neu geboren

Kurzgeschichte

von  Mullenlulle

In Bars wie diese hier kommt man rein, weil man weiß, was man will und geht wieder raus, ohne zu wissen, wer man ist. Geschweige denn, wer die anderen sind und was die von einem wollen. Das ist der normale Vorgang. Man zischt den ersten Drink, den zweiten und irgendwann auch einen dritten. Und wie jedes Mal kommt nach einer Weile jemand dazu und labert einen voll. Diesmal war's ein Spiritueller, der meinte, wer hier reinkommt, fühle sich sofort wie neugeboren. Das läge sozusagen in der Natur dieses Ortes. Ich bezweifelte das, weil ich wohl nicht mit der Vorstellung klarkam, behaart, stinkend und in voller Größe noch einmal aus dem Bauch meiner Mutter zu rutschen, um ausgerechnet hier zu landen. Aber was die anderen anging, hatte er nicht ganz Unrecht. Ich meine, seht sie Euch doch an, wie sie sich kreischend und nass vor Fruchtsaft auf der Tanzfläche krümmen, bevor sie ihre milchgeilen, lechzenden Mäuler in Richtung Bar strecken. Sowas kennt man sonst nur von Säuglingen.
Man selbst sitzt währenddessen ruhig in einer Ecke und beobachtet das Spektakel. Und wie man bewegungslos durch den wandstarken Dunst aus Neonlicht und blauem Zigarettenrauch auf diesen  Geburtsvorgang starrt, kriecht in einem die kalte Gewissheit nach oben: die verdreckten Zapfhähne sind in Wirklichkeit Zitzen und diese Zitzen kleben an den metallischen Titten des Todes und aus den Titten des Todes sprudelt die wahrhaft übelste Sorte Muttermilch, die man sich vorstellen kann. Nein, für diese Säuglinge dort gibt es keine Liebe mehr, nicht in diesem Leben.
Dann fragt man sich kurz, ob man auch so war, verwirft die Frage aber sofort. Schließlich ist man jetzt erwachsen und weiß, woran man da lutscht.
Ich trank einen Vierten, als plötzlich der Typ von vorhin neben mir stand, diesmal mit einer Tussi unterm Arm. Er zog mich ran und fahnte mir ins Gesicht: „Na, Mann, das hier ist &§${?%* ! Hab' ich auf der Tanzfläche kennengelernt.“ Er erklärte mir, solche Hammerweiber lerne man hier unglaublich schnell kennen! Das läge sozusagen in der Natur dieses Ortes. Du heilige Scheiße! Der Typ ging mir langsam gewaltig auf den Sack!
Schließlich, nach zwei weiteren Scotch, einem Gin Tonic, drei halben Litern Bier und einer Tüte feinstem afghanischen Dope, versuchte er aufzustehen. Dabei kübelte er seiner neuen Freundin zielgenau ins Dekolletee und fiel anschließend knittrig wie eine Ziehharmonika zusammen. Sie schrie, er schwieg und ich konnte mich vor lachen nicht halten.
Darauf wurde alles still. Der DJ hatte die Musik ausgestellt und die Säuglinge gafften lernbereit zur Bar. Ich hob ihn hoch, setzte mein miesestes Verbrechergrinsen auf und sagte: „Na, Du Penner! Ich sag dir was: Das hier ist die Realität! Säuglinge schlafen hier auf dem Boden! Das liegt sozusagen in der Natur dieses Ortes!
Danach trank ich aus, verließ schweißgebadet die Bar und schrie: „Gute Nacht, Ihr Wichser!“

Ich war glücklich. Ich war neu geboren.

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Kommentare zu diesem Text

Regentrude (53)
(27.11.12)
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 Mullenlulle meinte dazu am 27.11.12:
Freut mich, dass es dir gefällt! ^^ Deine Ausschnitt dazu passt auch sehr gut.

Die Sache mit dem Mayakalender erinnert mich immer an eine Karikatur, auf der zwei Mayas zu sehen sind. Der erste sitzt auf einem Stein, während der zweite an den letzten Stücken des Kalenders meißelt und sagt: "Scheiße, der reicht nur bis 2012!" Darauf erwidert der Erste: "Oh, das wird irgendjemandem mal gewaltige Kopfschmerzen bereiten!" ;)

LG. Mull
Elias† (63)
(28.11.12)
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 Mullenlulle antwortete darauf am 28.11.12:
Dankesehr! =) Grüße. R.

 Dieter_Rotmund (05.07.20)
Fängt interessant an, aber muss der Erzähler unbedingt so unsympathisch sein?
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