Urlaubsfreuden 3. Das Hotel.

Erzählung zum Thema Urlaub/ Ferien

von  Orion

Unser Hotel! Nach langem Suchen und umfangreicher Internet-Recherche sollte es genau dieses Hotel sein. So jedenfalls hatte es sich meine Ehefrau Lea vorgestellt und mir blieb nur, sie zu dieser Wahl zu beglückwünschen. Nun stehen wir leibhaftig davor!
„Lasst uns zur Rezeption gehen!“ rufe ich meiner sich bereits auf dem Weg dorthin befindenden kleinen Familie hinterher.
Die große Glastür öffnet sich automatisch, eine Welle kalter Luft drängt sich an uns vorbei in die warme Freiheit. Prächtig, dieser Bau. Glänzender Marmor, dunkles Holz, die hinter dem Rezeptionstresen stehenden  uniformierten Angestellten starren uns herablassend entgegen.
„Buenos Dias“ entbiete ich als Gruß, der mit einem „Guten Tag“ schmallippig erwidert  wird.
„Wir sind Familie Hallmann aus Deutschland und machen das erste Mal in Ihrem Hotel Urlaub. Das sieht ja alles so schön aus. Wir haben über das Reisebüro gebeten, ein Appartement mit Meerblick zu erhalten. Hat das geklappt?“ Lea wirkt aufgedreht, ihre Lebensgeister wurden durch das Abklingen der allergischen Hautreaktion offenbar wieder geweckt.
Das mit viel bunter Schminke bedeckte, überhebliche Interesselosigkeit am soeben Gesagten signalisierende Gesicht der angesprochenen uniformierten Empfangsdame wendet sich meiner Frau Lea zu: „Kann ich bitte Ihre Reiseunterlagen einsehen?“
Überraschenderweise hat Lea diese sofort zur Hand und legt sie vorsichtig auf den Tresen. Unsere Tochter Heidi hat inzwischen Prospekte verschiedener Anbieter für Super-Giga-Adventure-Kameltouren, Magic-Hyper-Action-Taucherlebnisse und Mega-Tierpark-Adventure-Safaris auf den umstehenden Tischen gefunden und blättert eifrig darin herum.
Nach langem, wortlosen Studium unserer Unterlagen, von Lea und mir ehrfürchtig schweigend begleitet, lediglich unterbrochen vom „Klack-Klack“ der Computer-Tastatur, auf welche die dunkelrot gestrichenen Fingernägel der sportgestählten Angestellten währenddessen einhacken, richtet sich das bunte Gesicht wieder auf Lea. „Appartement 7306. Augenblick noch!“
Ihre tadellose Hand hebt ein bisher in der rechten Brusttasche ihrer Uniform verborgenes Funkgerät an die im Farbton der Fingernägel bemalten Lippen. Der anschließende Sprechfunkverkehr in der Sprache der Ferieninsel vermittelt uns den Eindruck grandioser Beherrschung der Landessprache einerseits und absoluter Machtfülle andererseits. Triumphierend steckt unser Gegenüber das Funkgerät nach Beendigung des Monologes sehr langsam (mir ist dabei ein kurzes, leises Aufstöhnen nicht entgangen) in die Brusttasche zurück und heftet den Blick abrupt auf Lea, die unwillkürlich einen Schritt nach hinten macht.
„Ihr Appartement ist in wenigen Augenblicken bezugsfertig. Alles Weitere können Sie dieser Broschüre entnehmen. Einen schönen Aufenthalt auf Fortivovanosa und in diesem Hotel. “ Damit überreicht sie uns die umfangreiche Hotelprospektmappe und wendet sich wieder ganz konzentriert ihrer Computertastatur zu. Unsere Audienz ist hiermit augenscheinlich beendet.
Unbewusst folge ich einem alten Reflex und will mich rückwärtsgehend mit einer ununterbrochenen Abfolge von Bücklingen aus der Hotelhalle entfernen, als mich gerade noch rechtzeitig die Stimme meiner Tochter Heidi in die Gegenwart zurückholt. „Papa, was ist Snuppatauchn?“
„Lasst uns zuerst mal die Koffer in das Appartement bringen. Dann sehen wir weiter!“ Lea hat ihre Sprache wiedergefunden!

Zum Öffnen der Appartement-Tür dienen kreditkartengroße, weiße Plastikkärtchen, welche auf einer Seite mit dem Namen und Emblem des Hotels sowie der Zimmer- bzw. Appartement-Nr.  und auf der anderen Seite mit einem Richtungspfeil bedruckt sind. Der korrekte Tür-Öffnungsvorgang ist 4-sprachig und bebildert auf einem DIN-A 4-großen Plastik-Aufkleber über dem elektronischen Türöffner auf jeder Eingangstür abzulesen.
Obwohl ich mich genau an diese Anleitung halte, funktioniert es nicht. „Ich glaube, das Schloss ist nicht in Ordnung, Lea. Wir sollten die Rezeption …“
„Gib her!“ Mit ungeduldigem Blick entwindet mir Lea die Karte. „Vielleicht sollte man die Gebrauchsanweisung mal genauer lesen und nicht immer gleich wild drauflos fummeln!“ 
Nach verbissenen, immer wort- und erfolgloser werdenden Versuchen, selbst unter genauester Beachtung der Vorgaben des auf der Eingangstür klebenden  DIN-A 4-Blattes, gibt Lea überraschenderweise auf. „Ich weiß nicht, was Du hier kaputtgemacht hast, aber jetzt funktioniert es nicht mehr. Wir müssen an der Rezeption Bescheid sagen. Hast Du prima hingekriegt!“
Bevor ich mich auf diese verblüffende Wendung der Angelegenheit einstellen kann meldet sich meine Tochter Heidi: „Du, Mama, ich glaube, ihr habt die falsche Karte genommen. Hier steht, die Karte mit dem blauen Pfeil ist für die Stromversorgung im Appartement und die beiden mit dem grünen Pfeil sind für die Eingangstür da.“ Sie hält uns den Hotelprospekt entgegen und zeigt mit dem Finger auf die entsprechende Stelle. „Das solltet ihr euch mal durchlesen! Da steht auch noch mehr drin!“
Kurze Zeit später stolpern wir grummelnd in unsere dämmerlichtige Behausung für die nächsten 14 Tage, schieben die Koffer in die nächsten Ecken, öffnen die fledermausflügellederartigen Sonnenschutzvorhänge und sind von der Aussicht beeindruckt. Tatsächlich, unser Appartement hat einen fantastischen Meerblick!
Lea sieht auf ihre Armbanduhr: „Los, Hände waschen, umziehen und ab zum Abendessen. Ich habe einen Bärenhunger.“

Nach einigen Durchquerungen der gesamten Anlage und umliegender Gebiete aufgrund fehl-/irreweisender Wegweiser gelangen wir unerwartet zum Eingang des Speisesaales, aus dem wolkenartig appetitanregende Nahrungsgerüche und ein lautes Gemenge aus Geschirrklappern, Kindergeschrei sowie Stuhl- und Tischgeschiebe dringt.
„Ihre Zimmernummer, bitte!“ Dieser Wunsch wird diskret von einem uniformierten, hinter einer Registrierkasse stehenden Mitarbeiter des Hotels an meine vorangehende Ehefrau Lea gerichtet.
„7306!“ kommt die knappe Antwort, woraufhin der rechte Zeigefinger des Uniformierten langsam auf einem Computerausdruck von oben nach unten wandert.
„Ah, hier. Familie Hallmann. Appartement 7306. Das macht dann pro Person 19,50 Euro.“
„Wie bitte?“ Meine Ehefrau ist hungrig und der gesicherten Meinung, durch die gebuchte Halbpension ein Anrecht auf nicht zu bezahlende Abendmahlzeiten zu haben. Entsprechend formuliert sie ihre Antwort an den uniformierten Mitarbeiter.
„Nun, Senhora Hallmann, das stimmt natürlich. Aber leider erst ab morgen. So steht es niedergeschrieben in den Vertragsbestimmungen, die von Ihnen unterzeichnet worden sind. Heute ist Ihr Anreisetag. Sie verstehen? Ihr  A_n_r_e_i_s_e_t_a_g !“
Ich bewundere die zwar mit Akzent gesprochene, aber dennoch ausdrucksstarke Rede.
Während der daraufhin sehr emotional vorgetragenen, sich auch mit dem Thema „Anreisetag“ befassenden Erwiderung meiner Ehefrau versuchen einige der bislang brav in der durch die Verzögerung entstandenen und sich im Sekundentakt verlängernden Schlange stehenden, ebenfalls hungrigen Hotelgäste, zügig an unserer kleinen Diskussionsrunde vorbei in den Speisesaal zu gelangen.
„Halt, bitte! So geht das nicht! Ich muss zuerst Ihre Zimmernummern mit meiner Liste abgleichen. Bitte stellen Sie sich wieder in die Warteschlange!“ Der Uniformierte nimmt seine Aufgabe ernst, muss aber aufgrund der Reaktion der einzudringen wünschenden hungrigen Menschenmassen sogleich zur Kenntnis nehmen, dass seiner Autorität Grenzen gesetzt sind.
„Jeden Abend derselbe Scheiß mit diesem Kasper! Los, wir geh’n jetzt da rein!“ lässt sich eine energische Männerstimme vernehmen. Zustimmendes Gemurmel ertönt aus der gesamten Warteschlange, die sich daraufhin umgehend komplett Richtung Buffet in Bewegung setzt.
Wir schließen uns der Gruppe an, die befremdlich klingenden Verwünschungen des Uniformierten ignorierend.
Nach wenigen Metern jedoch stoppt der Zug. Das Personal des Speisesaales und der Küche hat aus mehreren teewagenähnlichen Fahrzeugen eilig eine Barriere vor dem Buffet aufgebaut und sich dahinter in Stellung gebracht, einige halten große Kochgeschirrdeckel wie Schilde vor sich, andere wedeln aggressiv mit Geschirrhandtüchern. Die Situation wirkt ebenso bedrohlich wie bizarr und eskaliert in dem Augenblick, in dem den in unserer vordersten Reihe Stehenden kraftvoll mit lautem Klatschen die nassen Handtücher um die Köpfe geschlagen werden.
Brüllend durchbrechen wir daraufhin die Teewagenphalanx, schubsen die sich verzweifelt, aber hoffnungslos wehrenden  Angestellten beiseite und füllen die vorsorglich mitgebrachten Plastiktüten bis zum Rand mit den vielfältigen Köstlichkeiten des langsam unter Menschleibern verschwindenden Buffets.
Einige Zeit später, schmatzend auf unserem Balkon mit Meerblick sitzend, sehen wir zu, wie die herbeigeeilte Polizei mit gezogenen Schlagstöcken in den grandios durch Besteck- und Flaschenwürfe verteidigten Speisesaal einzurücken versucht, aus angemessener Entfernung  rhythmisch angefeuert vom schmählich besiegten  und verjagten Personal des Speisesaales und der Küche.
„Hoffentlich kommt da jetzt nichts nach“, sagt meine Ehefrau Lea. „Hast du noch ein gebratenes Hühnerbein?“ fragt meine Tochter Heidi.
„Mir ist da ein wirklich ausgezeichneter Rotwein in die Hände gefallen“,  sage ich.

Exkursion ins Unbekannte! Unter diesem Motto soll die noch in ihren Einzelheiten zu planende Inselrundfahrt mit unserem makellosen Mietwagen stehen. Die im Fahrzeug aufgefundene Straßenkarte zeigt die Straßen in verschiedenen Farben an, um dem Benutzer die Art und den Zustand der jeweiligen Verkehrswege zu dokumentieren.
Es findet sich der dick gedruckte Hinweis, dass von uns nur gelbe und grüne Straßen (Klasse 1 und Klasse 2) befahren werden dürfen, da wir uns entschlossen haben, einen straßen- aber nicht geländetauglichen Wagen zu mieten. Denn ausschließlich nur diese –von uns leider nicht gemietete- Fahrzeugart darf auch auf den blau und rot (Klasse 3 und Klasse 4) gekennzeichneten Verkehrswegen unterwegs sein. Dieser Hinweis dient unserer physischen und finanziellen Sicherheit! Ein Verstoß gegen diese Vorschrift hat automatisch den Verlust aller Fahrzeugversicherungen und zusätzlich noch ruinösen Schadensersatz zur Folge!
Eingedenk des soeben Gelesenen nehme ich staunend das von meiner Ehefrau Lea und meiner Tochter Heidi ausgewählte Ziel zur Kenntnis.
„Hier müssen wir unbedingt hin, Papa. Da gibt es eine alte, geheimnisvolle Villa, Villa Herbst heißt die. Im Internet haben Mama und ich gelesen, dass dort geheime Gänge und Bunker existieren sollen, die bisher noch keiner gefunden hat. Stell‘ dir vor, wir finden da was!“
Aufgeregt tippt Heidi auf die aufgeklappte Landkarte. „Hier ist es. Am Strand von Cafeto!“
„Ja, sicher, das ist bestimmt interessant, Heidi. Aber mit unserem Auto dürfen wir da nicht hinfahren. Sieh mal, die einzige Straße nach Cafeto ist rot. Das heißt, Klasse 4, sicherlich nur eine Art Feldweg. Das hält unser Mietwagen nicht aus. Wenn da was kaputtgeht zahlt die Versicherung garnichts und wir alles!  Das Risiko sollten wir nicht eingehen!“
Lea setzt natürlich sofort zu einer Erwiderung an, aber ich bin schneller.
„Wenn ihr unbedingt dahin wollt, müssen wir einen Geländewagen mieten. Der kostet aber für einen Tag so viel wie unser Mietwagen in zwei Wochen, daher sollten wir uns einfach ein anderes Ziel … hallo, wo wollt ihr hin?“
Meine Frage wird durch Hochhalten des Werbeprospekts der im Hotel vertretenen Autovermietung beantwortet, dann fällt die Tür hinter Lea und Heidi ins Schloss. Ich bleibe, langsam einschlummernd, in ahnungsvoller Stille zurück.

„Papa, wach auf! Mama hat ein tolles Schnäppchen bei der Autovermietung gemacht. Komm mal raus“, ruft Heidi, während sie aufgeregt an meiner Schulter rüttelt.
Noch benommen folge ich ihr auf den hinter dem Gebäude liegenden Parkplatz, auf dem sich eine glücklich strahlende Lea stolz gegen den Vorderreifen eines wahren Ungetüms von militärfarbenem Geländewagen lehnt.
„Damit sollte Cafeto nun kein Problem mehr darstellen. Mir wurde vertraglich zugesichert, dass wir mit diesem Trümmer überall fahren dürfen. Ist alles versichert. Los, Sachen packen und ab ins Abenteuer. Ich fahre übrigens!“
Mein begeistertes „Okay, super gemacht, Mädels! Ich kann’s kaum erwarten!“ gehört in die Rubrik „schauspielerische Glanzleistung“.
Kurze Zeit später, die nötigen Abenteuerutensilien wie Wasserflaschen, Sonnencreme, Taschenlampe und Butterkekse sind verstaut, startet Lea den Motor, tippt gegen einen kleinen Hebel und fährt elegant vom Parkplatz.
„Der macht alles automatisch“, sagt Heidi ungefragt. „Man muss nur „Vorwärts“ oder „Rückwärts“ anklicken und Gas geben.“
Je länger wir unterwegs sind, desto ruhiger werde ich. Lea steuert dieses riesige Fahrzeug über die Straßen, als ob sie nie etwas anderes gemacht hätte. Kein Vergleich zu der unsicheren Fahrweise, die sie zu Hause mit ihrem „Hundoyota City Micro“  an den Tag legt.
Durch die Beschleunigungskräfte während eines Überholvorgangs in die Polster gepresst stelle ich die Frage nach der PS-Zahl des Motors.
„Ich weiß es, Papa. 380 Diesel-PS. Das hat der Mann vom Vermietungsbüro gesagt. Ist das viel?“
„Es reicht für eine flotte Fahrweise!“ sagt Lea, während sie unaufgeregt ein weiteres Auto überholt.
„Da vorn geht es rechts ab nach Cafeto, Mama“, sagt Heidi nach diversen weiteren Überholvorgängen, dabei auf das Hinweisschild am Straßenrand und einen staubigen, schmalen Weg deutend, der sich weiter hinauf in die bedrohlich vor uns auftürmenden Berge schlängelt.
„Cafeto, wir kommen“, murmelt Lea leise und biegt unvermittelt ab.

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