I

Lyrischer Prosatext

von  Alpha

Es war irgendeiner dieser Morgen, den ich schon nicht leiden konnte, bevor ich ihn richtig kennengelernt hatte. Ich konnte ihn eigentlich schon in dem Moment nicht leiden, als ich erwachte und seine Gegenwart mir all meine Unzulänglichkeiten klar werden ließ, und das war, noch bevor ich die Augen öffnete und mir die Entfremdung meines Zimmers bildhaft wurde.
Beachtlich eigentlich, müsste man den Zustand meines Zimmers doch für meine größte Unzulänglichkeit halten.
Eine erstaunliche, weil in ihrer Komplexität nahezu harmonisch erscheinende Kombination verschiedenster postkatastrophaler Erscheinungen: Von durch Erdbeben verstreute Gegenstände, denen man sehr wohl ansah, dass ihnen einmal ein fester Platz in einem Ordnungssystem zugeordnet war, ebenso verhielt es sich mit sehr viel kleineren, zum größten Teil bereits nutzlosen Objekten, die sich an ganz bestimmten Plätzen des Raumes angehäuft hatten wie jener Unrat, den Überschwemmungen im Geäst umgerissener Bäume zurück ließen.
Umher liegende Kleidungsstücke ließen zum Teil auf Kämpfe schließen, mit tollwütigen Tieren vielleicht oder Zombies, und während diverse Beschädigungen der Einrichtung dafür sprachen,
ließ der Mangel an entsprechenden Blutlachen Zweifel aufkommen, mindestens aber sprach er für die Lückenhaftigkeit oder Unvollständigkeit dieser Theorie. Andernorts lagen die Stoffe, als sei der Körper in ihnen binnen Millisekunden in sich zusammen gefallen – das schnelle und spurlose Werk eines aggressiven Pilzbefalls, ein böser Zauber oder schlichtweg Karma.


Noch bevor ich die Augen öffnete, hatte der Tag bereits die Gestalt eines durch häufiges, jedoch unregelmäßiges Überfahren ausgebreiteten Kadavers, dessen sich aus der Flachheit ragenden Reste ehemaliger Körperlichkeit durch den Regen der letzten Nacht aufgeweicht auseinander fielen.

Langsam.

In der Geschwindigkeit eines Geschehens, das Niemanden interessiert.

In jener Geschwindigkeit presste sich die Nacht aus mir heraus. Ihr praller Leib aus Erinnerungen, Wünschen, Exzessen; dieser Wust neuronaler Prozesse, denen wir während des Schlafens unterliegen und was wir gemeinhin und unzulänglich mit Träumen bezeichnen, drückte sich durch meine Brust nach oben, drückte Lunge und Herz bei Seite wie ein Tier, das auf der Flucht, jedoch zu fett für seinen Fluchtweg ist. Schnell ist etwas anderes. Und für einen Moment hielt ich es für eine gute Idee, dieser Larve an Beklemmung einen Namen und unserer Beziehung damit den möglichen Grundstein einer Freundschaft zu geben. Denn im Grunde verstanden wir uns gut, wenn sie in mir ruhte und ich in ihr schlief; im Grunde hegten wir keine Differenzen, außer, dass sie zu fett war, um unbemerkt zu verschwinden.
Als sie dann verschwunden war, kehrte Leere ein. Ich strickte ein klägliches Gedankengerüst hinein, das aussah wie alle Gedankengerüste an Morgen dieser Art. Die Fäden verliefen vom Sinn des Aufstehens über die möglichen Konsequenzen des Nichtaufstehens zu den möglichen Gegenmaßnahmen oder Umgehungen der möglichen Konsequenzen des Nichtaufstehens und wieder zurück zum Sinn des Aufstehens - manchmal auf gleichem Wege und manchmal nicht. An jenem Morgen musste ich feststellen, dass der einzige Sinn im Aufstehen mal wieder darin bestand, nicht damit aufzufallen, keinen Grund im Aufstehen gefunden zu haben.

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Kommentare zu diesem Text


 Bergmann (18.04.13)
Sinnkrise? Leerlauf?
Ein bisschen viel über fast nichts. Immerhin lugt Humor durch die Wortritzen (wenn ich mich bei der Beschreibung des Zimmers nicht verlese) ... vielleicht ein zerrissenes Sehnen - ?
LG, Uli

 makaba (18.04.13)
Ich muss Bergmann recht geben, das ist viel über "Nichts" und dennoch kenn ich die beschriebenen Gefühle nur zu gut, da jeden Morgen selbst durchlebend.

Ich find den Text sehr gut.

mfg makaba
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