Warum ist Sex in der modernen Literatur so wichtig?

Kritik zum Thema Literatur

von  toltec-head

Auf die Frage, warum extreme Darstellung von Sexualität in seinen Romanen eine so große Rolle spielt, zieht Houellebecq erst einmal an seiner Zigarette. Sternstunden der Philosophie, Sendung vom 1. Mai 2011. Glücklich, wer die Antwort dann im Original Französisch mitverfolgen kann:

- Mais parce que la sexualité donne un tout petit plaisir quand-même.

Weil man doch trotz allem ein bisschen Plaisir davon hat. Dies klingt lapidar. Aber in einem Land, über das seit einiger Zeit mit Autoren wie Frau Sybille Lewitscharoff ein neues literarisches Biedermeier eingebrochen ist, werden wir Zeugen tatsächlich eines Sternmoments.

In einem seiner Romane drückt er sich etwas extremer aus. Nachdem ein Mann und eine Frau Sex hatten, heißt es, dass die Frau schließlich ganz zufrieden war, weil eine Spermadusche ins Gesicht nach einem langen Arbeitstag doch immerhin etwas schönes ist. Die vorherrschende Meinung in Deutschland dürfte indes sein, dass eine Spermadusche ausschließlich ein Thema für die Porno-Industrie ist. Jedenfalls sollte, wer wie  Frau Lewitscharoff Büchner-Preisträger werden möchte, lieber die Finger davon lassen.

Auch droht im theorieversessenen Deutschland der Hinweis auf Plaisir im Getön der sogenannten erstzunehmenden Ansichten allzu leicht unterzugehen. Daher sollte man für unsere armen Schulkinder doch etwas weiter ausholen. Die Antwort auf die Frage, warum Sexualität in der modernen Literatur, die vom Neo-Biedermeier noch verschont geblieben ist, eine so große Rolle spielt, liegt in dem, was ich das geschlossene Leben nenne. Oder die Erfahrungslosigkeit der Angestelltenexistenzen.

Der Orgasmus ist zu kurz, um ihn wirklich eine Erfahrung zu nennen, er gibt einem aber einen Geschmack von dem, was Erfahrung sein könnte. Der Orgasmus ist der Hubbel Dasein, der für die sozialen Systeme ohne Anschlussmöglichkeit ist.  Der Orgasmus ist total unwissenschaftlich, unwirtschaftlich, unliterarisch, unpolitisch, unreligiös, afamiliär. Er steht sehr wohl sogar außerhalb der Porno-Industrie, denn er lässt sich filmisch in keiner Weise zeigen. Der Orgasmus ist rein sozial gesehen ein totaler Parasit.

Beschreibt die Luhmann´sche Totale die real existierende Reduktion der Angestelltenexistenzen auf ihre Anschlussfähigkeit an die sozialen Systeme, so steht der Orgasmus für eine klitzekleine Anschlussmöglichkeit an eine andere Welt. Er ist ein Hauch des Offenen. Deshalb ist es zwangsläufig so, dass Sexualität in der modernen Literatur eine so große Rolle spielt.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (30.10.13)
Schön geschrieben, ich glaube aber, dass viele (männliche) Autoren und Schriftsteller gerne über Sex schreiben, um sich damit persönlich als besonders erfahren und potent darzustellen. So ganz ohne Niklas Luhmann.

 toltec-head meinte dazu am 30.10.13:
Du meinst jetzt aber nicht Henry Miller oder so?

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 31.10.13:
Nein, ich meine eher deutsche bod-"Schriftsteller".
michaelkoehn (76)
(30.10.13)
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 toltec-head schrieb daraufhin am 30.10.13:
Wir können uns ja mal mit Sybille und Brigitte in dem Offenbacher Swinger Club treffen.

Dank dir.
michaelkoehn (76) äußerte darauf am 31.10.13:
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Menschenkind (29)
(30.10.13)
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Menschenkind (29) ergänzte dazu am 30.10.13:
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Menschenkind (29) meinte dazu am 30.10.13:
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 toltec-head meinte dazu am 30.10.13:
Dann musst DU wohl Zuhause bleiben and like a sad slave think of nought und naja du weisst schon. Bist für Sybille und Brigitte eh zu jung.
Menschenkind (29) meinte dazu am 30.10.13:
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Menschenkind (29) meinte dazu am 30.10.13:
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 toltec-head meinte dazu am 30.10.13:
Erinnert mich an die Dead Kennedys. Kennt heut niemand mehr.
JakobJanus (35)
(30.10.13)
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 toltec-head meinte dazu am 30.10.13:
Wer ist als nächstes dran?
JakobJanus (35) meinte dazu am 30.10.13:
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parkfüralteprofs (57)
(01.11.13)
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 toltec-head meinte dazu am 01.11.13:
Ob Mishima darunter ist? Anway, das Foto wirkt auf mich beängstigend und klaustrophobisch. Kein Ort, wo ich sein möchte. Du etwa?

Nilsson ist vor meiner Zeit, musste ich googlen. Das findet man wohl nur dann richtig gut, wenn man es gehört hat, als man jung war.
parkfüralteprofs (57) meinte dazu am 02.11.13:
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 toltec-head meinte dazu am 03.11.13:
Jo, hast Recht. Das Bild IST interessant. Man muss nur lange genug hinschauen:  .
(Antwort korrigiert am 03.11.2013)
(Antwort korrigiert am 03.11.2013)

 Dieter Wal (04.11.13)
Frankreich bringt ungebrochen kreativ immer neue, über viele Epochen die mit Abstand qualitativ umfangreichste erotische Literatur hervor. In sämtlichen Spielarten. Frankreich ist wie das antike Griechenland das Heimatland der Erotik und des Sexes. Liebe, Lust und Leidenschaft werden dort großgeschrieben. Franzosen, die nicht an gutem Essen, Kultur, Sinnlichkeit und l'art vivre interessiert sind, begegneten mir bisher nicht. Sicher gibt es die auch.

Houellebecqs Elementarteilchen sind in meinen Augen ein eher verklemmter Ausdruck von Sex in zeitgen. franz. Romanen. Dass gerade der dazu befragt wurde, liegt wohl an der in Frankreich auch deutlich vorhandenen Gesprächskultur. Er gilt als bedeutender Intellektueller. Über solche Fragen hätte ich ihn bestimmt nicht interviewt.
(Kommentar korrigiert am 04.11.2013)

 toltec-head meinte dazu am 05.11.13:
Franzosen, die nicht an gutem Essen, Kultur, Sinnlichkeit und l'art vivre interessiert sind, begegneten mir bisher nicht.

Dass Sex wie der Tod eine ernste Sache ist und nicht etwas Geschmäcklerisches für kulturinteressierte ältere Herrschaften, könntest du lernen, wenn du Houellebecqs Romane vielleicht ein bisschen aufmerksamer lesen tätest, mein Lieber.

 Dieter Wal meinte dazu am 05.11.13:
Meine Kenntnisse sind eher Erfahrungswerte, seltener Bücherwissen. Du erlebst immer wieder, wie falsch der liegen kann, welcher sich auf "Autoritäten" verlässt. Bücher sind Papier. Meinungen taugen zum Arschabwischen.
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