dass du die Biographie Günthers vorangestellt hast. Wahrscheinlich kennen die meisten, so wie ich, Günther wenig bis gar nicht. Umso interessanter ist es ihn zu entdecken. Danke für deine Anregung.
Künstler zu sein (egal ob Dichter, Komponist, etc.) war damals wie heute nicht besonders „angesehen“. So habe viele der jungen Begabten den Eltern zuliebe ein Alibistudium oder einen ungeliebten Beruf gewählt. Dennoch sind sie ihrer „Berufung“ gefolgt. Wir wissen das nur aus den Biographien derjenigen, die dann doch irgendwie Erfolg hatten. Alle anderen sind im Nirvana entschwunden. Tragisch, dass so viele Künstler so jung schon gestorben sind.

L.G.
Ira

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 31.08.12:
Vielen Dank, Ira, auch dafür, dass du die Beigabe der Biografie gewürdigt hast. Deren Leser kann besser erkennen, welchen Schwerpunkt ich in dem Sonett gesetzt habe.
Ich weiß nicht, ob schon ein Buch über früh verstorbene Künstler geschrieben wurde. Es wäre sehr aufschlussreich.
LG
Ekki

 Dieter Wal meinte dazu am 31.08.12:
Hans Georg Schenk geht Gedanken über frühe Sterblichkeit der Romantiker in "Geist der Europäischen Romantik" nach. Super Buch.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 31.08.12:
Danke für den Tipp, Dieter.
Steyk (61)
(31.08.12)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 31.08.12:
Lieber Stefan,
ich kenne mich in der Literaturgeschichte ganz gut aus. Aber ich wollte dieses Wissen sofort dafür eintauschen, eine Synthese unterschiedlicher Künste (Text, Bild, Musik) gestalten zu können so wie du.
Vielen Dank und herzliche Grüße
Ekki

 Dieter Wal (31.08.12)
Günthers Gedichte hab ich auf dem Umweg über Goethes Dichtung und Wahrheit kennengelernt. Obwohl mir seine Gedichte insgesamt sehr gut gefielen, lernte ich keins auswendig. Offensichtlich konnte ich mich mit keinem identifizieren. Warum?

Dagegen begeisterte mich der heute noch von der Lit.-Wissenschaft misshandelte von Lohenstein.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 31.08.12:
Lieber Dieter,
vielen Dank für deinen Hinweis auf von Lohenstein. Ich habe noch nichts von ihm gelesen. Die Literaturwissenschaft scheint aber auf dem Wege zu sein, ihn aus seiner Zeit heraus zu verstehen: "Lohensteins Werke wurden bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts gelesen und neu aufgelegt, Christian Thomasius und Moses Mendelssohn zählten zu seinen Bewunderern. Danach brach seine Wirkung ab, eine um 1745 geplante Werkausgabe ist nicht mehr erschienen. Lohenstein wurde in der Literaturkritik der Aufklärung zum abschreckenden Beispiel einer „unnatürlichen Schreibart“. Erst im ausgehenden 19. Jahrhundert wurde er zum Gegenstand literaturhistorischen Interesses. Produktive Anknüpfungen finden sich erst in den 1970er Jahren bei Hubert Fichte, der Lohenstein einer modernisierenden, Gewalt und Erotik in den Vordergrund stellenden Deutung unterzog." (Wikipedia)

 FloravonBistram (10.09.12)
"Du aber, den des Himmels Schluß
Dereinst für mich bestimmt,
Magst glauben, daß mein reiner Kuß
Von keiner Geldsucht glimmt.
Nimm also meinen ganzen Schatz, die reine Hand voll Blut!
Ein treues Herz
Ist sonder Scherz
Das beste Heiratsgut"
Aus Leonores Antwort

Ich denke, dass dieser junge Mann ein Suchender war, der es durch sein Medizinstudium gern seinem Vater recht machen wollte, doch das Schreiben sein Leben war und auch kostete.
Ohne Geld zu der Zeit, alles angefangen und wenig von dem Erträumten erfüllen können...
Danke Ekki, lange nicht an ihn gedacht.
Gute Nacht
Flo

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 11.09.12:
Wie schön ist die Antwort von Leonore, Flora. Ich kannte sie nicht. Vielen Dank.
Liebe Grüße
Ekki
Adelheid (54)
(15.09.12)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 15.09.12:
Welch Herz erwärmender Kommentar, Petra. Ich freue mich sehr.
GlG
Ekki
EikeFalk (60)
(14.06.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 14.06.13:
Herzlichen Dank, Eike.
LG
Ekki
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