Spring im Frühling

Bild zum Thema Abgrund

von  Muuuzi

„Von oben. Hier. Was bleibt mir anderes übrig? Es war dort. Ich war hier. Ich habe es getan. Von unten. Würde die Welt dann besser sein? Von vorne und hinten? Was habe ich getan? Es.
Rote Flüssigkeit… auf meinen Händen. Durchtränkte Hände.  Klebrige Konsistenz. Hier. Und überall. Gerüche entscheiden. Erinnern mich an Zeit. Die Wolken fliegen weiter. . Ich mit ihnen. Spüre meine Füße nicht. Doch sie gehen doch auf  alten Böden.
Gestern ist verschwunden. Die Gegenwart trügt und belügt. Kaum sagt man ihren Namen, ist sie schon gegangen. Für immer.
Ewigkeiten riechen meinen Kummer.
Ich hasse ihren Schein. Ich hasse die Welt. Jetzt. Verdammt. Die toten Wände können mich hören. Sie hören den tragischen Tod. Hier. Schon verteilt im ganzen Raum.
Blödes Feuerzeug. Warum habe ich nicht vorher aufgehört damit? Warum musste ich immer weiterrauchen? Diesen unerträglichen Rauch inhalieren? Wie eine Wahnsinnige? Ich brauche ihn.
Die Sonne kann mich auch nicht mehr retten. Leuchte nicht so hell, du blöde Kugel. Oder lachst du über mich? Bestrafst du mich? Indem du mir dein schönes Gesicht zeigst? Während meines so hässlich ist? So zerstellt? Entstellt. So unvollkommen?
In 100 Jahren ist niemand mehr hier. Alle werden fort sein. In anderen Gesichtern, Geschichten und Wahrheiten. Wen interessiert’s? Mich nicht.
Die Nachricht wird erlöschen. Meine Zunge schmeckt nach Benzin. Nach verfaultem Scheiß.
Gedanken. Gedanken. Sie drehen sich so schnell, bis sie sich sehnsüchtig vollkotzen. Erleichtern. Ach… sollen sie doch. Dunkle Mienen.
Sie legen sich um ihn. Wie ein Schleier. Schönes Kind.
Fragen sind überflüssig. Die Vergangenheit hat es gewusst. Die Zukunft geahnt. Ich auch.
Von oben… hat man einen schönen Ausblick. Überall Lieder der Himmel. Von oben ist die Welt verrückt. Und so wunderbar. So heilig und rein. Die verdammte Sonne soll das Licht abdrehen. Wozu noch Sonne? Wozu Licht?
Er hat mich gefangen. Gequält und wieder frei gelassen. Dunkle Fenster waren in meinem Bild des Momentes. Dunkle Fenster in meiner Tür.
Drückt die Schwerkraft auf mich, wenn ich falle? Drückt sie noch fester zu, damit ich noch schneller falle?
Pillen… wo sind meine Pillen? Verreckten sollen alle. Auch die Bäume… und Sterne. Und Blumen. Alles.
Wo ist mein Kaffeebecher? Spül das Zeug einfach weg.
Er sieht so wunderschön aus, wenn er schläft? Sein Gesicht. So unschuldig und märchenhaft. Alle würden sich vor ihn knien. Ihn bewundern. Die Mädchen erst. Die Haare würden sie sich ausreißen. Wie hübsch er doch ist. Mein Sohn. Er wird mal eine schöne Freundin haben. Ja.
Und doch… wird er immer mir gehören. Niemand darf ihn haben. Das werden sie schon sehen.
Der Wind wird heftiger. Er nötigt mich. Ich will noch meine Zigarette rauchen. Lass mich doch.
Ich decke ihn lieber zu. Sonst wird ihm noch kalt. An diesem schönen Herbsttag kann man sich dennoch erkälten. Es ist doch Herbst? Oder?
Wie es wohl meiner alten Freundin gehen? Hab schon lange nichts mehr gehört von ihr. Die Katze miaut. Ich sollte sie raus lassen.
Ach… die weißen Linien da oben stören. Sie zerreißen die vollkommene Bläue des Himmels. Was sich die Menschen im Flugzeug wohl denken? Ob alle Grün für Grün halten? Oder ist mein Grün für manche Rot? Oder Gelb? Eidottergelb.
Ich muss mir bei Gelegenheit neue Sandalen kaufen. Die sind dreckig. Woher kommt nur all das Blut? Hab ich mich geschnitten? Ich sehe keine Wunden! Ich spüre nichts.
Ich mag Blumen. Sie sind so wunderschön. Ich sollte mit ihm in den Park gehen und Blumen pflücken. Es ist gut, wenn Kinder frische Luft bekommen. Aber ich darf nur nicht vergessen, ihm etwas Warmes anzuziehen. Danach stellen wir sie in eine Vase. Das wird ein Spaß, sicher freut er sich schon darauf.
Außerdem sollte ich unbedingt Milch kaufen.
Was habe ich getan? Warum ist da überall Blut? Kaltes Blut? Graues Blut. Es weint. Warum weint es?
Meine Kleidung. Alles ist voll davon. Aber… wie?
Er hat oft Nasenbluten. Ganz klar. Wie sollte es anders sein? Ich werde ihm ein Taschentuch bringen, wenn ich diese Sauerei zusammengeräumt habe. Oder vorher schon?
Schmetterlinge im Sommer. Wieso ist es plötzlich so heiß?
Wie schön sie sind.
Warum zittern meine Hände? Warum wackeln meine Knie? Sollte ich mehr schlafen?
Hat jemand mit dem Küchenmesser Erdbeermarmelade geschmiert? Wie dumm das doch ist. Wozu gibt es Streichmesser?
Was?

Warum kann er nie seine Sachen zusammenräumen? Wie oft habe ich ihm schon gesagt, dass er das Messer nicht rumliegen lassen darf. Es ist schließlich kein Spielzeug.
Hat er sich gar geschnitten?
Nein, er liegt ja so friedlich da. Bewegt sich nicht. Wie könnte er, wenn er Schmerzen hätte?
Ich würde auch gerne solange schlafen können. Sein Mund wirkt wie eine Kirsche. So lieblich. So süß. Ich will ihn küssen.

Es wird schön kühl und er wacht immer noch nicht auf. Ach… Kinder haben einen guten Schlaf. Wie zarte Engel sehen sie aus. Braver Sohn.
Die Schatten auf den Hügeln formen sich in Dunkelheit. Ich bin müde. Aber ich muss noch putzen. Die ganze Wohnung.
Woher kommen nur die versauten Fußabdrücke? Hier ist doch alles voller Dreck.
Ich muss noch kochen. Bestimmt freut sich mein Kleiner über seine Lieblingsspeise. Kartoffeln und Brot. Das war es doch? Oder? Nein. Joghurt mit Essig? Heidelbeeren mit Mehl. Rosinen mit Parmesan? Nein das war‘s auch nicht. Ich werde einfach alles kochen, was noch da ist.
Irgendetwas wird er sicher essen.
Meine Pillen. Ich brauche sie. Schnell. Warum sind sie schon wieder aufgebraucht?

Von oben. Da. Vergessen. Was. Das Messer. Hier. Verschwunden. In Wunden und Gebrechen. Allein. Augen. Diese Augen. Als Messer sich mit Fleisch verbanden. Gestern. Oder war es schon vor zwei Tagen? Drei? Eine Woche? Vierzehn Wochen? Zwölf Monate? Wissen weiß man. Unwissen weiß man nicht.
Er schlägt seine Augen nicht auf. Sein Gesicht verrunzelt. Wacht nicht. Erscheint nicht. Lacht nicht. Seine Haut geriet in Fleckenmeere. Vertrocknet. Stinkt. Er muss sich waschen. Schnell. Bevor. Bevor… er…
Knochen. Würmer. Maden. Blut vergeht. Trocknet und bleibt. Schleim. Da. Siehst du es nicht? Da ist es doch?
Was?
Groß und breit seine Lache, in der er liegt. Verdorben sind seine Gefäße. Getötet sein Kopf. Ermordet seine Beine und gestorben sein Ohr. Du warst es. Du alleine.
Wo?
Na hier. Da vor dir. Schau doch hin. Dann siehst du ihn. Deinen Stolz, der nun vergangen ist.
War er es denn jemals?
Wo… sind wir? Bin ich? Du. Er. Ich. Wir alle. Sind doch zuhause und tun nichts Böses.
Frühlinge sind schön. Die Vögel. Die Bäume und Gräber.
Doch. Böses in deinen Wänden. Böses in deiner Hand. Böses in deinem Kopf. Du bist böse.
Ein Grab ist noch leer.
Sie suchen. Sie suchen alle. Bald. Nur du nicht. Wo ist er, werden sie fragen. Da ist er. Werden sie sagen. Da. Schau! Sie… sie hat ihn umgebracht. Warum? Warum hat sie das getan?
Du musst gehen. Musst es sagen. Darfst nicht schweigen. Geh. Und tue es.
Von oben wirkt die Welt so klein. So weiß, verlassen und unschuldig. Rein und verschmolzen in Unendlichkeiten. Ich kann es nicht sagen. Was denn auch?
Du musst.
Ich muss. Da er… nicht schläft.
Von oben… wirkt alles kalt. Nur ein Weg entsteht durch Suchen. Hier. Da. Ganz leicht.
Wenn du ihn erst eingeschlagen hast. Danach brauchst du nichts mehr tun. Dich einfach nur… gehen. Lassen. Fallen lassen. Ja… das trifft es.
Aber… mein Sohn. Er ist doch hier. Er schläft doch. Da drüben gerade eben. Noch. Warum sollte Frühling sein? Es ist doch erst Herbst? Er kam doch soeben von der Schule. Zuvor.
Ich darf ihn nicht im Stich lassen.
Er ist doch da. Schau. Er lebt.
Nein. Du musst gehen. Geh!
Nein.
Doch!
Von oben… kommt doch nur das Gute? Die Schätze. Irrtum? Lüge? Redensart.
Nein. Ich komme auch von oben. Gleich. Doch ich bin nicht gut. Was habe ich getan?
Das Geländer ist kalt. Es ist mir egal.
Der Winter bläst Winde in meine Richtung.
Die Schwerkraft weiß immer alles besser.“

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Kommentare zu diesem Text


 princess (10.11.12)
Hallo Muuuzi,

ein Stakkato an wirren Szenen, die doch in sich nachvollziehbar sind. Erst dachte ich, dass ich aus dem Text wieder rausgehen würde, ohne ihn zu Ende zu lesen. Aber dann war ich so schnell drin, dass ich mich dem wilden Wechsel zwischen Innen und Außen und all dem Konfusen nicht mehr entziehen konnte. Ich weiß nicht mal, ob ich den Text gut oder schlecht finde. Aber gepackt hat er mich. Ganz sicher!

Liebe Grüße, Ira

 princess meinte dazu am 10.11.12:
PS:
Spring im Frühling
Hat es eigentlich irgendeine Bedeutung, dass das englische "spring" ein deutsches "Frühling" ist? Das frage ich mich nämlich jedes Mal, wenn ich die Überschrift lese.
(Antwort korrigiert am 10.11.2012)

 Muuuzi antwortete darauf am 10.11.12:
uiii ja da hast du recht. Ich weiß auch nicht, was ich davon halten soll. Mal mag ich es, und dann wieder nicht.
Da gab es damals in den Nachrichten einen Artikel über eine Mutter, die ihren Sohn getötet hat. Dann habe ich mich auf den Balkon gesetzt und geschrieben.

Ein zufälliges Wortspiel nur! :) Es war Frühling, als ich das schrieb. hat einfach gut gepasst grad irgendwie mit dem Sprung, der nur angedeutet wird.
Ich danke dir für deinen Kommentar.

lg
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