Milchlandstraßen

Gedicht zum Thema Heimat

von  monalisa

Tagsüber bonusgemeilt, nur gehetzt und geeilt,
scheint mir mein Abendasyl auch noch ungastlich kühl.
Fröstelnd verläuft sich der Blick aus dem Großstadtgewühl -
hin zu den Wolken, die lustlos ein Sichelmond teilt.

Mir ist so, als habe die Nacht sich ins Fäustchen gelacht,
als ob sich die Sterne verschnuppten in spöttelnder Ferne.
Von allen verlassen besprech ich mich mit der Laterne,
der einzigen Freundin, Vertrauten, die jetzt bei mir wacht.

Von Milchstraßen, Wegen nach Eden, - hör ich mich reden,
vom Wünschen und Sehnen, von Feldern, die nebelig gähnen,
und Häusern, in denen sich Menschen beheimatet wähnen;

von Lieben, die eingehüllt blieben in Spinnwebfeinfäden
verträumter Gedanken, versäumter Momente der Tat.
Zum Henker, jetzt heul ich, weil Heimweh mich heimgeholt hat.

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Kommentare zu diesem Text

KoKa (45)
(18.11.13)
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 monalisa meinte dazu am 19.11.13:
Danke heftigst für das 'heftigst gut' - doch eigentlich ist für mich deine Feststellung, dass die Stimmung vonVers zu Vers wechselt, eine noch viel wertvollere Rückmeldung. Es freut mich sehr, dass du das mitempfunden hast.
Liebe Grüße,
mona

 TassoTuwas (18.11.13)
Raffiniert mit Innenreim und Ironie gespicktes sonettartiges ichweißnichtwas.
In jedem Falle Spaß!
Liebe Grüße TT

 monalisa antwortete darauf am 19.11.13:
Wie machst du das, in aller Kürze, präzise ... und alles dirn, alles dran. Super, der perfekte Kommi, würd ich sagen! Da kann ich mir noch einiges von dir abschauen.

Vielen herzlichen Dank dafür.
Liebe Grüße,
mona

 Irma (19.11.13)
Ich finde das nicht nur 'sonettartig', sondern es ist ein artiges Sonett und unter dieser Sparte dürfte es auch mit Fug und Recht eingestellt werden. Wobei durch den fünfhebigen Daktylus eine ungewöhnliche Verslänge entsteht, die das Gedicht tatsächlich auffällig macht. Allerdings passt diese Länge ausgezeichnet zum Thema ‚Entfernung‘.

Ich habe ein LyrIch vor Augen, das beruflich ständig unterwegs ist, immer auf Reisen, von Stadt zu Stadt fliegt („bonusgemeilt“), von Termin zu Termin hetzt, um dann abends in irgendeinem siebenunddreißig Stockwerke hohen Betonkasten ein unpersönliches Hotelzimmer („Abendasyl“) zu beziehen. Einsam am dunklen Fenster sitzend, den immer gleichen Mond vor Augen, wird LyrIch von einem Anflug von Sentimentalität und Selbstmitleid erfasst, was durch die romantisierende Sprache („von Feldern, die nebelig gähnen“, „von Lieben, die eingehüllt blieben in Spinnwebfeinfäden“) sowie das fast überstrapazierte Stilmittel der Alliteration und des Binnenreims wunderbar zum Ausdruck gebracht wird, bis hin zur fast vor Weltschmerz triefenden letzten Verszeile: „Zum Henker, jetzt heul ich, weil Heimweh mich heimgeholt hat.“

Die eigene Unzufriedenheit des LyrIch mit seiner Situation (es scheint genauso „lustlos“ zu sein wie der Sichelmond) wird im zweiten Quartett ordentlich aufs Korn genommen, indem sich das LyrIch von der Nacht ausgelacht und den Sternen verspottet fühlt und sich als tröstenden Ansprechpartner die Mondlaterne sucht. LyrIch sehnt sich weit weg von der Anonymität und dem Gewühl der Großstadt, sehnt sich nach Ruhe (nach „Feldern, die nebelig gähnen“), nach Zugehörigkeit, nach einer Heimat auf dem Land. Doch selbst ist LyrIch nicht in der Lage, einen Ausweg zu finden. Der Zug scheint auch längst abgefahren („versäumter Momente der Tat“, Z.13), der Traum von einem beschaulichen Heim, einer Familie, nicht mehr realisierbar. Lediglich der Blick von LyrIch vermag in die himmlischen Weiten zu entfliehen. Stilistisch sehr schön finde ich in diesem Zusammenhang den Auftakt, der ab Vers 5 hinzukommt und dem harten Tag mit seiner Beengtheit die weiche Unbegrenztheit der nächtlichen Traumwelt entgegenstellt.

Besonders hervorhebenswert finde ich zudem den Titel des Gedichts: „Milchlandstraßen“. Eine tolle Verschmelzung von den himmlischen „Milchstraßen“ (Z.9) und irdischen „Landstraßen“, die sich wie die langen Verse in die Ferne schlängeln. Zugleich steckt darin auch „Milchland“, was für mich ein bißchen nach Schlaraffenland klingt, nach dem Land wo Milch und Honig fließen, nach paradiesischen Zuständen, nach „Wegen nach Eden“ (Z.9). Und auch nach der „Landmilch“ von den „Feldern, die nebelig gähnen“ und der Beschaulichkeit eines stillen Landlebens.

Alles in allem ein sehr reichhaltiges, beeindruckendes Sonett, mit dem ich mich gerne beschäftigt habe. LG Irma
(Kommentar korrigiert am 19.11.2013)

 monalisa schrieb daraufhin am 19.11.13:
Ja, ja und nochmal ja! Ach Irmchen (ich darf dich doch auch so nennen im Überschwang meiner Gefühle!!!) du hast voll ins Schwarze getroffen! Mein Gott, st das schön. Du hast mich wirklich großartig beschenkt mit deinem Kommentar.
Vielen herzlichen Dank.
Liebe Grüße,
mona
janna (66) äußerte darauf am 23.11.13:
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 Isaban (23.11.13)
Liebe Mona,

auch mir gefällt dein Text ausnehmend gut, toller Klang und geschickt gewählte Bilder. Schon im ersten Vers wird die gehetzte Großstadtstimmung durch die harten Konsonanten ebenso perfekt übertragen, wie der nachfolgende Stimmungswechsel (z.B. die langen Üüs in V2 etc), das langsame Abklingen des Tagesrauschens, das sanfte Entspannen bis ins Erinnerungsträumen.
Sehr gut gefallen mir auch die vielen Binnenreime, die den Text umso klangvoller machen. Und dennoch (ja, sorry, da ist ein kleines Aber): So geschickt die überlangen Verse auch gesetzt sind, man merkt manchen - z.B. S2, V4 (die zusätzlich eingeschobene Vertraute) an, dass sie nachträglich aufgestockt und künstlich auf fünf Hebungen gebracht wurden. Hier könnte man getrost auf die Einschiebung verzichten, gerade das Fehlen der fünften Hebung kann doch stilistisch wunderbar den Inhalt, nämlich das Fehlen der anderen, der richtigen Freunde bebildern. Auch die "Spinnwebfeinfäden" in S4, V1 wirken nicht so recht natürlich, sondern dem Versmaß geschuldet - vielleicht findet sich da ja noch eine andere, weniger wortbandwurmartige Lösung, denn die Terzette sind ansonsten meine absoluten Highlights, sie sind das, was mich den Text sofort lieben machte - ein klanglicher und bildlicher Genuss der Sonderklasse!

Liebe Grüße

Sabine

 monalisa ergänzte dazu am 24.11.13:
Ach, wie freu ich mich über deinen Kommi, liebe Sabine. Hab vielen Dank dafür.
Schade, dass du die 'Vertraute' als 'nachträglich aufgestockt' empfindest. Mein erster Impuls war nun, deinem Einwand nachzugeben und die Vertraute zu entsorgen. Ich stelle aber jetzt fest, dass sie mir doch mehr fehlt, als ich gedacht habe. In Zeiten, da Freunde schon sehr inflationär gehandelt werden, ist mir das Vertraute, Sich-anvertrauen-Können, Vertrauen ... schon ein zusätzlicher Wert und als solcher wichtig.
Ich denk noch mal in aller Ruhe drüber nach.

Auch und besonders schade finde ich, dass die bandwurmartigen Spinnwebfeinfäden bei dir auf wenig Gegenliebe stoßen. Gerade das Bandwurmartige, das sich zwar fein und dünn, doch endloslang wieder und wieder um die Lieben schlingt, bis sie ganz darunter verschwinden wie in einem Kokon war ja beabsichtigt, finde ich nach wie vor treffend. Oder ist doch zu übertrieben? Sicherlich ließe sich etwas anderes finden, doch möchte ich das auch?
Wie auch immer, ich danke dir herzlich für deine Anregungen, da noch einmal genua drauf zu schauen.

Liebe Grüße,
mona
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