Sprache

Kommentar zum Thema Sprache/ Sprachen

von  ian_grey

Angestoßen durch eine Anstoßnahme daran, dass ich die Vereinigten Staaten von Amerika kurz als „Amerika“ bezeichnet habe, habe ich beschlossen, zu diesem Thema einige Fragen zu stellen: Was ist Sprache eigentlich? Wodurch wird eine Sprache definiert? Wer bestimmt, was „richtig“, was „falsch“ ist?
Ich möchte jetzt hier nicht bei Adam und Eva anfangen - was Sprache und was eine Sprache ist, sollte jedem bekannt sein. Doch die Frage nach dem „richtigen“ und „falschen“ Gebrauch der Sprache, die ist nicht ganz so einfach zu beantworten.

Kontext[/i]
Der Gebrauch einer Sprache hängt in der Regel vom (sozialen) Kontext ab, in dem sie gebraucht wird. Während es in einer wissenschaftlichen Debatte von höchster Wichtigkeit ist, auf eine den festgelegten Regeln entsprechende Sprache zurückzugreifen und auf nicht klar definierte Begrifflichkeiten zu verzichten - kein Politikwissenschaftler würde es jemals wagen die „Vereinigten Staaten von Amerika“ als „Amerika“ zu bezeichnen -, so ist Sprache im alltäglichen Gebrauch doch viel flexibler. Wenn ich im Alltag „Amerika“ sage, assoziiert jeder diese Bezeichnung mit den USA - auch wenn dieser Begriff eigentlich formal „falsch“ ist, ist er dennoch verständlich.

Es lebt![/i]
Nicht wie bei Frankenstein, künstlich zum Leben erweckt (durchaus aber manchmal künstlich verändert), sondern aus sich heraus: Für die Umgangssprache gilt: richtig ist das, was am meisten verwendet wird.
Ein Beispiel: Würden von jetzt an alle bei einer Begrüßung auf deutsch „Hoxliboxli“ anstatt einer der üblichen Begrüßungsfloskeln sagen - würde dann nach einem Jahr noch jemand behaupten, „Hoxliboxli“ wäre keine Begrüßungsfloskel?
Das ganze geht auch näher und konkreter: es gibt unzählbar viele Dialekte der deutschen Sprache, manche davon sind für Außenstehende derart unverständlich, dass es aufgrund dieser Dialekte schon zu Klagen gekommen ist (wer auf sächsisch einen Flug nach „Porto“ bucht, darf sich nicht beschweren, wenn er dann in „Bordeaux“ landet). Dennoch käme niemand auf die Idee, diese Dialekte als „falsch“ zu bezeichnen - auch wenn sie den formalisierten Regeln der Sprache „Hochdeutsch“ nicht entspricht.

Es lebt langsamer![/i]
In vielen Fällen kann eine solche „Modeerscheinung“ der Umgangssprache auch in die Hochsprache eingehen. So sind „googeln“ und „twittern“ mittlerweile anerkannte Begriffe.
Doch die Hochsprache ist deutlich lernresistent: Es bedarf einer Formalisierung der neuen Umgangssprache, wobei auch immer eine Auswahl stattfindet (sonst wäre „Yo alder ey“ wohl schon längst ein fester hochdeutscher Begriff). Gleichzeitig beschäftigen sich Wissenschaftler und Traditionsverfechter damit, wie man den Genitiv in der deutschen Sprache erhalten kann - man versucht also aktiv, die Veränderung der Sprache aufzuhalten.

Es lebt zu langsam![/i]
Gleichzeitig werden die formalen Definitionen, das Wissen hinter der Sprache, erneuert, ohne dass dies ausreichend in der Sprache gewürdigt werden kann. So gibt es schon lange nicht mehr nur die Lehre der fünf Kontinente - konkret sprechen sich manche Wissenschaftler sogar dafür aus, acht Kontinente zu unterscheiden. (Guess what - „Amerika“ ist nicht dabei!) Hier geschieht also eine aktive Änderung der Hochsprache, indem formale Definitionen durch die Wissenschaft aktualisiert werden. Diese Verschiebung der Konnotation eines Begriffs muss jedoch auch irgendwie verbreitet werden - durch die Verbreitung der Forschungsergebnisse in Umgangssprache. An dieser Stelle müsste man also versuchen die formalen Fehler der Umgangssprache, die, weil Umgangssprache schnelllebiger ist als Hochsprache, in diesem Kontext gar keine Fehler sind, zu identifizieren, als solche zu verbreiten, und korrigieren. (Hier sind wir übrigens im Fachgebiet des wissenschaftlichen Journalismus angekommen)

Zwischenschichten[/i]
Mit der Umdefinition der Umgangssprache erreicht man allerdings nicht jeden. Das Ergebnis dessen ist eine Diskrepanz zwischen alter und neuer Umgangssprache - man hat also eine neue Instanz der Umgangssprache geschaffen. So entstehen nach und nach mehrere „Zwischenschichten“ von Sprache, die sich dann über einen längeren Zeitraum konsolidieren und infolge dessen die Umgangssprache wiederum verändern.

Political Correctness[/i]
Eine interessante (und meiner Meinung nach völlig sinnfreie) Erscheinung dabei ist die „Political Correctness“. Hierbei wird, zumeist aus einer (diskriminierenden) Motivation heraus, ein Begriff geächtet, weil sich die Bedeutung des Begriffs verschoben hat. In der Regel wird dann allerdings ein neuer Begriff dafür eingesetzt, der „weniger diskriminierend“ sein soll.
Mal wieder ein kleines Beispiel dazu: Die Vertreter der Roma finden den Begriff „Zigeuner“ für Roma diskriminierend. Nicht unbedingt aus naheliegenden Gründen, aber man findet sich damit ab, und ersetzt den Begriff „Zigeuner“ nun mit „Sinti und Roma“. So weit - so gut. Paradoxerweise hat diese politische Verirrung nun aber völlig andere Auswirkungen, als geplant: Diejenigen, die also vorher deskriptiv als Zigeuner bezeichnet wurden - fahrende Schauspieler, denen ein unehrliches Handwerk nachgesagt wurde -, nennt man nun „Sinti und Roma“, obwohl sie das möglicherweise gar nicht sind. Sinti und Roma hingegen, die heutzutage mehrheitlich nicht mehr Nomaden, sondern „sesshafte“ Mitbürger sind und die ihre Traditionen größtenteils abgelegt haben, benennt man gar nicht mehr. Deklamiert also ein Roma seine Zugehörigkeit zu seinem Volk, ruft dies genau die negative Assoziation hervor, die vorher im Begriff „Zigeuner“ mitschwang.
Das lässt doch nur eine einzige Frage zu: „Und wie ist das jetzt besser als vorher?“

In conclusio[/i]
Zusammenfassend also das, was ich damit sagen will: Benutzt Sprache verständlich - wer „Amerika“ sagt, meint vermutlich die „USA“, das ist aber kein Grund, ihm deswegen Dummheit an den Kopf zu werfen - schließlich ist das allgemeiner Sprachgebrauch, und damit richtig. Und überlegt einmal, ob es tatsächlich politisch korrekt ist, politisch korrekte Bezeichnungen zu verwenden, oder ob man sich nicht doch wieder angewöhnen sollte einen „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“ einfach kurz „behindert“ zu nennen, schließlich ist er genau das: in der Ausübung bestimmter Tätigkeiten behindert.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (11.10.15)
1.
richtig ist das, was am meisten verwendet wird.
Das gilt nicht nur für die Umgangssprache. So verändern sich auch Worte. Beispiel: "Arbeit" bedeutete früher das, was wir heute mit "Mühe" beschreiben - und das gilt ja nicht nur für die Umgangssprache.
2.
Dialekte als „falsch“ zu bezeichnen
Richtig. Leider ist kaum verbreitet: Dialekte sind immer Soziolekte. Das bedeutet: Verschwindet eine sozial prägende Gruppe, verändert sich auch der Dialekt. Und da es sich bei eine Dialekt zumeist um eine rein mündliche Erscheinungsform handelt, meinen die meisten dann schon nach wenigen Jahren, man hätte dort, wo sie leben, schon immer so gesprochen. Das bedeutet aber auch, dass Versuche, Dialekte am leben zu erhalten, eigentlich nur zukünftige Dialekte zerstören.
3.
man versucht also aktiv, die Veränderung der Sprache aufzuhalten.
Das funktioniert aber nur im Bezug zu Punkt 1. Oder kennst du jemanden, der von "Schalksernst" redet?
4.
Political Correctness
Immer wieder gern kritisiert, sinnvolle Beispiele werden dabei gern übersehen. Beispiel: Als nach dem Zweiten Weltkrieg - zunächst aus Italien und dem Balkan - Menschen zum arbeiten nach Deutschland geholt wurden, nannte man diese "Fremdarbeiter". Waum? Hießen doch so die im Zweiten Weltkrieg unter Zwang nach Deutschland verschleppten Arbeitssklaven. Da benutzte der Deutsche eben den Begriff, den er kannte. Politisch gesteuert wurde der Begriff "Gastarbeiter" verbreitet, um den Deutschen klar zu machen, dass diese Menschen Rechte hatten. Und warum wurde das gemacht? Nun, wie immer wenn so etwas geschieht - und im Bereich Sprache beschreibst du es ja selbst -, passiert es aus einem einfachen Grund: Es war nötig. Darum: Allgemeines Political Correctness-Bashing zeugt nicht von Klugheit - und von Empathie schon gar nicht.
5.
In conclusio
Dieser Abschnitt ist über, denn er wirkt, als sei ein kleines beleidigtes Männlein am Werke. Damit zerstörst du deinen ansonsten guten und lesenswerten Text zum Thema Sprache.

...ja, ich weiß, manchmal will man einfach nur draufhauen...
Ein [x]kontovers gibt es trotzdem, wegen Punkt 4. und vor allem Punkt 5.

 ian_grey meinte dazu am 17.10.15:
[Edit: KV hat meine Zeilenumbrueche geklaut!]

Vielen Dank für die ausführliche Kritik!

Zu 1: Das ist so natürlich vollkommen richtig. Aber die Hochsprache verändert sich immer nur mittelbar durch die Umgangssprache. Dass es auch hier Bedeutungsverschiebungen gab und gibt, habe ich, um nicht allzuweit abzuschweifen, allerdings nicht gesondert erwähnt - ich wollte mich auf die Umgangssprache konzentrieren, und den Fokus nicht zu sehr auf die Hochsprache lenken.

Zu 2: Das ist eine sehr interessante Anmerkung; etwas das mir selbst auch viel zu wenig bewusst ist/war. Vielen Dank dafür!

Zu 3: Genau das ist das, was ich damit sagen wollte: Während die Umgangssprache sich von selbst verändert, wird die Hochsprache selektiv verändert. So ist man sich heutzutage nicht mehr zu fein, Ironie zu sagen, und benötigt daher die "deutsche Übersetzung" Schalksernst nicht mehr (zumindest der Duden Online kennt das Wort nicht).

Zu 4: In diesem Fall finde ich nicht, dass man das unter die heute übliche "Political Correctness" stellen kann. Denn "Fremdarbeiter" war nicht "politisch" falsch, es war einfach grundsätzlich falsch, d.h. Assoziation und Konnotation Begriffs wurden durch eine plötzliche Veränderung der Tatsachen vollkommen invalidiert. An dieser Stelle einen alternativen Begriff einzuführen ist auf jeden Fall sinnvoll, steht aber auch im Gegensatz zur heutigen Mode, alles was irgendwen beleidigen könnte zu vermeiden. rnHeutige Verfechter der PC allerdings handeln in der Regel aus Angst, nicht aus Notwendigkeit: Genderisierung, Wortungetüme wie LSBTTIQ (ich weiß bis heute nicht, wie ich das auch nur halbwegs flüssig aussprechen soll), Euphemismen wie "verhaltensoriginell" und sogar Formulierungen, die mit dem, was man ausdrücken will gar nichts gemeinsam haben (ein von deutschen Bürgern in Deutschland geborener Schwarzer ist nie und nimmer ein "Afro-Amerikaner" [= aus Afrika emigrierter Bürger der USA], soll aber trotzdem "politisch korrekt" so bezeichnet werden?) - all diese Dinge sind nicht nötig, verkomplizieren den Sprachgebrauch - aufgrund der Angst oder Annahme von "Nichtbetroffenen" ("unbeteiligt" klingt irgendwie falsch), dass sich durch die bisherigen Begriffe jemand auf den Schlips getreten fühlen könnte.rnIn den wenigen Fällen, in welchen tatsächlich Betroffene ein Problem mit einem Begriff haben, ist es durchaus wünschenswert diesen Begriff in öffentlichen Reden und in entsprechendem Kontext zu meiden: Sinti und Roma sollte man eben nicht als Zigeuner bezeichnen, warum man aber einen rein deskriptiven Begriff wie z.B. "schwer erziehbar" nicht verwenden darf, erschließt sich mir nicht.

Zu 5: Mindestens einer der Begriffe ist immer politisch inkorrekt. Ob jetzt T., selbst Rolllstuhlfahrer, brüsk sagt "ach was, besondere Bedürfnisse, mein einziges Bedürfnis ist, dass Du nicht so einen Blödsinn absonderst. Sag's wie's ist: behindert", oder Bevölkerungsgruppen einen alten Begriff aufgrund der Vergangenheit austauschen wollen, irgendwem tut man mit seiner Wortwahl immer unrecht, irgendwer findet immer etwas zu meckern - denn viel zu wenig wird auf den Kontext, die Bedeutung hinter dem Gesagten geachtet, wichtiger ist das Vermeiden bestimmter Begrifflichkeiten. Je mehr man das tut, desto unklarer wird, was eigentlich gesagt werden soll, und am Ende hat man dann doch wieder irgendwen vergessen.rnBetrachtet man das mit etwas Abstand, und paart das mit der Intention, eine Diskussion anzuregen - nun, dann, finde ich, ist meine Zusammenfassung doch ganz gut gelungen, denn zumindest eine Person hat schließlich darauf geantwortet...
(Antwort korrigiert am 17.10.2015)

 ian_grey antwortete darauf am 17.10.15:
Dazu fällt mir gerade noch die Debatte Inuit vs. Eskimos ein: "Östliche" Polarkreisbewohner (Kanada, Grönland = Inuit) finden Eskimos böse und wollen, dass alle Polarkreisbewohner Inuit heißen. "Westliche" Polarkreisbewohner (Alaska, Russland = Yupik) haben das Wort "Inuit" nicht in ihrer Sprache, finden dieses diskriminierend, und behaupten, alle Polarkreisbewohner wären Eskimos... (Quelle für die Regionen der einzelnen Völker und Stämme ist hier Wikipedia, da ich Inuit und Yupik nicht blind hätte platzieren können.)

 TrekanBelluvitsh schrieb daraufhin am 17.10.15:
Mach dir keine Sorgen darüber, dass so lange keiner darauf geantwortet hat. Denn 1.) sind die meisten hier schreibfaul und 2.) lesefaul. Längere Texte schrecken ab. Wie das zu bewerten ist, überlasse ich dir. Aber die meisten stehen eben auf Texte wie:
"Hoppladie,
Hopplada,
der große Penisdichter ist wieder da!"


;-)

 Dieter_Rotmund (15.10.19)
Bin inhaltlich hier und da nicht einverstanden, aber es ist sehr gut strukturierter und flüssig geschriebener Text, also eine Ausnahmeerscheinung auf kV.

 ian_grey äußerte darauf am 15.10.19:
Das wäre auch schrecklich, ganz und gar einverstanden mit diesem Text zu sein. Gerade der PC-Teil ist ja bewusst provokant geschrieben, und auch sonst soll er vor Allem zum Nachdenken und Diskutieren anregen.

Dass er trotz erheblicher Kürzungen (die Originalversion ist als Kommentar in einer Uni-Zeitung erschienen) immer noch strukturiert und flüssig rüber kommt, freut mich natürlich besonders!

Antwort geändert am 15.10.2019 um 17:26 Uhr
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