Teil 10

Roman

von  AnastasiaCeléste

Ein Beben grollte durch seinen Körper. Immer wiederkehrende Schauer der Erregung durchströmten ihn. Der Atem ging schwer. Seine Lungen dehnten sich mit jedem Atemzug und nährten ihn mit Kraft. Einer Kraft, der er sich in diesem Moment überaus bewusst war. Corvins Augen lagen starr auf die gegenüberliegende Wand gerichtet. Er sah durch sie hindurch, wie durch einen Schleier. Der Boss saß in seinem Bett, an das Kopfteil gelehnt. Um ihn herum herrschte absolute Stille. Das Innocent regte sich in den vormittäglichen Stunden nicht.
Auch die Wachen vor seinen Gemächern wagten nicht sich zu rühren, nachdem Corvin ihnen in der Nacht verboten hatte einzutreten.
Die Muskeln seines Körpers vibrierten, wie unter Strom. Adrenalin hatte sich mit seinem Blut vermischt und ging eine perfekte Symbiose ein. Er atmete Macht, er atmete sie aus. Er fühlte sich unsterblich in seiner Wut, die ihn beherrschte.
Er hatte die Maske fallen lassen, das Monster dahinter entfesselt und ihm erlaubt zu spielen. Es hat sich ausgetobt heute Nacht. Schon lange nicht mehr hat er es von der Leine gelassen. Es war zwar immer da, präsent und bereit, aber er kontrollierte stets die Länge seiner Ketten -
Nicht so in der letzten Nacht.
Ein schwerer Geruch hing in der Luft. Corvins makelloses Gesicht, so wie seine bloße, muskulöse Brust waren benetzt von Rot. Seine Hände waren dunkel von getrocknetem Blut, als hätte er sie eingetaucht in den Quell des Lebens.
Die zerknitterten Laken in denen er saß, hatten ihr reines Weiß verloren. Großflächig rot getränkt, trugen sie die Leiche eines seiner Mädchen. Sie lag entblößt auf dem Rücken, den Kopf in den Nacken geworfen, die starren Augen auf dieselbe Wand gerichtet, auf der sich auch Seine verloren.
Sie hatte das Spiel mit dem Monster nicht überlebt. Er hatte sie wahllos unter Vielen gewählt,  nahm sich ihren Körper und ihre Seele für ein makaberes Liebesspiel, bei dem Liebe keine Rolle spielte, die Rollen aber klar verteilt waren. Unterworfen, wie eine Gazelle, musste sie sich dem grausamen Tanz mit dem Löwen hingeben, der sie immer wieder unerbittlich zwischen seine Krallen nahm und ihre Seele zerfetzte.
In seinem Spiel der Macht, drängte das Monster mit fordernden Stößen hinter seinen Gitterstäben hervor. Bis es endlich seine Klauen in ihr Fleisch schlagen konnte.
Corvin trieb ihr eine Klinge in den Körper, wieder und wieder, während er sie nahm wie ein wildgewordenes Tier, das der Geruch von Blut nur noch mehr in Extase versetzte. Wenn sie sich unter ihm wand, schwoll seine Gier weiter an. Er hatte jegliche Selbstkontrolle ausgeschaltet, während er mit der Klinge Muster in ihre Haut ritze. Jeder Schnitt, jeder Stich ließ ihr einen qualvollen Schrei entfahren. Schreie, die ihm so lieblich vorkamen, dass er nicht genug davon bekommen konnte.
Ihr letzter Schrei war schon vor Stunden verklungen. Er hinterließ eine schwarze Leere in Corvins Bewusstsein, die ihn in einen andauernden, regungslosen Zustand versetzte.

Nur wenige Stockwerke tiefer, erwachte Colby aus einem unsanften Schlaf. Sie lag lange wach und lauschte widerwillig den erstickten Schreien, die wie Wellen durch die Flure flossen.
Noch nie war das Innocent so still, nachdem die letzten Gäste gegangen waren. Jeder Bewohner schien in dieser Nacht wach gelegen zu haben und hielt den Atem an.
Sie wusste, dass es für sie und jeder anderer ihrer Kolleginnen ein Spiel auf Zeit war. Mädchen kamen und gingen. Doch wenn sie gingen, geschah das meist lautlos und unauffällig. Sie verschwanden einfach und niemand wusste was mit ihnen geschehen ist. Was diese Nacht geschehen ist, war eine weitere Bestätigung dafür, dass es sie wahllos treffen konnte. Und es war eine Erinnerung daran, dass ihre Leben mehr als nur symbolisch in den Händen dieses Mannes lagen.
Colby hielt es nicht mehr länger im Bett aus. Sie stand auf, warf sich ihren Morgenmantel über und ging zum Spiegel, der an der gegenüberliegenden Wand hing.
Es dauerte einen Augenblick, bis sie diese junge Frau erkannte, die ihr da entgegenblickte. Das schwarze lange Haar lag ihr in zerzausten Wellen über die Schultern. Ihre grünen Augen waren müde und abwesend. Unter ihnen schwarze, verwischte Überreste ihrer Maske. Ihre Haut, noch blasser als sonst.
Sie sah sich und sah sich wiederum nicht. Colby hatte keine Kraft mehr. Sie kämpfte nun schon drei Jahre. Vor vielen Jahren, wäre dieser Zeitraum kaum einer Rede wert gewesen. Aber nun war jeder überlebte Tag ein kleines Wunder. Drei Jahre - sie war weitaus länger, als jedes andere Mädchen hier. Womöglich blieb ihr nicht mehr viel Zeit, bis Corvin sie aussortierte.
Diese Angst war es, die die Mädchen, abgesehen von Drogen, gefügig machte. Keine wagte es auffällig zu werden. Die Gefahr einer schmerzhaften oder tödlichen Konsequenz war zu groß. Also blieb keine Chance zur Flucht aus diesem Teufelskreis.
Und so trieb sich Colby immer weiter, von Tag zu Tag, von Nacht zu Nacht, von Mann zu Mann. Immer war sie stark. Sie klammerte sich an die Hoffnung, dass Ave sie irgendwann hier rausholen würde. Wenn es einer konnte, dann er. Doch irgendetwas in dieser Nacht hatte sie schwer verletzt. Als sie sich so sah, begann sie allmählich aufzugeben. Die Maske der starken jungen Frau, die wusste was sie wollte, begann zu bröckeln.
Sie spürte ihre Zeit rennen.
Sie ließ ihren Morgenmantel über die Schultern gleiten und trat in die Dusche. Fast vorsichtig legte sie eine Hand auf den Wasserregler, fühlte gedankenversunken das kalte Metall an ihrer Handfläche und atmete tief ein, bevor sie das Wasser aufdrehte, dessen eisige Kälte Adrenalin durch ihr Blut schießen ließ. Ihr Herzschlag schwoll an. Ihr Atem ging schnell. Eine sichere Methode um sich von düsteren Gedanken zu befreien. Erst mit der Zeit ließ sie warmes Wasser zu, das sich schützend wie ein Mantel um ihren Körper schmiegte und die Spuren der letzten Nacht von ihr abwusch.
Colby entspannte sich. Sie ließ sich auf den Boden der Duschwanne sinken und ließ das Wasser wie einen Regenschauer über ihren Rücken prasseln. Nur zu gern, wäre sie hier Stunden geblieben, abgeschottet von dem Rest der Welt.
In Gedanken strich sie über die schwarzen Linien, die sich in filigranen Lettern an ihren Knöchel entlang wanden. „Atme weiter…“ stand dort, für den Rest ihres Lebens unter ihrer Haut festgehalten.
Zwei so simple Worte, für die sie sich vor Jahren entschieden hatte, die ihr Kraft und Mut schenkten, die sie bestärken sollten, niemals aufzugeben.
Auch wenn dies nicht ihr einziges Tattoo war, aber das kleinste, so war es jedoch dasjenige, welches ihr am meisten bedeute.
Wieder ein wenig gestärkt, öffnete sie entschlossen die Augen, stand auf, drehte das Wasser ab und verließ die Dusche, um zu der täglichen Prozedur überzugehen, ihre Maske wieder herzustellen.
Sie zog die Konturen ihrer sattgrünen Augen rabenschwarz nach, schwärzte die Lieder, legte falsche Wimpern an und färbte ihre Lippen sündig rot.
Ihr langes Haar, frisierte sie zu einer wilden Frisur. Teils hochgesteckt, aber dennoch umflossen noch viele Strähnen ihren Oberkörper, wie die schwarzen Wellen der nächtlichen See. 

Währenddessen erwachte Corvin langsam aus seinem reglosen Zustand. Er war müde und angespannt und war dabei seine Gedanken zu ordnen, bis sie wieder eine gewisse Struktur annahmen. Struktur war wichtig, um einen klaren Kopf zu behalten und um seine heranwachsenden Pläne vervollständigen zu können. Erst jetzt wanderten seine Blicke über die Laken und von einer Sekunde auf die Nächste widerte ihn das tote Mädchen in seinem Bett an. Sie war ein Fremdkörper, der ihn im Auge störte. Fluchend und ein wenig ungeschickt stand er auf. Wollte sich nicht länger in diesem Bett aufhalten, in dem er vor Stunden noch außergewöhnliche Hochgefühle erlebt hatte, mit seiner unfreiwilligen Gespielin.
Er sah an sich hinab und schnaubte wütend, als wäre er sich dem getrockneten Blut auf seiner Haut erst  in diesem Moment bewusst geworden.
Er verschwand geradewegs in seinem Marmorbad, dass er eine halbe Stunde später wieder perfekt hergestellt verließ. Schnell entschied er sich unter einer großen Auswahl für einen schwarzen Anzug, sportlich aber elegant, und schlüpfte wieder in die Rolle des unnahbaren, gutaussehenden Bosses. Das Monster hatte sich wieder hinter seine Gitterstäbe zurückgezogen - satt und vorerst befriedigt.
Er würdigte der Leiche keinen Blick mehr. Für ihn war sie ein abgeschlossenes Kapitel und so gut wie keiner Rede mehr Wert.
Er prüfte vor dem Spiegel erneut sein Aussehen, zupfte sein weißes Hemd zurecht und ging zur Tür. Sein Wachpersonal sah ihn ehrfürchtig an. Ihnen waren die Vorkommnisse in der Nacht nicht entgangen. Corvin sah gelassen von einem zum Anderen, als wollte er Fragen, was ihnen über die Leber gelaufen sei.
„Ich habe da drin eine kleine Unannehmlichkeit. Seht zu, dass sie verschwindet und sorgt dafür, dass ein paar Mädchen saubermachen“, wies er seine Leute an, klar und direkt ohne Umschweife, wie sie es von ihm gewohnt waren.
Sich dieser Sache entledigt, stieg Corvin in den Fahrstuhl und entschwand in sein Herrschaftsgebiet, während seine Wachen das ganze Ausmaß dieser unruhigen Nacht begutachteten.
Niemand von Ihnen würde ein Wort darüber verlieren. Die Taten des Bosses würde keiner jemals in Frage stellen. Und so eilte einer der Drei zurück in den Flur, um kurz darauf ausgestattet mit Planen und Klebeband zurückzukehren. Schnell, fast schon routiniert, hatte er ein Quadrat aus Planen auf dem Boden ausgebreitet, bevor seine beiden Kollegen die Tote aus dem Bett zogen und sie gemeinsam in ihr letztes Gewand hüllten. Zu zweit trugen sie das Bündel aus Corvins Räumen, über den Flur, hinein in den Fahrstuhl, mit direktem Weg in die Tiefgarage. Dort landete die Tote unachtsam in einem Lieferwagen, um so irgendwo zu verschwinden, wie schon Viele vor ihr, als Stumme Zeugin über Corvins Herrschaft.
Der dritte Wachmann trug währenddessen den zwei erstbesten Mädchen, die ihm über den Weg liefen, auf, das blutige Chaos zu beseitigen. Er sagte ihnen nichts Konkretes, nur so etwas wie „Auftrag vom Boss, saubermachen“. Die beiden Auserwählten ahnten was sie zu tun haben werden. Auch sie hatten den nächtlichen Schreien gelauscht und gebetet. Gebetet dass dieser Albtraum bald ein Ende haben würde.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (17.04.13)
Ich hätte es kaum gedacht, aber es wird immer düsterer und abgründiger. Dabei verfällst du nicht in platten Voyeurismus. Ich lese gerade eine Himmler-Biografie und Corvin erinnert mich stark an einen SS-Mann, einen Theodor Eicke oder eine Odilio Globocnik, nicht nur in seiner Gnadenlosigkeit - die bei ihn nur nicht so oft zu Tage tritt, weil er sich nicht in einem 'erklärtem' Krieg befindet - sondern auch in seinem Selbstverständnis, dass dem eines KZ-Kommandnaten ähnelt. Tatsächlich ist sein Etablissement ja so etwas wie ein KZ, für die die dort arbeiten/leben (müssen). Die von Himmler für seine Männer immer reklamierte 'Anständigkeit' würde Corvin bestimmt auch für sich in Anspruch nehmen.

Ein düsteres Meisterstück, ein Abbild des Bösen an sich, das in der von dir beschriebenen Welt die Herrschaft übernommen hat!
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