Ariel und der Tod in der Bucht von La Spezia

Parabel

von  LotharAtzert

Von der Zahnfee freigegeben ab 18 Jahren! Zu Risiken und Nebenwirkungen fressen Sie Ihren Arzt, oder packen ihn unter die Theke.

Seit ich meinen Zahnlücken Namen gebe, sind mir die Ausfälle der Beißer viel erträglicher geworden - sie gemahnen nicht mehr so heftig ans Ende. Eine zum Beispiel ist mir die Bucht von La Spezia. (unten rechts ) Sie kennen La Spezia nicht?  Dort wurde einst der von Fischen zerfressene Leichnam des englischen Romantikers Percy B. Shelley angespült, nachdem er Tage vorher mit dem Boot seines Freundes Byron im Sturm gekentert war.
Dieses Boot, Byron taufte es nach seinem Werk "Don Juan," doch Shelley gefiel das Frivole des Herzensbrechers nicht, überpinselte den Namen und nannte es nach einem Engel "Ariel."
Als nun die Trümmer des Bootes ebenfalls an den Strand geworfen wurden, fand man nur  wieder den Schriftzug "Don Juan" an der Planke. Den Ariel hatten die Wellen abgewaschen.
Nun kann man darüber geteilter Meinung sein, ob der Engel den in der Blüte seiner Jugend stehenden Dichter zu sich heimholte, oder dieser nur einfach ertrank. Tatsache ist, daß das Schicksal seine eigene Handschrift hat und begangene Verfehlungen immer - IMMER! - zu Lücken führen, die wiederum einen Büßer einfordern, der zur Lücke passt, als Lückenbüßer.
Shelleys zweite Frau Mary arbeitete gerade am Frankenstein, die erste Frau starb im Irrenhaus.
Und erst nach der Buße ist der Büßer erlöst, das Kapitel kann dann geschlossen werden.
(Der Frankenstein war das Bild der Sorge der Romantiker vor der kommenden Industrialisierung und deren Folgen)

Das Gebiß ist das Organ des Zerkleinerns von Nahrung - des Tötens demzufolge. Fallen Zähne aus oder beginnen zu wackeln, so zeigt es an, daß wir ihnen kein guter Wirt waren. Jeder Zecher liebt den guten Wirt und bleibt gern bei ihm. Ein Wirt - der gute Wirt sorgt immer für Nachschub an Zerkleinerbarem, sowie dem Abtransport durch Flüssigkeiten, aber zugleich auch für Ordnung in der Wirtschaft - für saubere Toiletten, daß keiner randaliert, sich über den Durst trinkend ungebührlich gegen andere benimmt und so weiter und so fort.
Wenn diese Zerkleinerungsgesellen uns - ihre angestammte Heimat - verlassen, so sicher nur, weil wir schlechte Wirte sind.
Ja, ich war ein miserabler Wirt, hab diesen und jenen Backenbeiß-Gast schon früh verloren, bloß weil ich nur noch Vegetarisches anbieten mochte und gedanklich immer abschweifte, um das Wohl aller Wesen besorgt seiend, was den Beissern beim Beißen unsäglich auf den Nerv ging und ja gegen ihr Wohl war - die wollten reißen, wollten was reißen, zerreißen das rohe Fleisch, diese Bestien, zerkleinern, zerlegen, zerspalten ... O, wieviel Nerven wurden mir schon gezogen und das waren heftige Schmerzen! Nur weil ich ein Engel sein wollte, rein, wie Shelleys Ariel, kein liderlicher Don Juan, deshalb wurde ich zum Teufel meiner eigenen Gäste.
Und jetzt, wo ich das Widersprüchliche gerade einsehe und den kariös Verbliebenen beim Zahnarzt Besserung gelobte - verläßt mich, weil längst nicht mehr richtig gekaut die Nahrung, die Gesundheit von Magen- und Darm. Auch die also, wie Brutus - der Dolch im Safte der Verdauung, enthebend der letzten Gaumenfreuden ... ist man schon weit draußen, einsam in der Sturmnacht segelnd, im Schiff ohne Wiederkehr ... und der Wind, der Wind des Todes frischt auf. Fern, so fern ... mein zweites Weib - Frankensteins Zahn der Zeit, macht im Hospiz Sterbebegleitung ...,  -  solcherart ist mir  Ausfallendes analog der Bucht von La Spezia.
O lückenloser Windgeist Ariel - laß' Gnade walten beim Übergang! Gnade vor Recht! Und laß mich, wo möglich, Percy Shelley treffen ...

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(05.07.13)
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 LotharAtzert meinte dazu am 06.07.13:
"Drei Zähne braucht man mindestens, um ins Gras zu beißen." - was für ein wunderbarer Satz! Danke auch für den Bob Dylan-Text, Graeculus.
Die Anekdote mit Boot, Namen und dem Tod Shelleys ist übrigens wahr; das mit den Zähnen ... naja ... bis jetzt noch nicht ganz so dramatisch ...
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