Paderborn, Dom und Papyrus 56

Text

von  toltec-head

- Nein, ich fahre Landstraße, sagte ich trotzig.

Natürlich geht es schneller mit der A2 über Bielefeld. Aber ich will doch was vom Land sehen. Das heilige Weser Bergland und das östlichste Ost-Westfalen. Holzminden, Höxter, Bad Driburg. Deutschlands innersten Porno. Da fahr ich doch nicht Autobahn und dann auch noch über das scheele Bielefeld. Freund Thomas hätte sich seinen Rat am Telefon also sparen können.

Manchmal hat man den Eindruck, dass Hannover nie endet. Dicht wie Arschhaare ist das Gestrüpp der Vororte, bis man ins Freie kommt, ist man immer schon ganz entnervt. Ist man dann Draußen, hat man prompt einen Traktor vor sich und denkt: Wär ich doch Zuhause im Bett liegen geblieben und hätte Jean Paul weiter gelesen. Außerdem sieht man selbst mit Cabrio nix vom Land, weil man ja ständig Vor- und Rücksicht nehmen muss. Holzminden, Höxter, Bad Driburg - auf der Durchfahrt sind es eh alles nur Hannover in Miniaturausgaben. Und dann ist man ja auch schon da.

Erst also in den Dom. Nicht purifiziert, das heißt das ganze Barock Gerümpel steht noch rum. Monsterleuchten verpesten mit ihrem elektrischem Licht die Atmosphäre. Warum machen sie das, obwohl sie doch wissen müssten, dass die alten Dome auf inneres Dunkel hin gebaut wurden? Damit sich die Gläubigen, die ja heutzutage überall und auch in der katholischen Kirche Protestanten sind, nicht vor dem Tod fürchten müssen? Aus - was auf das gleiches hinausläuft - versicherungsrechtlichen Gründen? Eh nur noch alte Leute in der Kirche, die ohne Licht wohlmöglich stürzen?

Am Eingang zum Dom zwanzig Großfotographien von Würdenträgern aneinandergereiht, darunter Schriftzug: Paderborn begrüßt zum Libori-Fest seine hohen Gäste. Selbst der Bischof von Ruanda ist dabei. Der katholischen Kirche ist wirklich nicht mehr zu helfen. Selbst die Fressen der Politiker auf den Wahlkampfplakaten, welche die Vororte noch trostloser machen als sie eh schon sind, sehen weniger selbstzufrieden aus.

In der Ausstellung dann vor dem Papyrusfragment. Brief an die Römer. Erste Hälfte des 3. Jahrhunderts nach Christus. Früheres gibt es nicht. Das Früh-Christentum war interessant, insbesondere die Gnostiker. Paulus lässt stellenweise erkennen, dass er in einige der gnostischen Geheimnisse eingeweiht war. Die Gnostiker mussten Kontakt nach Indien gehabt haben, so wie wahrscheinlich auch Jesus. In Indien ist seit Urzeiten bekannt, dass der Sperma eines Yogi, also eines Menschen, der seinen Leib und seinen Geist gereinigt hat, besondere Qualitäten hat, zum Beispiel Kranke heilen kann. "Dies ist mein Leib und Blut." Eigentlich ist klar, dass Jesus damit nur seinen Sperma gemeint haben kann, der in denen weiterlebt, die es aßen und die ihn dann ihrerseits, wenn auch möglicherweise nur in homöopathischer Form, weiterzugeben vermochten. Alles andere macht keinen Sinn und dies merkt man der katholischen Kirche, so wie sie ist, denn auch an.

- Dies ist das Objekt mit der höchsten Versicherungssumme in der ganzen Ausstellung, sagt ein Führer einer christlichen Besuchergruppe, die andächtig nickt. Die vielen christlichen Besuchergruppen nerven. Sie haben nichts verstanden und wollen auch nichts verstehen. Sind trostlos wie die Vorstädte rund um Hannover.

Auf der Rückfahrt werde ich im menschenleeren Eschershausen in der Dunkelheit geknipst. Zum Glück bestimmt nicht mit mehr als 80. Ausgerechnet in Eschershausen, das mir doch heilig. Wegen Wilhelm Raabe, dem Buddha aus Braunschweig. Heiliges Weser-Bergland, bist auch nicht mehr, was du einmal warst. Und lichtverschmutzt wie die katholischen Dome. Aber nach den grässlichen Großfotografien der Würdenträger am Eingang zum Paderborner Dom muss sich sagen, dass Frau Edelgard Bulmahn richtig anheimelnd wirkt. Ob sie schon mal von den Gnostikern gehört hat?


Anmerkung von toltec-head:

Infos zur Credo Ausstellung in Paderborn: Klick.

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Kommentare zu diesem Text

GabrielSiegmann (35)
(18.08.13)
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 Dieter Wal meinte dazu am 18.08.13:
Leider ist sie nicht ironisch gemeint, sondern genauso blöd wie Kirchenglauben, nämlich Crowley-Glauben.
GabrielSiegmann (35) antwortete darauf am 18.08.13:
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 toltec-head schrieb daraufhin am 18.08.13:
Ich denke auch, dass ein literarischer Text eine literarische Würdigung und nicht die eines Landessektenbeauftragten verdient hätte, Dieter. Danke für Empfehlungen.
(Antwort korrigiert am 18.08.2013)

 Dieter Wal (20.08.13)
Erfrischende Erzählung. Was Gnostiker angeht, hantierte zumindest aus religiösen Motiven so gut wie keiner mit Sperma. Crowley als Post-post-post-post-Gnostiker vögelte gern, aber fand keinen Weg, es nicht religiös zu verbrämen. Ich mag Onkel Al irgendwie.

 toltec-head äußerte darauf am 21.08.13:
Glaub ja nicht, dass man dir im Theologiestudium die ganze Wahrheit sagte: .

 Dieter Wal ergänzte dazu am 21.08.13:
Im Studium wurden Gnostiker seitens der Dozenten ignoriert. Das Interesse pflegte ich vorher und parallel dazu. Außerdem plappere ich eh nicht nach, was man mir vorsagt. Bilde mir grundsätzlich eigene Meinungen.
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