Römische Studien (von Thomas de Canterville)

Kurzgeschichte zum Thema Erlösung

von  Bluebird

Die Geschichte, die ich erzählen möchte, trug sich vor vielen Jahren zu. Genau genommen während meiner Studienzeit in Marburg.
  Eines Nachmittags war ich durch die verwinkelten Gassen der Altstadt gelaufen, als die Fensterauslage eines Antiquariats meine Aufmerksamkeit erregte. Genauer gesagt ein kleines weißes Büchlein mit dem Titel „Der Brief an die Römer“.
  Nun muss man dazu wissen, dass ich von frühester Kindheit an eine Schwäche für die antike Geschichte habe. Ausgelöst durch das Buch von Felix Dahn „Ein Kampf um Rom“ und einen Geschichtslehrer, der die damaligen Ereignisse sehr lebendig darzustellen wusste. Kurzum, ich betrat den Laden und wenig später saß ich in einem bequemen Sessel, unauffällig in einer Ecke platziert, und schlug erwartungsvoll das kleine weiße Büchlein auf.
    „Der Brief des Apostels Paulus an die Römer“ las ich auf der ersten Seiten und spürte einen Hauch von Enttäuschung. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Das aber auf jeden Fall nicht. Ich überlegte, ob ich aufstehen und dem Ladenbesitzer das Buch mit der Bemerkung „Ein Irrtum“ zurückgeben sollte.
 
Letztendlich erschien mir dies aber doch etwas peinlich und so begann ich einfach mal zu lesen. „Paulus, Knecht Jesu Christi, berufener Apostel, ausgesondert für das Evangelium Gottes“. Mannomann, an mangelndem Selbstbewusstsein schien der „Apostel“ nun nicht gerade zu leiden. Und Evangelium Gottes, was meinte er überhaupt damit?
  Ich las weiter: „Denn ich schäme mich des Evangeliums von Christus nicht, denn es ist eine Kraft Gottes zur Rettung für jeden, der glaubt.“ Gott, Christus und Rettung ... in meinem Kopf begann es zu schwirren. Was meinte er bloß damit? Ich versuchte mich an meine Religionsunterrichte bei Pastor Burmeister zu erinnern. Mal angenommen es gab wirklich einen Gott, reichte es nicht einfach ein guter Mensch zu sein?
  Etwas irritiert blätterte ich einige Seiten weiter, bis mein Blick plötzlich wie magnetisch von einer Zeile angezogen wurde: „So kommen wir zu dem Schluss, dass der Mensch allein durch Glauben vor Gott gerecht wird, und nicht durch Werke“. An diesem Satz war eine Zahl angehängt, die auf eine Fußnote am Ende der Seite verwies. Dort stand in kleiner Schrift: „Lieber Leser, vielleicht hast du ja bis jetzt gedacht Gott durch gute Werke zufrieden stellen zu können. Nun aber erkennst du, dass dies niemals reichen würde. Nur der Glaube an Jesus kann dich mit Gott versöhnen. Das musste seinerzeit auch Luther schon einsehen ...“

Wie benommen saß ich da und starrte auf den Text. Wenn das stimmte, war mein ganzes bisheriges Leben ein einziger Irrtum. Denn in der Tat hatte ich bislang versucht – wenn auch nicht immer erfolgreich – ein guter Mensch zu sein. Und gedacht, dass es schon für das ewige Leben reichen würde, wenn es denn wirklich einen Gott im Himmel gäbe.
  Ich schlug das Buch zu und stand auf. Die Frage würde ich hier und jetzt nicht klären können. Ich ging hinüber zur Ladentheke, wo der Buchhändlerin ein Buch vertieft zu sein schien. Er blickte aber hoch und fragte. „Nun, haben Sie sich entschieden?“ Ich nickte und legte das Buch auf den Tisch. „Ah“, sagte er,„der Römerbrief. Eine gute Wahl! Ich hätte da auch noch billig einen Kommentar des Neuen Testamentes abzugeben. Wären sie interessiert?“
  Als ich den Laden mit Römerbrief und Kommentar im Rucksack wieder verließ, war ich recht nachdenklich gestimmt.


Anmerkung von Bluebird:

Dies ist eine fiktive Geschichte, die aber durchaus so hätte geschehen können ...

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Frühere bzw. ältere Kommentare zu diesem Text

KoKa (45)
(29.09.13)
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 Bluebird meinte dazu am 30.09.13:
Jener "Thomas de Canterville" meiner Geschichte gehört offensichtlich zu jenen Menschen, die mit der Möglichkeit, vor Gott einmal Rechenschaft für ihr gelebtes Leben ablegen zu müssen, rechnen.
Sein "Gutmenschentum" entspricht einerseits seiner natürlichen Veranlagung, aber auch einer gewissen "Vorsorge" für den eben erwähnten Fall der Fälle.
In der Geschichte allerdings muss er erkennen, dass er gemäß "Römerbrief" mit seinem "Gutmenschentum" nicht durchkäme. Deshalb verlässt er am Ende nachdenklich den Laden.
KoKa (45) antwortete darauf am 30.09.13:
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 Bluebird schrieb daraufhin am 30.09.13:
Zwei von "Thomas" gemeinte mögliche Versionen:
A)Und gedacht, dass es (das Gutmenschentum) im göttlichen Gericht(Stichwort:Jüngster Tag) schon reichen würde, wenn es denn wirklich einen Gott im Himmel gäbe.
B) Und gedacht, dass es (das Gutmenschentum) zum ewigen Leben schon reichen würde, wenn es denn wirklich einen Gott im Himmel gäbe.
(Antwort korrigiert am 30.09.2013)
(Antwort korrigiert am 30.09.2013)
(Antwort korrigiert am 30.09.2013)

 Bluebird äußerte darauf am 30.09.13:
Habe Deine Kritik angenommen und es in Version B umgewandelt!
KoKa (45) ergänzte dazu am 30.09.13:
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 Dieter Wal (30.09.13)
Der Plot krankt an der Tatsache, dass Konfirmanden normalerweise wenigstens teilweise Paulusbriefe gelesen haben müssten, da die meisten Pfarrerinnen und Pfarrer schließlich im Konfirmandenunterricht sich bemüßigt fühlen, ihnen weitestgehend das Fremdheitsgefühl beim Bibelentdecken zu nehmen, dass durch die 2000 Jahre dazwischen zwangsläfig aufkommt.

Aber als Plot für eine christliche Zeitung ev. tragfähig. Solche Leser stören sich je nach Altersgruppe an derartigen Kleinigkeiten weniger. Momentan deckt der Text die Zielgruppe von Männern und Frauen von 30 bis zur Rente ab. Die sollten dann bereits Bibel gelesen haben und nicht allzu viel über formale Fehler nachdenken, wenn sie eine christliche Zeitung lesen. Handwerklich ist es ok.

Die namentliche Vorstellung ist nicht ideal. Bessere Einstiege lassen sich üben.

"Ich heiße in Wirklichkeit nicht Thomas de Canterville, aber das tut eigentlich auch nichts zur Sache. Die Geschichte, die ich erzählen möchte, trug sich vor vielen Jahren zu. Genau genommen während meiner Studienzeit in Marburg."

Du gehst bei Zeitungen immer davon aus, dass der Einstieg seine Leser sogartig in ihren Bann zieht. Daher sind Einstiege meist originell und Interesse erweckend.
(Kommentar korrigiert am 30.09.2013)

 Bluebird meinte dazu am 30.09.13:
Hallo Dieter,
vielleicht hätte ich besser "Pfarrer Burmeister" schreiben sollen, denn Kommunion und Religionsunterricht führen nicht unbedingt zum Lesen und Verstehen der Paulusbriefe, wie ich aus eigener Erfahrung weiß.

Was den "Einstieg" in die Geschichte angeht magst Du recht haben. Aber ich bin ein "intuitiver" Schreiber. Und habe die Geschichte zuerst im AW veröffentlicht. Und da ist dieser Anfang -angesichts der dortigen "Spielerei" mit Identitäten- durchaus angebracht.

Das mit der christlichen Zeitung ist interessant, aber genau für diese "Zielgruppe" schreibe ich eigentlich nicht. Sondern ich schreibe in erster Linie für den ganz "normalen" Menschen, wie Du und ich ...

 Dieter Wal meinte dazu am 30.09.13:
Hemingway war Journalist, bevor er Romane schrieb, Kracht ist es noch heute. Krachts Roman Imperium beginnt mit dem Satz:

"Unter den langen weißen Wolken, unter der prächtigen Sonne, unter dem hellen Firmament, da war erst ein langgedehntes Tuten zu hören, dann rief die Schiffsglocke eindringlich zu Mittag, und ein malayischer Boy schritt sanffüßig und leise das Oberdeck ab, um jene Passagiere mit behutsamem Schulterdruck aufzuwecken, die gleich nach dem üppigen Frühstück wieder eingeschlafen waren."

Er beginnt bildhaft und anschaulich mitten im Thema. Wir könnten jetzt endlos Romanbeginne zitieren. Aber das Prinzip sollte klar geworden sein.
(Antwort korrigiert am 30.09.2013)

 Bluebird meinte dazu am 19.10.13:
Habe den Satz: "Eigentlich heiße ich nicht Thomas de Canterville..." herausgenommen
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