Keine Menstruationslyrikerin: Sei Shonagon (966 - 1025) und ihr Kopfkissenbuch

Essay zum Thema Literatur

von  toltec-head

Die Shonagon war eine der ganz wenigen nicht-lesbischen Autorinnen, die etwas vom Satzbau verstand. Sie schreibt agressiv, lakonisch; niemals sind ihre Sätze bedeutungsschwanger. Man sage nicht, sie sei keine Lyrikerin gewesen, der gute Satzbau ist auch das Wesen guter Lyrik. Wie alle glücklichen Sadisten liebt sie es Listen anzulegen: Was den Eindruck von Hitze vermittelt, Was verwirrt, Wobei man sich langweilt, Unsauberkeiten, Was einem Schrecken einflösst, Was verwirrend und befremdend wirkt, Was zu nichts zu gebrauchen ist. Zum letzteren heißt es: Ein häßlicher Mensch, der ein schlechtes Herz hat.

In unserer Diktatur der Nettigkeit, wäre der Shonagon ein Außenseiterstatus garantiert. Nicht Toleranz ist ihr Motto, sondern den schädlichen Anderen durch Literatur unschädlich machen. "Es ist für mich interessant, zu denken, dass solche für mich interessante Beobachtungen für andere nicht interessant sein könnten."

Ihr aristokratischer Instinkt für Schönes und Hässliches ist durch kein christliches Gutmenschentum getrübt und richtet sich durchaus auch gegen die Schöpfung: "Der Reiher hat häßliche Augen. Ich finde ihn in jeder Hinsicht abscheulich."

Sieht sie hässliches in alten Leuten, denkt sie nicht, ich werde auch mal alt und hat Mitleid, sondern: "Man wärmt sich die Hände über dem Kohlenbecken, dabei reibt man sich die Hände immer wieder, als wollte man sich die Runzeln glattstreichen, dreht die Hände um und tut wieder dasselbe. Ich finde diese Angewohnheit schrecklich! Junge Leute tun so etwas nicht. Ausgerechnet die Alten machen damit alle auf ihre häßlichen Hände aufmerksam."

Nach einer Liebesnacht schreibt sie nicht ein menstruationslyrisches Gedicht, in dem Frau Luna, durch das Fenster hereinblickt, sondern notiert: "Man hat die Dummhiet begangen und einen Mann heimlich bei sich nächtigen lassen, und da fängt er an zu schnarchen. Wie unangenehm ist das!"

Unter der Rubrik "Ernüchtertendes" heißt es: "Ein Hund, der am hellichten Tage bellt. (...) Ein angesehener Gelehrter, der immer nur Töchter bekommt."

Was den Eindruck von Hitze vermittelt: "Eine sehr dicke Person mit vielen Haaren."

Wobei man sich langweilt: "Im Hause eines Mannes, der bei der Ernennung der Präfekten kein Amt erhalten hat."

Was verwirrend und befremdend wirkt: "Katzenohren von innen."

Wo sind die Frauen geblieben, die sich die Katzenohren von innen anschauen und uns ihre Befremdlichkeit spüren lassen?

Indes rollt die Lawine von Menstruationslyrik im Internet auch heute wieder weiter. Was alles hässlich ist. Zum Beispiel auch dies.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (08.01.13)
Nicht schlecht, hat aber Längen, finde ich.

 thomas (08.01.13)
Moin!

Frau Sei hat es dank Deiner Rezension auf meine "to read" - Liste geschafft. Wenn ich mich dafür bei Dir bedanken sollte, sei dies hiermit geschehen.
Dein essayistisches Umzu ist wohl als Fundamentalkritik an den gängigen Umgangsformen zu verstehen. Ich sehe das wesentlich entspannter, weil diese gähnenden Nettigkeiten reihum zyklisch *gg* aufgebrochen werden. Okay, neuerdings muß jede(r) Motzki mit einem Platzverweis rechnen - man sollte abwarten, ob und welche Konsequenzen das hat.
Es würde mich jedoch nicht wundern, wenn das "Kopfkissenbuch" eine fulminante Renaissance erlebt.

vg thomas

 toltec-head meinte dazu am 08.01.13:
Sie hatte mal eine (kurze) Renaissance in den 90ern, als Greenaway mit "Pillowbook" eine filmische Adaption versuchte.

 Greenaway´s Pillow Book

 thomas antwortete darauf am 09.01.13:
Ich glaube dunkel zu erkennen, daß sie erst entlaust und dann gevögelt wird

 toltec-head schrieb daraufhin am 13.01.13:
Die Japaner sind so etwas wie die Schweizer des Ostens :)

 Dieter Wal (08.01.13)
Witzig, unterhaltsam und lehrreich.

"Wie alle glücklichen Sadisten liebt sie es Listen anzulegen: Was den Eindruck von Hitze vermittelt, Was verwirrt, Wobei man sich langweilt, Unsauberkeiten, Was einem Schrecken einflösst, Was verwirrend und befremdend wirkt, Was zu nichts zu gebrauchen ist."

Dachte dabei an jemanden und lachte (aus Schadenfreude). Großschreibung von "was" und generell Groß- und Kleinschreibung sowie Zeichensetzung ist optimierbar.

"In unserer Diktatur der Nettigkeit, wäre der Shonagon ein Außenseiterstatus garantiert. Nicht Toleranz ist ihr Motto sondern den schädlichen Anderen durch Literatur unschädlich machen."

Super formuliert. Sagt auch etwas über toltec-head?

"Ihr aristokratischer Instinkt für Schönes und Hässliches ist durch kein christliches Gutmenschentum getrübt" Schwingt sich in Krachtsche Höhen. "Gutmensch" ohne Ironie bewirkt bei mir gemischte Gefühle, hier ist allerdings keine Interpretation denkbar, die für mich eine rektionäre Lesart Richtung Sender offen lässt.
(Kommentar korrigiert am 08.01.2013)

 niemand äußerte darauf am 16.08.15:
Es ist nichts einzuwenden gegen eine solche Schreibart dieser besagten Person/Dichterin. Jeder darf alles so sehen wie es ihm beliebt. Mich würde es mehr interessieren, ob besagte Wörtlerin auch sich selbst gegenüber dermaßen kritisch war, wie sie es anderen Wesen gegenüber zu sein pflegte, oder war sie sich selber gegenüber mit einer rosaroten Brille gesegnet? Nur wer bereit ist sich selber im klaren und unbarmherzigen Licht zu betrachten, nur dem kann man allen Ernstes seine Unbarmherzigkeit anderen gegenüber abnehmen, ansonsten wirkt er unglaubwürdig, so unglaubwürdig wie manche Kritiker hier.
LG niemand

 toltec-head ergänzte dazu am 16.08.15:


Einfach nur arrogant sein, geht auch
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