Ich bin nichts besonderes

Erzählung zum Thema Trauer/Traurigkeit

von  Seelensprache

Ich stütze meinen Körper auf den Rand des Waschbeckens. Wasser läuft aus dem Hahn und fließt zwischen Zahnpastaresten und abrasiertem Barthaar. Ich lausche dem Rauschen. Ich stemme mich ein bisschen hinauf und schaue in den Spiegel. "Da bist du." Eine handvoll kaltes Wasser tropft an mir hinab. Zerriebene Augen tränen unter wuchernden Falten und darunter die dicken Tränensäcke schlafloser Nächte. Es ist erbärmlich. Weißt du noch, als du das letzte mal glücklich warst? Als du das letzte mal so richtig befreit und laut gelacht hast? Als dir alles um dich herum auf eine gute Weise so egal war irgendwie? Ich bleibe ausdruckslos. Ich schlucke. Ich bin müde. Wann ist wohl ein guter Zeitpunkt um darüber nachzudenken? Ich trete einen Schritt zurück und schaue starr gerade aus.
In stillen Momenten leise spricht es zu mir. Flüsterton. Dann macht es knack irgendwo da im Gehirn. Und alles um mich herum schwindet. Ich dissoziiere. Dann bin da nur noch ich. Blicke ziehen sich zurück und verschwinden in mir. Bin auf mich selbst gerichtet. Spieglein, Spieglein an der Wand... 
Und es spricht: Wieso bist du so? Wieso nicht anders? Wieso nicht cool, begabt, begehrt, verehrt? Ich mag dich nicht. Du bist so, so leblos, so tot, so Staub, so trocken. Du bist dir selbst zuwider geworden und dabei hast du es doch besser gewusst, nicht? Du kleiner, dummer Junge. Wieso wolltest du unbedingt groß werden? Nun haben dich deine Erwartungen in die Knie gezwungen. Nun, da du sie dir auf dem Boden wund scheuerst, da bereust du. Hast dich selbst zur Geisel genommen. Und was verlangst du nun? Wieso warst du nicht klüger oder begabter oder irgendwie einfach besonders auf eine Art und Weise? Wieso bist du so? So normal, so langweilig, so unaufgeregt fürchterlich? Du bist verraten. Du hast dich verkauft. Du bist eine Hure deines Maßstabs geworden und du hast dich daran aufgehangen. Nun gefällt dir das Baumeln nicht. Du dummer Junge. Hast dich an dahergelaufene Ideen verkauft, die alles versprochen und nichts davon gehalten haben. Jedes mal sind Bruchstücke übrig geblieben und am Ende ein Haufen loser Steine. Willst du nicht etwas schönes daraus bauen?
Dann kehre ich einen Moment zurück. Dann bin ich einen Moment wieder hier und lausche dem Rauschen des Wassers, zwischen Zahnpastaresten und  abrasiertem Barthaar. Und ich schmeiße mir ein paar handvoll Wasser in das Gesicht. Ich atme ein paar mal in kurzen Stößen ein und aus. Es wird nicht lange dauern bis du mich zurückholst, so nahe, dass es wieder weh tut.

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Kommentare zu diesem Text

Schurkenherz (33)
(17.09.12)
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KoKa (44)
(04.12.12)
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