Sturzgeburt

Sonett zum Thema Krisen

von  Irma

Es ging dir monatelang schlecht.
Der Mund blieb dabei fest verschlossen.
Dann, irgendwann, ist Blut geflossen. 
Jetzt geht es schnell! Presst du zu Recht

so heftig? - Da! Rasch abgeschnürt 
und mit der Klinge, gut gewetzt,
ein scharfer Schnitt, der mich verletzt.
Du selbst spürst nichts, scheinst ungerührt.

Musst du mich mit Gewalt entbinden
von Liebe, Sorge, Elternpflicht?
Nein, deine Mutter schafft es nicht,

sich klaglos damit abzufinden.
Mach uns die Lösung nicht so schwer.
Dein Leben, Kind, das schenkt dir mehr.

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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (10.06.13)
Sehr eindrücklich. LG

 Irma meinte dazu am 13.06.13:
Danke, Armin! LG BirmchenIrmchen
chichi† (80)
(10.06.13)
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 Irma antwortete darauf am 13.06.13:
Mir gefällt das Wort "wehklagen" in diesem Zusammenhang gut (Klage über den körperlichen und seelischen Schmerz, das Weh der Wehen). Und besonders schlimm ist es eben, wenn diese Abnabelung völlig "überstürzt" geschieht ... LG BirmchenIrmchen

 ViktorVanHynthersin (10.06.13)
Nachfühlende Grüße
Viktor

 Irma schrieb daraufhin am 13.06.13:
Ich danke Dir für Dein Einfühlungsvermögen und die Empfehlung, lieber Viktor! LG BirmchenIrmchen

 princess (10.06.13)
Jetzt bin ich sicher schon zum fünften oder sechsten Mal hier in deinem Sonett. Es scheint mich also nicht so recht loszulassen. Obwohl ich mich mit dem Bild, das ich sehe, auf den ersten Blick schwer zu arrangieren vermag. Denn in meiner Vorstellung können Kinder ihre eigenen Mütter von nichts entbinden. Das funktioniert nur umgekehrt. Auf den zweiten Blick allerdings ist die hier beklagte Sturzgeburt vielleicht Ausdruck der zugrunde liegenden Krise, also möglicherweise nicht Ende sondern Element eines länger dauernden Prozesses. Und dann kann sich das alles in diesem einen Moment natürlich durchaus so anfühlen, wie ich es im Gedicht lese.

Spannender Text!

Liebe Grüße, Ira

 Irma äußerte darauf am 13.06.13:
Ja Ira, ich glaube, du bist auf der richtigen Fährte. Die Pubertät ist nach der Geburt der zweite große Ablöseprozess. Er verläuft in unregelmäßigen Wehen und wird vom Kind gesteuert, weshalb ich hier die Rollen vertauscht habe.

Wenn dieser Prozess gesund verläuft, dann werden zwei bis dato aufs engste miteinander verbundene Menschen behutsam voneinander getrennt. Sie leben dann ein eigenständiges Leben, bleiben aber durch den Geburtsvorgang gefühlsmäßig liebevoll miteinander verbunden. Das Kind leitet die Geburt ein und „entbindet“ die Mutter von ihren Mutterpflichten. Es gibt ihr ihre Unabhängigkeit zurück, schenkt ihr damit ein „neues“ Leben.

Wenn dieser Geburtsprozess jedoch gestört ist, kann es zu ernsten Problemen kommen. Wie bei einer Sturzgeburt, die viel zu früh und völlig unerwartet einsetzt. Der Körper der Gebärenden ist dabei hormonell noch gar nicht auf die Geburt eingestellt, der Muttermund meist noch verschlossen, die Wehen besonders heftig und schmerzhaft. Auch für die emotionale Bindung bleibt keine Zeit. Das Kind (in diesem Fall die Mutter) wird von einer Sekunde auf die andere gewaltsam verstoßen.

Ich danke Dir ganz herzlich für Deine Beschäftigung mit meinem Gedicht. Es freut mich, dass es dich nicht so schnell „loslassen“ wollte. LG BirmchenIrmchen
Anne (56)
(10.06.13)
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 Irma ergänzte dazu am 13.06.13:
Ja, für eine Mutter wird so etwas schmerzlich spürbar. Danke Dir ganz herzlich, Anne. LG BirmchenIrmchen

 niemand (10.06.13)
Das Kind in diesem Sonett muss in einer schwierigen Situation stecken (seelisch) es versucht die Mutterbindung,
die ja in jedem wie eine Schwangerschaft steckt, quasi auszu-gebären, keine Bindung mehr zu wollen, warum auch immer) Ich finde, dass Du diese Problematik sehr gut eingefangen hast. Hier hat die Tochter/das Kind die Wehen, die Mutter soll quasi herausgestürzt werden. Der Schnitt von dem hier gesprochen wird scheint mir ein sich schneiden zu sein, stellvertretend für das Durchschneiden der Nabelschnur. LG niemand

 Irma meinte dazu am 13.06.13:
Du liegst vollkommen richtig, Irene. Wie oben schon bei Ira erläutert, geht es mir hier tatsächlich um einen nicht normal verlaufenden (gewaltsamen) Ablöseprozess (Pubertät von null auf hundert).

Die einsetzende Geburt kommt zu früh und überraschend, trifft Mutter und Kind völlig unvorbereitet. Das heißt: Möglicherweise gab es auch Warnzeichen (siehe die ersten Verse), aber diese wurden nicht wahrgenommen bzw. auch nicht kundgetan.

Die gefühlsmäßig überforderte Gebärende reagiert mit selbstverletzendem Verhalten und massiver Zurückweisung (scheinbarer Gefühlskälte). Die extremste Form der Ablösung von der Mutter wäre so gesehen der eigene Tod (Verweigerung der Annahme des damals durch die Mutter geschenkten Lebens).

Herzlichen Dank, auch für die Empfehlung. LG BirmchenIrmchen
(Antwort korrigiert am 13.06.2013)
Steyk (61)
(11.06.13)
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 Irma meinte dazu am 13.06.13:
Danke schön, Stefan! LG BirmchenIrmchen
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