Fingerhut und Nackenbraten

Kurzgeschichte zum Thema Allzu Menschliches

von  FloravonBistram

„Robert, das Essen ist fertig. Kommst du?“
Das Schemen hinter der Zeitung brummelt:
Sie hört, wie er rülpst und sich kratzt. Sie beginnt zu essen. Die Zeitung raschelt.
„Willst du auch hinterher einen Kaffee?“
Raschel, rülps, raschel, kratz…
Sie räumt ihr Geschirr in die Spülmaschine, wischt alles ab, steckt den kleinen Mörser  auch in die Maschine und stellt diese an.
Ihr Kaffee dampft. Sie nimmt ihn mit auf die Terrasse, schließt die Augen und genießt die Spät-Sommergeräusche.
Da, die Störung, erwartet, gewohnt, gehasst. Knarren des Sessels, Klatschen der Zeitung auf dem Tisch und ein Brülller:
„Wieso kannst du nie mit dem Essen warten. Man wird doch noch eben den Artikel zu Ende lesen dürfen!“
Sie steht auf, holt ihm das Essen aus der Küche, wo sie es im Backofen warm gehalten hatte.
„Nackenbraten und Klöße, magst du doch so gerne.“
„Meine Medizin!“
Auch die stellt sie ihm hin. Herz- und Blutdruckmedikamente nahm er schon lange. und leider wirkten sie noch immer.
Wie oft hat sie geweint und gelitten unter diesem Monster, der auch schon mal zuschlug, wenn er zu viel Schnaps getrunken hatte. Doch heute lächelt sie, geht durch den Garten, durch die hintere kleine Pforte in den Wald und verfüttert die gesammelten Brotkrumen an die zutraulichen  Eichhörnchen und Vögel.
Sie dehnt den Spaziergang aus. Sie fühlt sich gut und leicht.
Heute ist ihr Tag. Der 35. Hochzeitstag. Er soll die Wende bringen.
Er hat sich ja schon lange nicht mehr dran erinnert. Heute hat er sich für 15 Uhr mit seinem Saufkumpan verabredet, sie mit der benachbarten Freundin.
Aus ihrer Rocktasche holt sie jetzt ein paar unscheinbare Blätter, die sie sorgsam im Waldboden einarbeitet, Laub wieder drüber.
Das Lächeln verstärkt sich. Zwei kleine Blätter vom Fingerhut hat sie gemörsert und in seinen Schwedentrunk - ein Magenbitter -  gemixt, den er immer nach einem reichhaltigen Essen trinkt, dadurch wird der Geschmack verdeckt.
Nach zehn Minuten erreicht sie das Anwesen der Nachbarn. Ihre Freundin Marie ist im Garten.
Sie trinken selbstgemachten Holundersekt, stoßen auf den Hochzeitstag an, unterhalten sich, bis das Telefon klingelt.
Sie sieht auf die Uhr und lächelt wieder.

Der Totenschein bescheinigt Herztod.
War ja zu erwarten, sagen die Dörfler.

FloravonBistram

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Kommentare zu diesem Text

Luciernaga (54)
(05.08.13)
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 FloravonBistram meinte dazu am 22.11.13:
So schwarz, wie mancher Menschen Leben. Danke Dir.
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