Heimat Wüste

Beschreibung zum Thema Abenteuer

von  susidie

„Rooaaahr“, der Motor des Jeeps heult auf. Reifen graben sich in den Sand. Unendliche Weichheit, kaum grip. Wie ein 100-Meter-Läufer vor dem Start. Keine Spur zu sehen. Versuche abzuschätzen, in welchem Winkel ich angreifen soll, wieder und wieder. Vollgas, Anlauf. Ich muss los. Adrenalin pumpt durch meinen Körper. Jage die Düne hinauf, was die Kiste hergibt, dann, Spiel mit dem Gaspedal, sich einfühlen in die Oberfläche. Nur nicht Momentum verlieren jetzt, muss den Dünenkamm erreichen. Ich weiß, wie schmal er ist und wie es auf der anderen Seite weitergeht. Wäre mein Aus. „Never against gravity“, hämmert es mir in den Ohren. Der kleinste Fahrfehler würde mich – zumindest den Wrangler kosten – wenn nicht noch mehr. Fast geschafft, ja, ja, ja. Mit letzter Kraft erreiche ich die Schnittstelle und werde mit grandiosem Ausblick belohnt. Nein, jetzt nicht ablenken lassen. Die Spur ist schmal, sehr schmal. Ein Tänzeln in Zentimeterarbeit auf der Kante. Balance halten. Erinnert mich immer ans Leben. Bin in Übung.

Endlich habe ich den Platz erreicht, wo ich gefahrlos stehenbleiben kann ohne abzurutschen oder zu tief zu sinken. Diese unendliche Weite. Die Dünenlandschaft erhebt sich auf weit über 100 Meter. Die Sicht ist enorm. Die vielfältigen Farben des Sandes überwältigen mich immer wieder. Die Temperaturanzeige misst 48 Grad. Ich steige aus und setze mich aufs Dach. Das Gefühl noch höher zu wollen überkommt mich. Dem Himmel so nahe fühle ich mich hier. Langsam beruhigt sich mein Herzschlag. Immer wieder ist es eine Herausforderung mit offenem Ende. Seit 8 Stunden bin ich unterwegs, bald wird es dunkel. Dann ist kein Weiterkommen mehr möglich. Die Erschöpfung werde ich erst spüren, wenn ich angekommen bin. Ich möchte noch heute das Lager erreichen. Mit der Vorfreude auf ein Wiedersehen klettere ich zurück auf den Fahrersitz.
Langsam geht es bergab, mit äußerster Vorsicht suche ich einen Weg für uns und denke dabei an so Vieles. Die Weite der Wahiba vor Augen, bahne ich mich schrittweise weiter. Wenn alles gut geht, bin ich in einer halben Stunde am Ziel. Wie wird es wohl sein?

Wie eine Fata Morgana tauchen verschwommen am Horizont Zelte auf. Mittlerweile sind wieder Spuren zu sehen. Kamelherden. Ich weiß, ich bin fast da. Die Fahrt ist jetzt mehr ein Tanz über feinsandige Hügel. Ein leichtes Rauf und Runter, wellengleich. Vor der letzten Düne, die das Camp schützt, stoppe ich. Zu Fuß bin ich gegangen, zu Fuß werde ich wiederkommen. Ich rücke den Turban zurecht, ziehe die Enden vor Mund und Nase.
An den Augen wird er mich erkennen. Wird er?
Die Familie bereitet das Essen auf dem offenen Feuer. Niemand blickt erstaunt auf, als ich den Zeltkreis betrete. Nur einer erhebt sich langsam. Schlafwandlerisch bewegen wir uns aufeinander zu. Seine dunklen Augen leuchten in der Dämmerung und er breitet die Arme aus. Nase an Nase. Der Bruderkuss, den er mir in Freundschaft anbietet. Welch wohltuende Wärme. „Amir, ich bin zurück“, hauche ich glücklich. „Ich wußte“, erwidert er leise. Sanft führt er mich Richtung Feuer. „Komm in unsere Mitte, dort ist dein Platz. Du hast gefunden, erzähle“. Und mit einem Mal löse ich mich in Tränen auf. Er hält mich. Und ich erzähle.

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Kommentare zu diesem Text


 SapphoSonne (26.08.13)
Ich war grad mit dir auf der Fahrt über die Düne. Sah den Himmel und die Farbe des Sandes. Hab die Gefahr gespürt und auch das Vertrauen in dein Können als Fahrerin. Fühlte mich willkommen im Zelt des Amir und setzte mich mit euch ans Feuer. Dort lausche ich deinen Erzählungen. Wirklich toll beschrieben. Danke
LG Sappho

 susidie meinte dazu am 26.08.13:
Das freut mich sehr, daß ich dich mitnehmen konnte. Ja, lass uns am Feuer sitzen und die Wüstennacht geniessen. Such schonmal nen Flug, lach*. Liebe Grüße aus der heissen Nacht von Su :)
Zweifler (62)
(26.08.13)
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 susidie antwortete darauf am 26.08.13:
Freut mich, dass es dir gefällt. Mit deinem Kommi geb' ich dir recht, überdacht und geändert. Auch aus dem Grund, weil sich im Nachhinein das "ich werde erzählen" schon fast drohend angehört hat. Danke für den Tipp. Gruß von Su :)
Zweifler (62) schrieb daraufhin am 26.08.13:
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LancealostDream (49)
(26.08.13)
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 susidie äußerte darauf am 26.08.13:
Hey klasse, dann machen wir demnächst eine gemeinsame Wüstentour, freu mich drauf. Aber ich fahre, brauch den Adrenalinkick, lol** Dankeschön und lieben Gruß von Su :)
LancealostDream (49) ergänzte dazu am 26.08.13:
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 susidie meinte dazu am 26.08.13:
Na gut, dann kriegst du doch das Kamel. Das Schaukeln wirkt eher einschläfernd. Nix Adrenalin. Aber beschwer' dich nicht, wenn du nach ein paar Tagen nicht mehr sitzen kannst. *gg*
LancealostDream (49) meinte dazu am 26.08.13:
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 susidie meinte dazu am 26.08.13:
Lach*, dann wirds wohl gehen :) Denn ich erinnere mich sehr gut wie es sich anfühlte nach einem Tag auf einem Kamel :( In die Liegeposition begebe ich mich jetzt auch, in meinem Wüstenstaat geht bald die Sonne wieder auf. Blöde Zeitverschiebung.*g

 Dieter_Rotmund (26.08.13)
Das Ende ist mir persönlich etwas zu gefühlsduselig, trotzdem gerne gelesen! Eine Alternative, die mir gut gefallen hätte, wäre, etwas darüber zu erfahren, was der Fahrer macht, nachdem er das Fahrzeug abgestellt hat (die Dünenwüste ist ja kein Supermarktparkplatz in Castrop-Rauxel), da gibt es sicherlich noch irgendetwas zu tun, ganz unprätentiös.

 susidie meinte dazu am 26.08.13:
Freut mich. Danke für deine Empfehlung. Die Gefühlsebene am Ende gehört dazu, denn die Fahrt ist eine persönliche Reise in einen wichtigen Teil der Vergangenheit. Und was macht der Fahrer mit dem Auto? Gar nix. Wenn es sein muß, wird es am nächsten Morgen wieder ausgegraben. Gegen den Sand ist kein Kraut gewachsen. Wird auch nicht "brav deutsch" mit Plane abgedeckt oder sowas. Es ist, wie es ist in der Wüste. Sogar einfacher als auf dem Parkplatz in Castrop-Rauxel. Du sperrst nicht mal ab. Gruß von Su :)

 EkkehartMittelberg (26.08.13)
Liene Su,
dass der Text sehr gut geschrieben ist, haben schon andere gesagt.
Du hast in diesem Text auf Metaphern verzichtet und dennoch wirkt er sehr lebendig.
Ich halte das Thema für ausbaufähig. "Die Wüste lebt" hieß ein berühmter Film. Ich bin mir sicher, dass sie auch für dich lebt. Mich interessiert, wodurch du das spürst.Lliebe Grüße
Ekki

 susidie meinte dazu am 26.08.13:
Lieber Ekki, vielen Dank für die **. Freut mich echt, dass der Text so gut ankommt. Vielleicht sollte ich das tatsächlich ausbauen. Der Film ist fantastisch. Die Wüste lebt sehr stark in mir, ich lasse dich mehr dazu wissen. Liebe Grüße von Su :)
Karmesin (20)
(27.08.13)
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 susidie meinte dazu am 27.08.13:
Oh klasse, Danke! Dann lass uns mal den einmaligen Sonnenuntergang von der Düne aus beobachten. Auch ein einmaliges Wüstenerlebnis. Liebe Grüße von Su :)
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