Hannover-Laatzen, Tankstelle Hemmingener Weg

Text

von  toltec-head

Manchmal hat man den Eindruck, dass Hannover nie endet. Dicht wie Arschhaare ist das Gestrüpp der Vororte, manch einer bleibt da hängen und findet nie ins Freie.

Kürzlich in Laatzen an der Tankstelle Hemmingener Weg gestrandet. Wollt noch schnell einen Kaffee trinken, sitzt da ein alter Mann mit einer Flasche Rotwein. Neben ihm Tüten mit gesammelten Pfandflaschen, vor ihm ein Moleskine, in das er was srkibbelt. Ohne aufzuschauen sagt er zu mir:

- Die Literatur ist eine Frau.

Er legt den kostbaren Goldfederfüllhalter in das Moleskine, streichelt seinen schmutzig-struppigen Salz und Pfeffer Bart und schaut mir in die Augen.

- Die Wahrheit ist eine alte Frau, sagt er. Die Literatur aber ist eine junge Frau. Deshalb ist es so verdammt schwer mit ihr. Sie will verführt werden. Dafür brauchst Du Stil, Junge. Der Wahrheit ist egal, ob jemand Stil hat. Nicht so der Literatur.

Er schaute kurz aus dem Fenster nach Draußen auf die Strassen von Hannover-Laatzen.

- Most people ain´t got no style. They´re shit and they know it.

Und dann schaut er mir wieder in die Augen:

- Aber der Wahrheit wie dem Leben ist Stil egal. Und wenn ich wählen könnte, ich würde auch lieber das Leben wählen. Wenn Du zu einer Prostituierten gehst, brauchst Du keinen Stil. Musst niemanden verführen. Der Einsatz ist auf jeden Fall geringer. Und die Erfolgschancen ungleich höher. Also, warum nicht zu einer Prostituierten gehen?

Er begann wieder etwas in sein Moleskine zu skribbeln. Beinah hatte es den Anschein, er hätte das Interesse an mir verloren.

- Gut, aber hören sie, sagte ich zu ihm, wenn die Wahrheit eine alte Frau und die Literatur eine junge Frau ist, was ist dann das Leben?

Er würdigte mich keines Blickes, schrieb einfach weiter und murmelte in seinen Bart:

- That´s an easy one, son. Life is an experience only few survive.

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Kommentare zu diesem Text

AronManfeld (43)
(09.12.12)
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 toltec-head meinte dazu am 09.12.12:
Als wenn das, was "wirklich in mir ist" oder das "was ich wirklich sagen will" nicht bereits der allerschlimmste Aufgruss wären. Also, damit meine ich, die Vorstellung, dass es so etwas geben könnte, das ist bereits Aufgruss und allerschlimmst, weil er völlig unreflektiert so aus den Leuten halt heraus fließt.

Auch bin ich ein kleiner beschissener Angestellter, der in seinem Wohnklo vor dem Computer hockt und Literatur "spielt" und ganz sicher nicht die Literatur "ist". Wenn Bukowski Literatur "ist". Einverstanden. Kann er gerne sein. Ich bin´s nicht.
AronManfeld (43) antwortete darauf am 09.12.12:
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 toltec-head schrieb daraufhin am 09.12.12:
Wer will denn heute schon noch Literatur sein? Vlt ein paar Jungens aus dem Osten. Leipziger Schule. Wie heißt noch mal der mit den langen Haaren, der "Simple Stories" geschrieben hat? Schau dir doch mal die Leute an, die heute noch Literatur sein wollen. So mag doch heute wirklich niemand mehr aussehen.

"Du bist Literatur, wenn Du es wirklich willst - Du kokettierst noch zu sehr mit Lesefrüchten; werd Du selbst"

Kann es sein, dass ich gerad aus DEINER Literatur-Muschi den Charles gemischt mit ein bischen Christa Wolf rieche? Ferkel.
AronManfeld (43) äußerte darauf am 09.12.12:
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parkfüralteprofs (57) ergänzte dazu am 09.12.12:
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 toltec-head meinte dazu am 09.12.12:
Danke, Eckermann.

Bestimmt sind die Delfine von Pattaya daran schuld.

 Dieter_Rotmund (10.12.12)
Lebendige Szene, nettes Dialogpaar, aber warum da jetzt unbedingt Englisch gesprochen werden muss, verstehe ich nicht...
...wahrscheinlich, weil banale Binsenweisheiten auf Englisch irgendwie nach mehr klingen, oder?
parkfüralteprofs (57) meinte dazu am 10.12.12:
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 toltec-head meinte dazu am 10.12.12:
Warum aber hat er´s denn, ich hab´s ja mal wieder gar nicht gelesen, "Simple Stories" genannt? Sollte wohl irgendwie nach mehr klingen als "Einfache Geschichten". Und warum immer so korrekt? "Simple Storys" wie ParkfüralteProfs uneckermannartig schreibt wäre doch so viel ossihaft fantasievoller gewesen.

"Life is an experience only few survive"

"Leben ist eine Erfahrung, die nur wenige überleben".

Weiss nicht, ob das eine Binsenwahrheit ist ("Wir alles sterben" wär´s), aber auf Englisch klingt´s tatsächlich cooler. Hab versucht die Quelle zu googlen (ist natürlich nicht von mir, die "Binsenwahrheit"), konnte sie aber nicht wirklich dingfest machen. Hat mit Hemmingway (deshalb Hemmingener Weg, von wegen Bukowski) und dem Mann zu tun, von dem auch stammt:

"It ist not necessary to live. It is necessary to travel."

Würd sich glaub ich auch gut auf Latein machen. Auf Deutsch klingt´s indes wie ein Werbespruch für TUI:

"Es ist nicht nötig zu leben. Es ist nötig zu reisen."

"Die Wahrheit ist ein altes Weib" ist glaub ich ein Nietzsche-Zitat, hab´s aber auch nicht extra vorher gegoogelt.

In Leipzig gibt´s eine "creative writing" Schule. Die schreiben zuerst alle in Moleskines und publizieren dann bei Suhrkamp.
parkfüralteprofs (57) meinte dazu am 11.12.12:
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 Dieter_Rotmund meinte dazu am 11.12.12:
Das hat zwar nichts mehr mit Toltecs Tankstellengeschichte zu tun, aber die FAZ hat über den Suhrkampstreit ordentlich recherchiert und kompetente Artikel darüber geschrieben, so auch heute wieder auf der ersten Seite des Feuilletons, die widerliche BamS muss man hier nicht unbedingt als Referenz nennen!

 Dieter_Rotmund (11.12.12)
Das hat zwar nichts mehr mit Toltecs Tankstellengeschichte zu tun, aber die FAZ hat über den Suhrkampstreit ordentlich recherchiert und kompetente Artikel darüber geschrieben, so auch heute wieder auf der ersten Seite des Feuilletons, die widerliche BamS muss man hier nicht unbedingt als Referenz nennen!
parkfüralteprofs (57) meinte dazu am 13.12.12:
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 duluoz (16.08.13)
...HEY so viele hundertmal wie ich in den etzten 30 jahren in hannover war kann ich dich nur beglückwünschen KLASSE geschrieben, oder waren es tausende mal---BEST...duluoz...

 toltec-head meinte dazu am 17.08.13:
Vielen Dank :)
eilika (33)
(24.08.13)
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 toltec-head meinte dazu am 24.08.13:
Die Frau ist für Männer das ganz Andere wie die Poesie. Ob für Frauen die Poesie männlich ist? Ich bezweifel es. Die Dinge sind verworren und sehr tief reichen unsere Blicke nicht.
eilika (33) meinte dazu am 24.08.13:
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