Die Königin aller Menstruationslyrikerinnen: Friederike Kempner (1828-1904)

Essay zum Thema Literatur

von  toltec-head

"Jegliche Verstopfung weicht,
Alle Herzen werden leicht.
Und das meine fragt sich still
Ob mich dies Jahr einer will."

Nein, es wollte sie auch dieses Jahr wieder keiner: Friederike Kempner, die "schlesische Nachtigall", die Königin aller Menstruationslyrikerinnen. Wie in allen Jahren zuvor und danach ersetzten der Kröte Metrum und Reim jedoch jeden Mann. Fleißig machte sie sich an die Arbeit:

"Willst verdienten Preis gewinnen,
Muß der Schweiß herunter rinnen
Von der Decke bis zur Diele."

Good writing is hard work. Niemand wusste das so gut wie die Kempner. Die schöne Stilblüte von den Stümpern, denen die Verslehre als nicht nachzuvollziehende Wüste erscheint, stammt zwar nicht von ihr, sondern von Heidrun. Aber als Ruferin in der Wüste sah sich auch die Kempner.  Rimbaud und Lautréamont wurden zu ihren Lebzeiten geboren. Als unermüdliche Wüstenbefruchterin hatte sie aber natürlich keine Zeit hiervon Kenntnis zu nehmen.

"Welche Wonne, welches Glück
Welcher Jubel kehrt zurück!
Einzig Glück wohnt nur im Licht,
Gott, ich lese ein Gedicht."

Nein, sie hatte Rimbaud und Lautréamont wahrlich nicht gelesen.

"Mit regem Dankgefühl
Send ich euch wieder mal
Euch Blätter ohne Zahl
Ins menschliche Gewühl."

Metrisch korrekt näherten sich ihre Verse augenzwinkernd weiter Weimar an. Wenn das 20. Jahrhundert das Jahrhundert Rimbauds und Lautréamonts werden sollte, war dies auch ihr zu verdanken. Durch sie fiel im Nachhinein auch ein Generalverdacht auf Schiller und Goethe. Hatten die etwa doch auch nur mit Wasser gekocht? Hatten sie nicht irdisches Gewühle doch auch nur auf Gefühle gereimt, und Gesträuch auf Zweig?

Verse wie

"Das waren die Spiele,
Das kindliche Glück.
O ruft mir Gefühle
Der Kindheit zurück."

ließen selbst Hölderlin auf einmal fatal nach Kempner klingen.

Wenn sie nicht dichtete oder in den Klassikern korrekter Metrik las, aß sie gern schon mal ein Rührei. Zum Glück gibt es eben auch ohne einen Mann Wege der wertvollen Eiweißzufuhr:

"Frühling ist, wenn frohgemut
Man Schnittlauch sich aufs Rührei tut."

Und wenn das Eiweiß dann im Frühling in ihr hochkochte, klang das so:

"O Röslein mein, Mimöslein mein
Und lustiges, hüpfendes Vögelein."

Ulrich Holbein: "Friederike Kempner stocherte - ganz ohne helle Momente - vorauseilend in den schwachen Minuten jeglicher Hausfrauenlyrik, wenn nicht gar Lyrik. Keine Lyrikerin ahnte, wie fatal jede Lyrikerin sich nach jener Lyrik anhörte, die fatal nach Lyrik roch." (Narratorium)

"Sperrt euch ein in große Städte,
Athmet ein die dicke Luft
Was ein Andrer ausgeathmet,
Nein, das ist kein süßer Duft."

Ulrich Holbein: "Nicht jede Lyrikerin des 20. Jhrdts. konnte verbergen, eine kempnerische Familienähnlichkeit aufzuweisen. Jede litt am Damokleskochlöffel: Können schöne Seelen und gute Menschen Kunstwerke gebären?, als wären Ulla Hahn, Reiner Kunze, Sarah Kirsch ganz andere lyrische Kaliber."

Der Fehler ein Buch mit dem Titel "Ich kann auch Prosa" zu veröffentlichen, ist ihr indes nie unterlaufen.

Wie Baudelaire, den sie selbstredend nie las, wusste sie: Man kann nur einer Gottheit dienen. Die ihre war die Poesie.

"Heil´ge Gottheit, höre mich,
Tief im Staube preis ich Dich!"

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Kommentare zu diesem Text


 TassoTuwas (10.01.13)
Die Kempnerschen Sprachunfälle haben einen vielfach höheren Unterhaltungsfaktor als so manches hier auf Tiefsinn
geprügeltes Werk, wie z.B. die Menstruationslyrik und jeder zweite sog."Aphorismus.
Gruß TT

 toltec-head meinte dazu am 10.01.13:
"wie z.B. die Menstruationslyrik" - ist gewitzt doppeldeutig. Danke hierfür.

Du hast sicher Recht. Nur, von von Sprachunfällen kann man bei der Kempner ja eigentlich nicht sprechen. An sich hat sie alles richtig gemacht. Sie hat alles genau so gemacht wie es in den Lyrikhandbüchern, die es ja auch schon zu ihrer Zeit gab, steht.

Die Abwesenheit von Unfällen (im Leben, wie im Werk) - DAS ist ihre persönliche wie dichterische Katastrophe!
LudwigJanssen (54) antwortete darauf am 10.01.13:
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 toltec-head schrieb daraufhin am 10.01.13:
Ludwig, es ist doppeldeutig, was er meint: Deine Werke "Menstruationslyrik" oder die anderenorts unbewußt produzierte Menstruationslyrik als solche. Weil es netter ist, habe ich mich für die zweite Interpretation entschieden.

 Dieter Wal (10.01.13)
Du hast mir eine Perle der Dichtkunst erschlossen. Sei froh, dass Baudelaire, Rimbaud und Lautréamont sie nie lesen mussten.

"Frühling ist, wenn frohgemut
Man Schnittlauch sich aufs Rührei tut."

Das sind deine Verse. Gib zu! :)

PS: Einbau von schlappen toltec-head-zitaten von gestern sind nicht der Bringer.
(Kommentar korrigiert am 10.01.2013)
parkfüralteprofs (57) äußerte darauf am 11.01.13:
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 Dieter Wal ergänzte dazu am 11.01.13:
Grazie, Signore!

 Dieter_Rotmund (11.01.13)
Gerne über die Königin aller Menstruationslyrikerinnen gelesen, aber es sind doch arg viel Absätze, oder?
Menschenkind (29)
(11.01.13)
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 toltec-head meinte dazu am 14.01.13:
Danke.

Ich habe Dich vermisst :)
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