Frühwerk: Gedanken über die deutsche Literatur im Jahre 2000

Glosse zum Thema Literatur

von  Ephemere

Ein kleiner Hansel läuft einsam durchs Terrain und singt: "No one wants to fuck me, no one wants to fuck me...".
Doch zum Glück traf er auf unsere sympathischen Superhelden, die ihn an den osteuropäischen Hausmeister weiterleiteten, der bekanntlich fickt wie ein sizialianischer Betonmischer.
So hatten sie ihn erlöst und werden einst in den Himmel voller Sex und Gras kommen.

So oder ähnlich könnte eine gute Geschichte aussehen.

Stattdessen gehen die meisten in Deutschland wie folgt:

Der psychosengeplagte Altnazi verführt eine eigentlich lesbische Linksaktivistin und wird so geläutert, während sie die Greuel der deutschen Erblast erkennt. Die Liason zerbricht tragisch, als der Nazi vor Gericht kommt und zudem an Krebs erkrankt, während die Aktivistin nach Afrika geht und in der Entwicklungshilfe sich selbst findet.

Oder: Die brave Hausfrau wird nach einer schweren Enttäuschung von einer Soziologiestudentin vor dem Selbstmord gerettet und entwickelt ein neues feministisches Selbstbewusstsein. Sie lebt fortan allein, wird erfolgreiche Journalistin, vögelt ihren Chef und lässt ihn dann fallen, wid nach künstlicher Befruchtung schwanger und zieht ihre Tochter post-gender auf. Alle sind grimmig entschlossen glücklich, Männer endlich obsolet.

Oder: Der Geheimagent Gunther wird im Kampf gegen morsche Atomkraftwerke nach Russland geschickt, sieht dort die Armut, den Verfall und die Resignation, es regnet die ganze Zeit und Gunther philosophiert 455 Seiten lang über Moral, Schuld und Kapitalismus. Am Schluss begeht er entweder Selbstmord oder wird desillusionierter Bauer in Sibirien, ausgelutscht von seinem Job als Werkzeug der Unterdrücker. Einige wenige Sex- und Gewaltszenen werden rückblendenhaft und küstlerisch-unprätentiös eingeflochten, sollen zeigen, wie kalt und sinnlos die Welt ist.

Nicht unterschlagen sei hier noch die sogenannte junge Literatur: Verwirrte Internatsschüler in der Pubertätskrise kotzen pausenlos ins Schulklo und bemerken langsam dass... - die Welt schlecht ist (nun gut, vielleicht liegt es in dieser jugendlichen Variation des selben Pfannkuchens nicht an der Erblast, sondern an den Außerirdischen...).

Das ist sie nun, die deutsche Gegenwartsliteratur. Klein, grau, trist. Schablonenhaft, stilisiert, deprimiert und uninspiriert. Nicht einmal die DDR oder wenigstens die Wi(e)dervereinigung wurden in mehr verwandelt, als ein paar tausendseitige politische Abhandlungen über die psychosoziologischen Aspekte der Trennungszeit, einige halbherzigen Ossi vs. Wessi-Komödien und... - deprimierte Epen über den tristen Alltag im "Unrechtsstaat".

Gut, ab und zu gibt es dann doch einmal einen Nobelpreis und dergleichen, doch wohl eher, um die Statistik zu wahren, und vielleicht auch, weil man fürchtet, wir könnten sonst wieder irgendwo einmarschieren.

Doch, liebe Europäer, dazu wäre anzumerken:

Viel probater als Preise und Verträge wäre ein literARISCHER Präventionsschlag: Wenn wir nämlich erst einmal den Rest des Kontinents mit unserer Schreibe beglücken oder gar überschwemmen, bedarf es keiner Armee mehr - dann ist nicht nur Polen verloren.

Aber fürchtet Euch nicht: Das deutsche Volk 2000 braucht keinen Raum - höchstens für Abfallhalden für unverkaufte Ausgaben -, es braucht gute Bücher.

Wenn wir noch weitere 55 Jahre mit solch apokalyptischer Lesekost veregnet werden, würde ich keine Mark darauf verwetten, dass Deutschland nicht sofort und begeistert einem noch so bescheuerten Diktator nachläuft, wenn er nur mit Oliver Twist lockt.

Also: Wehret den Anfängen.


Anmerkung von Ephemere:

Von 2000. Entworfen als Kolumne für die Heidelberger Rundschau. Doch wo das Blatt sonst aus Lust an der halbwegs geistreichen Provokation alles druckte, was ich verzapfte (und das was beträchtlich), lehnte der trinkfeste Chefredakteur diesen Text resolut ab. Heute feiert er - also der Text - seine Wiederkunft.

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Kommentare zu diesem Text

Laudalaudabimini (59)
(03.11.13)
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 Ephemere meinte dazu am 04.11.13:
Merci. Das Ding ist zwar alt, aber leider immer noch aktuell. Inzwischen rege ich mich - ebenfalls älter, aber immer noch aktuell - allerdings nicht mehr darüber auf, sondern ignoriere diese Kohorten abgeholzten, chlorfrei gebleichten und tintenbedruckten Regenwaldes schlichtweg.
(Antwort korrigiert am 04.11.2013)
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