Lösen

Sonett zum Thema Abgrenzung

von  Isaban

Dunkel wiege ich dein Lachen,
das noch in den Wänden wohnt.
Stille wird mich mürbe machen.
Wie ein Kafkageier thront

jedes letzte Nichtgespräch
innenkopfig auf den Ohren;
ungeheuer fremdgeboren
und fernab vom Weg

sprintest du mit weiten Schritten
dorthin, wo du Leben spürst.
Deine großen Schuhe schnürst

du nicht zu, denn Schleifen sind
uncool und ich steh inmitten Endlosschleifen.

Fall nicht, Kind.

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Kommentare zu diesem Text

janna (66)
(06.11.13)
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 niemand (06.11.13)
Ich muss hier mal ein paar Zeilen hinterlassen, denn es ist eines der Gedichte die mich berühren, die Schmerz schreiben ohne Jammerei. Es ist wunderbar in seiner Schlichtheit.
Mit herzlichen Grüßen, Irene

 WortGewaltig (06.11.13)
"du nicht zu, denn Schleifen sind
uncool und ich steh inmitten Endlosschleifen."

darüber bin ich beim lesen ins Stolpern gekommen um dann mit

"Fall nicht, Kind."

wieder reinzukommen und alles sehr gut zu finden. LG
janna (66) meinte dazu am 06.11.13:
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holzköpfchen (31) antwortete darauf am 07.11.13:
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 Irma (13.11.13)
Da ich mich nur schwer von deinem Sonett lösen kann, falle ich hier jetzt auch noch mit ein paar Worten ein …

Was mir besonders gut gefällt, ist diese Leichtigkeit - oder wie Irene sagt Schlichtheit - aufgrund der geringen Hebungszahl, die im starken Kontrast zur durch den Trochäus gestützten inhaltlichen Schwere steht. Das Ganze „sagt sich so leicht dahin“, beinahe wie die Ratschläge, die man als Mutter oft genug zu hören bekommt (Nun mach dir mal bloß nicht so viele Sorgen!).

Während das Kind voller (Er-)lebensdrang und jugendlichem Leichtsinn auf den falschen Wegen leichtfüßig davon spurtet, bleibt die Mutter hilflos stehen. Die Schnürsenkel sind dabei eine sehr schöne Metapher für die vollkommen sorglos vom Kind gelöste Bindung zur Mutter, die ihrerseits nicht umhin kann, ihrem Kind am Ende noch ein „Fall nicht, Kind.“ hinterherzuschicken - sehr wohl wissend, dass ein Sturz des Kindes auch sie selber zu Fall bringen würde. Die wirr kreisenden Gedanken der Quartette entwickeln sich dabei in den Terzetten zu Fallstricken, zu „Endlosschleifen“.

Das Sonett ist voller Gegensätze (leichtfallen und schwerfallen, fortrennen und stehenbleiben) und Widersprüche: Einerseits wird die Stille die Mutter mürbe machen, andererseits kann sie überhaupt nicht zur Ruhe kommen. Als ein quälender Zustand empfunden wird etwas, was eigentlich gar nicht stattgefunden hat: ein „Nichtgespräch“. Dieses Paradoxon wird sogar noch gesteigert: „jedes letzte Nichtgespräch“. Während „letzte“ eigentlich eine Einmaligkeit impliziert, bekommt es durch das „jedes“ einen Wiederholungsstatus (die immerwährende fehlende Aussprache am Ende). Die Mutter ist der Macht dieser sich immerzu im Kreis drehenden Gedanken wehrlos ausgeliefert, ihr Kopf wird von ihnen beherrscht wie von einem thronenden „Kafkageier“. Dieser passt in seiner Paradoxität (Geier sind eigentlich Aasfresser) gut zum „Nichtgespräch“. Es geht um ein Zerfressenwerden, um ein inneres Sich-selbst-Zerfleischen. Die Mutter-Kind-Beziehung ist durch die ausbleibenden Gespräche leblos geworden.

Stilistisch schön und geschickt gemacht sind dabei - neben der abgetrennten und hochgezogenen letzten Verszeile - vor allem Z.7 und Z.8 im zweiten Quartett. Durch den vorweg genannten Geier und das späte „du“ (im ersten Terzett) ist man geneigt, das „ungeheuer“ nicht adverbial, sondern eher wie ein Substantiv zu lesen, wodurch das Befremdliche noch mehr Gewichtung bekommt. Zugleich wird mit dieser siebenten Zeile auch das Sonett in seinem Aufbau befremdlich, weil man analog zum ersten Quartett eigentlich den Kreuzreim erwarten würde. Die verkürzte achte Zeile führt noch weiter weg vom gewohnten Weg (unreiner Reim), und die erhoffte versöhnliche (Reim-)Umarmung bleibt aus.

Insgesamt ein Sonett, das mich sehr berührt hat und mir noch lange in Erinnerung bleiben wird. LG Irma
(Kommentar korrigiert am 13.11.2013)
Fabi (50)
(27.11.13)
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