Anja stellt ihren alten Schulfreund ein

Dialog zum Thema Arbeit und Beruf

von  NormanM.

„Dad, ich habe dir für morgen, neun Uhr einen Termin mit Mark Schiller gemacht. Laut deinem Terminkalender ist dort noch Platz“, sagte Anja zu ihrem Vater, bevor sie nach Hause ging. „Ich hoffe, du bist pünktlich hier.“
„Mark Schiller? Ach, du meinst deinen neuen Freund? Tut mir leid, dass ich ihn noch nicht kennen gelernt habe. Aber warum hier im Büro und vor allem, warum um diese Uhrzeit? Hat er keinen Job?“
„Nein, es ist nicht mein Freund. Mein Freund heißt Patrick und er hat einen Job. Seinen Namen habe ich schon mehrmals genannt und was er beruflich macht, habe ich auch schon erzählt. Danke, dass du nichts mehr davon weißt. Der Termin mit Mark Schiller ist kein privater Termin.“
„Ach so, es handelt sich um einen Kunden? Von welcher Firma ist er denn? Und ja, es tut mir leid, dass ich die Namen verwechselt habe. Aber lad deinen Freund doch am Freitag einfach zum Abendessen ein. Ich bin auch diesmal pünktlich zu Hause.“
„Nein, Mark ist auch kein Kunde. Er ist ein neuer Mitarbeiter. Ich habe ihn eingestellt.“ Sie sprach es aus, als sei es etwas ganz Alltägliches.
Der Vater stutzte. „Du hast was gemacht???“
„Du hast richtig gehört, ich habe ihn eingestellt. Du hast mich ja schließlich zur zweiten Geschäftsführerin berufen, also bin ich auch berechtigt, Personal einzustellen.“
„Ja, aber wir haben doch überhaupt keine Stelle ausgeschrieben. Du kannst doch nicht einfach aus Lust und Laune Leute einstellen.“
„Unsere Marketingabteilung braucht Unterstützung. Unsere Zahlen sind gut genug, so dass wir ohne Probleme noch einen Mitarbeiter beschäftigen können. Ich weiß schon, was ich tu.“
„Trotzdem kannst du nicht ohne Absprache mit mir jemand einstellen, bevor wir über Personalplanung gesprochen haben. Was ist denn dieser Schiller überhaupt für einer?“
Plötzlich standen ihr Tränen in den Augen. „Der Name sagt dir wohl auch nichts mehr. Er war in meiner Klasse, er war auch schon öfter bei uns, weil er mir in Mathe geholfen hatte. Er war immer sehr gut in der Schule, viel besser als ich, obwohl er es zu Hause so schwer hatte. Er wurde von seinen Eltern immer nur geschlagen. Das habe ich oft erzählt. Trotzdem hat er immer weiter gemacht. Er hat nach dem Abitur Wirtschaft studiert, ist ausgezogen und hat mit Hilfsarbeiten nebenbei sein Studium und seine kleine Wohnung finanziert. Sein Studium hat er abgeschlossen mit guten Noten, trotzdem findet er keinen Job, nur weil er keine Berufserfahrung hat. Stattdessen kriegen immer nur diejenigen Jobs, die dank reicher Eltern im Ausland studieren konnten und sich um nichts selbst kümmern mussten und dadurch einen so tollen Lebenslauf haben, aber alles als eigene Leistung ausgeben. Ich bin auch nicht besser, was habe ich selbst schon erreicht? Ich bin 25 und Geschäftsführerin, toll, in deiner Firma, wo ich auch meine Ausbildung gemacht habe. Nichts habe ich aus eigener Kraft erreicht, sondern von dir geschenkt bekommen, weil ich deine Tochter bin. Ich habe nicht einmal studiert.
Es tut mir leid, dass ich ohne dich die Entscheidung getroffen habe, aber er hat eine Chance verdient. Und ich kenne ihn, ich weiß, dass er uns nicht enttäuschen wird.“ Sehr schnell und auch etwas wütend hatte sie gesprochen. Fast musste sie weinen.
Für einen Moment schwieg ihr Vater nach ihrer Ansprache. Nachdenklich über ihre Worte sah er nach unten. Schließlich nickte er.
„Ich erinnere mich wieder. Du hast recht, wir können Verstärkung gebrauchen. Du kannst ihm ja sagen, dass er morgen vorher nicht frühstücken muss. Ich werde belegte Brötchen mitbringen.“

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (14.05.13)
Nicht schlecht, zu Teil aber etwas arg hölzern formuliert. Die Gutmenschenbotschaft wirkt recht störend, finde ich. Das eigentliche Spannende ist ja das Vater-Tochter-Verhältnis, oder?

 NormanM. meinte dazu am 16.05.13:
Das Verhältnis zwischen Vater und Tochter dient als Verstärkung, um die Beobachtung der Tochter (und Kernaussage der Geschichte) zu verdeutlichen, dass gehobene Positionen nur oder überwiegend durch oberflächliche Connections vergeben werden, aber wahre Leistungen zu wenig beachtet werden. Die Eigenschaften des Vaters tragen zur Bestätigung ihrer Beobachtung bei: Er weiß eigentlich kaum etwas über sie, hat sich vermutlich auch nie wirklich dafür interessiert, was sie wollte (offensichtlich wollte sie gern studieren), aber trotzdem hat er ihr die Karriere ermöglicht, eben weil sie seine Tochter ist.

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 17.05.13:
Das ist vielleicht ein wenig arg viel für so einen kurzen Text, oder? Vielleicht auch nicht alles 100%ig ausbuchstabieren, wir, die Leser, sind ja nicht auf den Kopf gefallen!

 NormanM. schrieb daraufhin am 18.05.13:
Vielleicht bin ich dann wohl auf den Kopf gefallen, denn was daran "arg viel" ist, will mir nicht in den Kopf gehen.

 Dieter_Rotmund äußerte darauf am 18.05.13:
Ja, nun, noch konkreter kann man nicht werden, bestenfalls paraphrasieren. Also: Der reine Inhalt von "Anja stellt ihren alten Schulfreund ein" reicht fast für ein ganzes Buch...

 NormanM. ergänzte dazu am 19.05.13:
Das kann zwar sein, dass man einen Roman daraus machen könnte, aber gerade das ist es, was mich an Kurzprosa so fasziniert, dass man vieles offen lassen kann und viel interpretiert werden kann.

 Omnahmashivaya (21.05.13)
Hallo, mir gefällt die Geschichte sehr gut. Sehr nachdenklich und real bzw. es wäre schön, wenn soetwas öfter real werden würde. Hast du das mit dem Brötchen nachträglich erinnert. Hatte es neulich schon gelesen, aber konnte mich da nicht mehr daran erinnern. Mir gefällt das, was hinter dem Text steht und ich finde es gut, dass sich der Vater ändert und von der Tochter (die sehr einsichtig ist und ehrlich) umgestimmt wird. Mehr von solchen Texten. LG Sabine

 Jorge (03.09.13)
Ein großer Bogen über die heutige komplizierte Arbeitswelt und eine wunderschöne menschliche Geste des verstehenden Vaters.
Gute Kurzprosa
saludos aus España
Jorge
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