Sturmflut

Sonett zum Thema Abenteuer

von  Irma

Der Fluss bog den Arm und verlockte zum Bade,
mein Blick schwamm hinüber zum fernen Gestade
durch wildeste Fluten und blieb dort versunken.                         

Es zog mich ins Flussbett, ich wollte mich wehren.
Der Kuss war so kalt, aber heiß mein Begehren.
Ich trieb hin zur Mündung - benommen, wie trunken.

Das Wasser war ruhig. So ruhig! Ich schlief
und schaukelte traumlos dahin auf den Wogen.
Der Himmel bedeckte sich, legte mich schief.
Er weckte in mir, worum er mich betrogen,

bestürmte mich heftig mit dunklen Versprechen
und log im verschwommenen Spiegel die Brük-
ken haltbar. Es schien mir, sie werden nie brechen.                 
Umkehr sei möglich, ich könne zurück.

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Kommentare zu diesem Text

SigrunAl-Badri (52)
(16.11.12)
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 Irma meinte dazu am 22.11.12:
Herzlichen Dank, liebe Sigrun! Freue mich sehr, dass es Dir so gut gefällt! LG BirmchenIrmchen

 Isaban (24.04.13)
Der Fluss bog den Arm und verlockte zum Bade,
mein Blick schwamm hinüber zum fernen Gestade
durch wildeste Fluten und blieb dort versunken.

Es zog mich ins Flussbett, ich wollte mich wehren.
Der Kuss war so kalt, aber heiß mein Begehren.
Ich trieb hin zur Mündung - benommen, wie trunken.

Das Wasser war ruhig. So ruhig! Ich schlief
und schaukelte traumlos dahin auf den Wogen.
Der Himmel bedeckte sich, legte mich schief.
Er weckte in mir, worum er mich betrogen,

bestürmte mich heftig mit dunklen Versprechen
und log im verschwommenen Spiegel die Brük-
ken haltbar. Es schien mir, sie werden nie brechen.
Umkehr sei möglich, ich könne zurück.

Ein Sonett Traverse, hier wird das Pferd von hinten aufgezäumt. Ursprünglich dazu gedacht, erst auf die Synthese einzugehen, bevor man sich These und Antithese zuwendet, wird diese Sonettform hier dazu verwendet, zwei Bewusstseinsebenen zu schildern, Verführung und Trugschluss/Betrug („der Kuss war so kalt“ - da lief also nichts, außer dass das LI auf den Geschmack/auf die Idee gekommen ist, dass es da noch etwas anderes geben könnte als diese ollen kalten Küsse, siehe „aber heiß mein Begehren“). Da ist also etwas schief gelaufen, da lief etwas – in diesem Falle auch schon an der Gedichtform erkennbar – völlig anders als erwartet, also entgegen der Konventionen, andersherum, außerhalb der Norm.
Während das lyrische Ich in den beiden vorangestellten Terzetten davon erzählt, wie es verlockt (S1, V1) und verführt (S2, V1 u.2) wurde, hadert es in den schwergewichtigeren Quartetten damit, dass diese Verführung auch Konsequenzen hat. Das Wasser in S3, V1 ist trügerisch ruhig, so einlullend ruhig, dass das LI sogar einschläft und dem, was dann folgt folglich hilflos ausgesetzt ist. Wie soll man sich schließlich wehren, wenn man im Schlafe überrascht wird, sich wehren, wenn man schläft, sich wehren, wenn man ohne eigenes Zutun in eine Sache schlittert, die man weder erwartet, noch durchblickt? Na ja, nicht ganz ohne Zutun, denn da ist ja gleich in S1, V2 dieser Blick, der aktiv wird, der hinüberschwimmt, sich in die wilden Fluten stürzt und dort versunken bleibt. Der hat anscheinend nur drauf gewartet, dass sich die Gelegenheit zu einem derartigen Bad einmal bietet, der zaudert nicht, der schwimmt einfach los, als sei es das Natürlichste auf der Welt. Derartige Unbesonnenheit nat natürlich Folgen; hier folgt das LI seinem Blick, treibt zur Mündung hin und ist trunken ob des frisch erwachten Begehrens.
Nicht nur das Wasser ist trügerisch. Trügerisch ist ab S3 auch der Himmel, deckt er doch nicht etwa liebevoll das schlafende LyrIch zu, sondern bedeckt nur sich selbst, zieht dem LI den Boden unter den Füßen, beziehungsweise die Decke weg, bis dieses ganz schief liegt! Er behütet nicht etwa den Schlaf, nein, er weckt, er erweckt Wünsche, Sehnsucht, weckt schlafende Hunde, weckt ein Begehren, das sich das LI vor dem in den Terzetten geschilderten Trugschluss nicht einmal geträumt hatte: Es w i l l jetzt verführt werden, es will dieser Verlockung erliegen, es will in den wilden Fluten der fremdem Gestade versinken! Scheibenkleister, wo bleiben die fremden Gestade, wenn man sie denn einmal braucht? Es ist wie mit den Polizisten: Die sind nie da, wo endlich einmal ein Verbrechen begangen werden will!

Einmal Verbrecher, immer Verbrecher. Man ist entweder einer oder man ist keiner, selbst in den Grauzonen wimmelt es von denen, die „ein bisschen auf die schiefe Bahn geraten“ sind, sich aber lieber aus Furcht vor dem Ausgeschlossen werden wieder an die Gesellschaft anpassen wollen, als zählte das, was in einem vorgeht weniger als das, was man lebt und zeigt. Es ist wie mit einer Schwangerschaft: Ein bisschen schwanger gibt es nicht, man ist ab dem Augenblick schwanger, ab dem die Samenzelle in die Eizelle eindringt, bekräftigt nur durch die Einnistung der befruchteten Eizelle im Körper, erlöst/befreut/unschwanger nur durch völlige Ausräumung der sich entwickelnden Keimzellen. Ist der schlafende Hund erstmal geweckt, bellt er auch, bellt und bellt, bis man ihn füttert, krault oder erschießt. Begehren kann man nicht erschießen. Es wächst und gedeeiht besonders, wenn es nicht erfüllt wird – aber selbst die Erfüllung ist kein Garant dafür, dass das Begehren danach verschwunden ist. Man füttert es also sowohl durch Erfüllung als auch durch Nichterfüllung, der Hund wird keine Ruhe mehr finden, bis irgendwann sein letzter Atemzug getan ist, Futter und Streicheleinheiten wird er nie ganz ausschlagen können, besonders, wenn beides von den richtigen Personen kommt, zu Deutsch: Um dieses lyrische Ich ist es geschehen, nichts ist mehr wie zuvor, nichts wird mehr schmecken, wie es einst geschmeckt hat, nichts fühlt sich an wie zuvor -es gibt kein zurück, alles andere ist (Selbst-) Betrug, betrug wie der gemogelte Reim in S4, V2, Selbsttäuschung wie dieses „Es schien mir, sie werden nie brechen.
Umkehr sei möglich, ich könne zurück.“. Der Blick versank einmal und blieb versunken.

Ein spannender Text mit verführerisch vielen Interpretationsmöglichkeiten, anwendbar auf Verbrechen, Süchte, Fremdgehen, Verlieben – ach, da gibt es der Möglichkeiten so viele, dass bestimmt jeder seine eigene Auslegung findet.

Mir hat es Spaß gemacht, meine Blicke in diesen Text zu versenken – und wenn das nicht Verführung pur ist, dann weiß ichs nicht besser. Ich werd mich dann jetzt mal losreißen. ;)

Liebe Grüße

Sabine

 Irma antwortete darauf am 25.04.13:
Liebe Sabine, ich bin ganz hin und weg, was Du in meinem Sonett alles finden konntest. Habe Deine Interpretation jetzt dreimal hintereinander gelesen und bin völlig sprachlos. Kann mich einfach nur ganz, ganz herzlich bedanken für Deine unglaublich ausführliche und intensive Beschäftigung mit meinem Gedicht, das Du mir durch Deine Worte jetzt viel schmackhafter gemacht hast! Ganz liebe Grüße, BirmchenIrmchen
(Antwort korrigiert am 25.04.2013)
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