Dafür wird es niemals Worte geben.

Erzählung zum Thema Bewusstsein

von  SunnySchwanbeck

Breite Fratzen starren mich an, ihre schlammigen Augen werden immer größer und größer, lange, knorrige Arme strecken sich mir entgegen und verzerrte Stimme bitten mich inständig aufzuhören, mir die Hände blutig zu kratzen. Wo ist die verdammte Erdanziehung hin? Warum hab ich das Gefühl ich würde jeden Moment abheben und in den Himmel steigen, wenn ich nicht im Sekundentakt auf den Boden stampfe? Die Laute der Welt um mich herum fressen sich durch meinen Gehörgang in mein Hirn und wüten wie ein Tornado durch meine Synapsen. Es. Ist. So. Verdammt. Laut. Hier. Ich schreie aber spüre nur den Schmerz der aufgerissenen Mundwinkel und selbst der ist so minimal, dass ich meine Nägel nur tiefer in meine blutigen Handrücken ramme. "Hör auf zu kratzen. Hör auf verdammt, denk an deine Blutverdünner." Ich denk an gar nichts. Dicker Nebel scheint sich in mir breit zu machen und sich in jedes meiner Glieder zu schleichen, ich will nur noch schlafen. Kalte Hände packen mich und ziehen mich durch den leeren Flur meiner Schule. "Wir haben eine Ärztin geholt, beruhig dich, sie ist gleich da." Mein Körper versucht mit allen Mitteln ein "Nein" zu formen, bei jeder Berührung würde ich mir am liebsten die Haut vom Fleisch ziehen und anzünden. Wieso versteht denn niemand, dass das alles nur ein Traum ist? Sehen sie denn nicht, dass alles hier nicht echt ist? Aus den kratzenden Bewegungen meiner schwarz lackierten Nägel wird ein kneifen. "Wach auf, los. Wach endlich auf aus diesem Albtraum." Ich flüstere mir selbst zu und habe das Gefühl etwas in mir drin will antworten, doch es kann nicht, weil zwischen ihm und mir zu viel unnötige Haut, Fleisch, Fett und Knochen sind. Ich schlage mir rhytmisch und mit voller Wucht auf den Brustkorb. Die Bitten meiner Mitmenschen, ich solle doch endlich zur Vernunft kommen, höre ich nicht mehr. Meine Seele häutet sich und schrumpft. Langsam merke ich wie sie sich langfingrig aus den Ecken meines Körpers zieht und sich zu einem kleinen, silbernen Klumpen zusammen rollt, der sich zitternd hinter meinem rasenden Herz versteckt.
Was. Ist. Nur. Los. Mit. Mir. Ich sehe auf meine Schuhe, Chucks, sind das meine Füße darin? Ich habe das Gefühl es ist unmöglich dass ich diejenige bin, die es schafft, einen Fuß vor den anderen zu setzen.

Ein weißer Kittel kommt auf mich zu. "Hallo, hören sie mich? Alles wird gut. Setzen sie sich." Ich erkenne ihr Gesicht nicht, ich kann es nicht ansehen. Ich habe Angst. Ich habe Angst ihr in die Augen zu sehen. Ich habe Angst dass sich die Welt gleich andersrum dreht und ich die einzige bin die es merkt. Ich habe Angst nicht mehr nach Hause zu finden. Ich habe Angst davor, meine Stimme zu hören. Ich habe Angst davor, dass ich verbrenne unter Händen die nur helfen wollen. Ich habe Angst vor den Reaktionen, wenn all das vorbei ist. Ich habe Angst, dass all das niemals vorbei gehen wird. "Erzählen sie mir von ihrer Familie, haben sie einen Freund?" Ihre Stimme ist ruhig. BEruhigend. BEängstigend bin nur ich, neben mir weinen Freunde die für mich da sein wollen. Das hätte alles niemals passieren dürfen. Ich schlucke schwer und versuche das Zittern meiner Hände zu unterdrücken, E. reicht mir ein nasses Taschentuch und deutet damit auf meine blutüberströmten Handrücken. Ich kann es nicht greifen, ich weine wieder, ich gebe mir eine Ohrfeige, ich beruhige mich. "Ja." Ich flüstere, die weiß gekleidete Frau gibt mir Zeit und Hoffnung und Ruhe und sitzt ganz still auf ihrem kleinen Stuhl und schaut mich freundlich an. "Ja, ich habe einen Freund." Sein Gesicht schiebt sich zwischen meine Gedanken, meine Heimat sind seine Arme und alles was ich will ist endlich nach Hause zu können. "Und, taugt er was?" Sie lacht ein bisschen, E. und S. die mich beide flankieren stimmen mit ein und hören abprubt auf, als sie merken, dass ich nicht lache. "Er ist nett." Sagt E. Sie lügt, sie mag ihn nicht, ich weiß das. Sie weiß das. Die Frau fragt mich nach meiner Familie, ich antworte in abgehackten Sätzen. "Ja." "Nein, er ist tot." "Ja, 22 und 31." "Am Flughafen." "Nein, seit Dezember 2004 nicht mehr." "Ja, sie ist toll." Mein Herzschlag normalisiert sich. Zum ersten Mal hebe ich meinen Kopf und sehe in das Gesicht der Frau gegenüber. Sie hat pudrige, hellbraune Haut und weiche Gesichtszüge. Ihre blond gesträhnten Haare fallen in perfekten Wellen über ihre zierlichen Schultern. Sie hat ihre Lippen mit einem Konturenstift nachgezogen und ihre Brauen minimal gezupft. "Es geht ihnen langsam besser, oder?" Sie lächelt mich an und bietet mir einen Kaffee an. "Ich will rauchen." Sage ich, wieder Gelächter. Es wird mir erlaubt, schwankend verlasse ich das große, helle Zimmer mit der Liege und trete raus auf den Hof. Wie einstudiert zücken S. und E. gleichzeitig eine Zigarette und halten sie mir mit einem halben Lächeln hin. S. zittert und E. beißt auf ihre Unterlippe. "Schon gut." Raune ich, fische mir eine Benson & Hedges aus meiner Jackentasche und halte zittrig das rote Feuerzeug an ihr Ende. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Augen schließen. Ich hab es geschafft. Mal wieder.


Anmerkung von SunnySchwanbeck:

November 2012.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

KoKa (45)
(29.08.13)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 SunnySchwanbeck meinte dazu am 29.08.13:
ach koka, das freut mich so.
dankedirfüralles.
cooori (20)
(29.08.13)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 SunnySchwanbeck antwortete darauf am 29.08.13:
kussi.
cooori (20) schrieb daraufhin am 30.08.13:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 SunnySchwanbeck äußerte darauf am 30.08.13:
Ich steh auf wombats.
cooori (20) ergänzte dazu am 31.08.13:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Judas meinte dazu am 01.09.13:
Wombats sind aber auch geil.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram