Der tägliche Sieg des Prometheus. Innerer Monolog

Innerer Monolog zum Thema Schmerz

von  EkkehartMittelberg

Dem folgenden Gedankengedicht liegt die Prometheus-Sage zugrunde. Es bezieht sich auf die Zeit, bevor Herakles Prometheus erlöste

Prometheus-Sage
„Prometheus wollte die Menschen aus der Erde erwecken. Also ging er auf die Erde und formte sie aus Ton. Da sie noch leblos waren, gab er ihnen von verschiedenen Tieren je eine Eigenschaft (z. B. vom Hund die Klugheit, vom Pferd den Fleiß usw.). Athene, unter den Göttern seine Freundin, gab ihnen den Verstand und die Vernunft. Da lebten die Menschen, und Prometheus war ihr Lehrmeister.
Die Götter wurden auf die Menschen aufmerksam und verlangten von ihnen Opfer und Anbetung. Da verfiel Prometheus zu ihren Gunsten auf eine List: Er schlachtete im Namen der Menschen einen Stier und machte daraus zwei Haufen, einen größeren aus den Knochen und einen kleineren aus dem Fleisch. Dann umhüllte er beide mit Stierhaut, um den Inhalt zu verbergen. Schließlich forderte er Zeus auf, einen der Haufen zu wählen. Dieser wählte den größeren, obwohl er als Göttervater naturgemäß den Betrug durchschaute, den Menschen aber anscheinend Verderben bringen wollte (Hesiod, Theogonie, V. 550–552). Seitdem werden bei Tieropfern nur die Knochen und ungenießbaren Teile verbrannt, das Fleisch aber für den menschlichen Verzehr abgezweigt. Als der Betrug offensichtlich wurde, sagte Zeus voller Zorn, dass Prometheus dafür büßen müsse.
Als erste Strafe versagte Zeus den Sterblichen das Feuer. Um das Feuer für die Menschen wiederzuerlangen, hob Prometheus einen langen Stängel des Riesenfenchels in den Himmel, um ihn am vorüberrollenden funkensprühenden Sonnenwagen des Helios zu entzünden. Mit dieser lodernden Fackel eilte er zur Erde zurück und setzte einen Holzstoß in Flammen.
Als Zeus den Raub sah und erkannte, dass er den Menschen das Feuer nicht mehr nehmen konnte, sann er auf Rache: Er befahl seinem Sohn Hephaistos, das Trugbild einer schönen Jungfrau zu gestalten. Athene schmückte sie mit einem Gewand aus Blumen, Hermes verlieh ihr eine bezaubernde Sprache, Aphrodite schenkte ihr holdseligen Liebreiz. Man nannte sie Pandora, die Allbeschenkte. Zeus aber reichte ihr eine Büchse, in die jeder der Göttlichen eine unheilbringende Gabe eingeschlossen hatte. Zeus stieg mit Pandora zur Erde hinab und überreichte sie als Geschenk an Prometheus’ Bruder Epimetheus, der sie entgegen einer früheren Warnung Prometheus’ auch annahm. Da hob Pandora den Deckel, und alle Übel schwebten hinaus, und nur die Hoffnung blieb in der Büchse zurück, als sie diese schnell wieder schloss. Seit dieser Stunde rasen bei Tag und Nacht Fieberkrankheiten, Leiden und plötzlicher Tod über den Erdkreis.
Nicht nur die Menschen sollten bestraft werden, sondern auch Prometheus selbst. Zeus ließ ihn fangen und in die schlimmste Einöde des Kaukasus schleppen, wo er ihn an einen Felsen über einem Abgrund fesseln ließ. Ohne Speis, Trank und Schlaf musste Prometheus dort ausharren, und jeden Tag kam der Adler Ethon und fraß von Prometheus’ Leber, die sich zu dessen Qual immer wieder erneuerte, da er ein Unsterblicher war. Vergeblich flehte Prometheus um Gnade. Wind und Wolken, die Sonne und die Flüsse machte er zu Zeugen seiner Pein. Doch Zeus blieb unerbittlich. Und so sollte seine Qual viele Jahrhunderte dauern, bis der Held Herakles, von Mitleid erfüllt, ihn erlöste. Aber selbst da musste er fortan einen Ring mit einem Stein aus dem Kaukasus tragen, damit sich Zeus rühmen konnte, er sei immer noch daran gefesselt.“ (Quelle: Wikipedia)

Dertägliche Sieg des Prometheus

Ich hänge, an den Felsen geschmiedet,
in der glühenden Sonne des Kaukasus,
kein Schatten weit und breit.

Ich spähe in die Ferne
und sehe einen kleinen Punkt,
der immer größer und schwärzer wird,
deinen Adler im Anflug.

Schon glänzt sein gelber Schnabel in der Sonne,
und bald wird er sich auf mich werfen.
Furcht steigt in mir auf.
Ich habe noch nicht gelernt,
sie ganz zu unterdrücken.

Nun sammle ich alle Kräfte zur Meditation,
mich zu lockern und die Qual zu besiegen.
Ich werde nicht schreien, Zeus.
Darauf wartest du nur,
es wäre dein Sieg.

Der schlimmste Schmerz ist überwunden,
wenn der Adler das erste Mal zugehackt hat.
Danach fließt Trance durch meinen Körper,
und ich werde empfindungslos.

Heute spricht dein Foltervogel mit mir.
Er gesteht, dass die Pflicht,
die du ihm auferlegt,
ihm keine Genugtuung mehr verschafft.

Nicht ich leide, sondern deine Kreatur,
die sich ergebnislos abmüht.
Wenn du kein Erbarmen mit mir kennst, Unerbittlicher,
solltest du es deinem Werkzeug schenken.

Mit lahmen Schwingen fliegt dein Adler davon
und bald wird er im heißen Horizont verschwunden sein.
Du wartest deprimiert auf dem Olymp,
denn wie immer wird er dir
von meiner Unerschütterlichkeit berichten.

Die gleißende Sonne wird sanfter
und der Schatten der Berge fällt auf meine Felswand.
Ein kühler Abendwind umfächelt mich.
Ich denke an die Menschen,
die täglich dir zum Hohn
ihr Feuer entzünden.

Triumph durchflutet mich warm:
Wieder einmal habe ich dich besiegt.

© Ekkehart Mittelberg, August 2013

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Kommentare zu diesem Text

Zweifler (62)
(20.08.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.08.13:
Auch ich habe als Jugendlicher die griechischen Mythen gelesen, um der Realität zu entfliehen. Heute weiß ich, dass einige von ihnen noch immer unsere Realität spiegeln.
Merci
Ekki
KoKa_halt (44)
(20.08.13)
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 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 20.08.13:
Ja, Koka, Mir geht es wie dir. Die antiken Götter ziehen mich immer wieder an, weil sie so menschlich sind, indem sich Gutes und Böses in ihnen mischen. Sie spiegeln unser Verhalten und provozieren zur Auseinandersetzung. Vielen Dank.
KoKa_halt (44) schrieb daraufhin am 20.08.13:
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 Dieter Wal (20.08.13)
Danke, dass du mir ein Meckerwort übrigließest. ;) Sonst bliebe mir nur der Empfehlungsklick. Ein Wort zuviel: "Triumph durchflutet mich warm".

Triumph durchflutet mich. Warm? Wie sonst?

Sehr schön geschrieben.

Das Vorwort ist entbehrlich. Dagegen Literaturtipps für weitergehend Interessierte fände ich prima.

 loslosch äußerte darauf am 20.08.13:
dann wage ich mich vor: am oder im horizont?

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 20.08.13:
@ Dieter Wal: Grazie für das Kompliment. - Der Triumph durchflutet Prometheus deshalb warm, weil es nach der Tageshitze nachts an dem Felsen sehr kalt ist. -))) Im Ernst: Es gibt auch einen kalten Triumph.

Zur Überflüssigkeit des Vorworts: Die Zeiten, wo man den Mythos als allgemein bekannt voraussetzen konnte, sind längst vorbei.
Wenn du Literaturtipps für weitergehend Interessierte hast, bin ich sehr dankbar.
@loslosch: "Am" ist geläufiger, "im" logisch durchaus möglich.

 Dieter Wal meinte dazu am 20.08.13:
Texter von grünem Klee, weißen Schimmeln, heißem Erröten, schwülen Schwulen, rotem Blut, grauer Neuronenmasse, eiskalten Toten, brauner Muttererde, grüner Galle werden es dir danken. Dabei sind Schwule selten schwül, nicht jedes Kleeblatt ist grün, es soll schimmelgrüne Schimmel gegeben haben, Soziopathen erröten entweder gar nicht oder kalt, Blut kann auch blau sein, meine Neuronen sind pink, Muttererde ist in Wahrheit lila, zumindest unter Spitzen-Drogen usw.

Ab S. 238 schrieb Mircea Eliade über den Prometheusmythos in: Geschichte der religiösen Ideen, Band 1.

Als Einführung finde ich Walter F. Ottos "Theopania - Der Geist der altgriechischen Religion" empfehlenswert.
(Antwort korrigiert am 20.08.2013)

 loslosch meinte dazu am 20.08.13:
im/am horizont? udo lindenberg sang "hinterm horizont ..." und der duden?

 hier.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.08.13:
Ich schätze deine literarischen Tipps sehr, Dieter. Merci

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.08.13:
@Lothar: im, am, hinterm unterscheiden sich durch Nuancen, im, am Hintern nicht. )

 loslosch (20.08.13)
mythologie ist mir etwas fremd. und so versuche ich es anders, im vergleich märchen von brüder grimm mit göttersagen. beiden ist das irreale, groteske gemeinsam, und das grausame. in beiden wird der moralische zeigefinger erhoben, aber nicht konsequent durchgehalten. so sind sie, die volksmythologien, die die handschrift vieler verfasser tragen.

 Dieter Wal meinte dazu am 20.08.13:
@ loslossch:  Frau Holle ist solch eine Volksmythologie und Göttinnengeschichte. Das Märchen wurde mutmaßlich von lange vorher ähnlich erzählt. Den verlinkten Wikipediaartikel dazu ganz lesen, lohnt sich.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.08.13:
@Loslosch. Danke, das tertium comparationis stimmt. Ob es zur Deutung der Prometheus-Gestalt beiträgt, ist eine andere Frage.
LancealostDream (49)
(20.08.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.08.13:
Merci Lance, um das echte Kämpferherz geht es mir.
LG
Ekki
chichi† (80)
(20.08.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.08.13:
Vielen Dank, Gerda. Es gab so viele von ihnen, dass die Menschen sich ihre Schutzgötter auswählen konnten. Die Gefahr war jedoch groß, dass sie es sich mit einem von ihnen verdarben.
LG
Ekki

 TassoTuwas (20.08.13)
Hallo Ekki,
was mich anspricht, ist, dass du ein neue Sicht auf etwas lenkst, was in der Fülle dieser Geschichte bisher unbeachtete Nebensache war.
Es ist deine Interpretation der Rolle des Adlers, hier als ein Werkzeug der Obrigkeit geschildert, der tun muss, was ihm zuwider.
Parallelen zu Handlungsweisen autoritärer Systeme in allen Zeiten fallen mir ein.
LG TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.08.13:
Grazie especiale dafür, Tasso, dass du das bemerkt hast.
LG
Ekki
MissBluePiano (32)
(20.08.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.08.13:
Gracias, Miss, vielleicht ändert sich deine Einstellung zu den Mythen noch, wenn du an mehr Beispielen ihre Aktualität erkannt hast. An mir soll`s nicht liegen. ))
glg
Ekki
Steyk (61)
(20.08.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.08.13:
Vielen Dank, Stefan. Bei den Klassikern waren die antiken Mythen besonders beliebt. Heute haben sie wieder eine Renaissance, sodass man an "zeitlose Realität" denken kann. Ich vermute, es sind die durch Psychonalyse noch nicht "angekränkelten" einfachen Gefühle, wie zum Beispiel Liebe, Hass, Neid, Eifersucht, die sie in unserer komplexen Welt so attraktiv machen.
Herzliche Grüße
Ekki

 ViktorVanHynthersin (20.08.13)
Sind Menschen göttlich oder sind Götter menschlich?
Laut 1. Mos 1,26-27:
26. Und Gott sprach: Wir wollen Menschen machen nach unserm Bild uns ähnlich; die sollen herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel des Himmels und über das Vieh auf der ganzen Erde, auch über alles, was auf Erden kriecht!
27. Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; männlich und weiblich schuf er sie.
Vielen Dank für diesen Gedanken, lieber Ekkehart.
Herzliche Grüße
Viktor

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.08.13:
Wieder einmal einer von deinen fundierten Kommentaren, Viktor.
Wenn es um antike Mythen geht, liegt der Akzent auf der Menschlichkeit der Götter, weniger auf der Göttlichkeit der Menschen. Letzteres trifft aber auf Prometheus voll zu.
Sehr dankbar und mit herzlichem Gruß
Ekki

 TrekanBelluvitsh (21.08.13)
So macht es ein Künstler. Er nimmt sich eine Geschichte, gerne eine Mythos oder Legende, und arbeitet an einer Stelle dieser, schreibt was er sieht. Und das ist dir gut gelungen.
Allerdings gibt es da - und es geht jetzt rein um meinen Geschmack! - zwei Worte in diesem Text, die nicht so recht hineinpassen wollen. Ich meine "Meditation" und "Trance". In meinen Ohren klingen sie, nun, zu 'modern'.
Für
"Nun sammle ich alle Kräfte zur Meditation,"
würde ich
"Nun sammle ich alle Kräfte zur Einkehr,"
vorschlagen. Inhaltlich wäre wahrscheinlich Kontemplation korrekter, aber ich denke (innere) Einkehr geht hier auch.

Und für
"Danach fließt Trance durch meinen Körper,"
lautet meine Idee
"Danach fließt nur Sein durch meinen Körper,"
für dich.

Und nicht vergessen, ist nur meine Meinung.

T.B.
(Kommentar korrigiert am 21.08.2013)

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 21.08.13:
Erstaunlich, wie gut du mich inzwischen schon kennst, Trekan. Deine Bedenken hatte ich auch. Ich habe länger darüber nachgedacht, ob sich die modernen Worte Meditation und Trance in diesen Kontext fügen und kam zu dem Ergebnis, dass sie am besten passen. Also kam ich zu dem Schluss: Riskiere es. Warum soll Prometheus nicht begrifflich mit der Zeit gehen?
Ich danke dir für deine wohlbedachten Alternativvorschläge.
LG
Ekki
Pocahontas (54)
(21.08.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 21.08.13:
Vielen Dank dafür, Sigi, dass du das Wesentliche des Inneren Monologs auf den Begriff gebracht hast.
Liebe Grüße
Ekki
Fabi (50)
(23.08.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 23.08.13:
Mille Grazie, Fabi, dein Kommentar freut mich sehr.
LG
Ekki
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