was ich sage, wie es ist

Text zum Thema Abschied

von  tulpenrot

Ein Graureiher sitzt auf dem Dachfirst
Gebeugt sein Hals
Vielleicht sucht er nach Beute von dort oben
Weiches Sonnen-Licht über den bunten Laubwäldern
Bescheint den Abend
Feuerrot der Himmel
Ein letzter Tag im Herbst
Es soll Winter werden
Ein Kälteeinbruch morgen

Mittendrin wir
Deine Hand auf meiner Schulter
Ich friere möglicherweise
wenn du deine Hand wegnimmst
glaube ich
Du wirst sie wegnehmen
„Bis dann“ wirst du sagen
„Bis dann“ werde ich sagen
Und ich werde winken und morgen frieren
Vermute ich

Der Himmel war noch blau
Als du gingst
Nur eine weiße Wolke
Nur eine einzige Wolke wurde grau
wie der Reiher
Und dann dunkel
„Bis dann“ sagten wir beide
Seitdem friere ich
Der Reiher fand nicht mehr nach Hause
Er sah aus wie ein schmaler Kaminrest auf einer Ruine

Wie nach einem Krieg
Wenn Tränen in Mauerritzen versickern
Und das Gras aufgewühlt ist
Nicht von Maulwürfen
Hände suchten dort und fanden nichts
Der Hunger machte schwarze zerkratzte Fingernägel
Und das nun schon seit acht Jahren

Aber es war dennoch ein schöner Tag heute
Werde ich sagen
Wie ich es immer sage
wenn der Himmel blau ist
und die Sonne scheint
und ich den Krieg vergessen habe
und nur die anderen Leute Ränder unter  ihren Fingernägeln haben
Trauerränder
Ich weiß
was sich gehört

aus: "gestern heute morgen" 2012


Anmerkung von tulpenrot:

So sorglos, so hingeworfen, "Bis dann"

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (27.10.12)
Beeindruckende Metaphern
LG
Ekki

 AZU20 meinte dazu am 27.10.12:
Allerdings. LG

 tulpenrot antwortete darauf am 27.10.12:
Freue mich über eure Zustimmung und die Sternchen. Danke
LG
Angelika

 princess (27.10.12)
Ein Graureiher. Bis dann. Das Frieren und die Tapferkeit. Mhh. Irgendwie lese ich in diesem Text vor allem etwas über das Verloren-Sein. Vielleicht liege ich auch daneben. Aber das ist es, was ich lese.

Liebe Grüße, Ira

 tulpenrot schrieb daraufhin am 27.10.12:
Liebe Ira,

ja es ist ein vielschichtiger und bruch-reicher Text - eher dazu gedacht, eine bestimmte Stimmung zu erzeugen, mit Bildern zu spielen, zusätzlich die Zeiten durcheinander zu wirbeln (Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit).
Manche Dinge im Leben gehören eben in keine Zeit, sind Begleitmomente, rutschen ungewollt in einander, übereinander und lassen sich nicht entwirren.

LG und Danke für dein Lesen und Einfühlen
Angelika
chichi† (80)
(28.10.12)
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 tulpenrot äußerte darauf am 28.10.12:
Liebe Gerda,

darüber freue ich mich - Danke, auch für die Empfehlung
Einen schönen Sonntag
Angelika
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