Ein Fragezeichen erzählt drauflos

Satire zum Thema Eigene Welt

von  EkkehartMittelberg

Da hat doch neulich einer eine sentimentale Geschichte über ein vergessenes Komma geschrieben. Unfassbar, statt sich meiner zu erinnern, der gewöhnlichen Beistriche zu gedenken.
Die gehören auf einen Bierdeckel, damit sich der Gast nicht hoffnungslos verschuldet.
Sind Sie mal ehrlich. Kennen Sie die Geniealogie des Fragezeichens?

Ich stamme nämlich aus dem ältesten Adel der Welt. Stellen Sie sich einmal vor, wie die Urmenschen gefroren haben, als sie das Feuer noch nicht hatten, und wie sie sich geschämt haben, als sie noch nicht wussten, womit sie ihre Blöße bedecken sollten. Sie liefen mit lauter Fragezeichen auf ihren Neandertalerstirnen umher.
Und als es dann endlich bei jemandem Funken geschlagen hatte und das erste Weib mit seinem Tanga unendlichen Neid erregte, wurden diese natürlich gefragt, wie sie auf ihre geniale Erfindung gekommen seien, und sie wiesen voller Stolz auf das Fragezeichen auf ihren Denkerstirnen. Ja, damals war ich noch überlebenswichtig, und man verneigte sich vor dem „von und zu Fragezeichen“.

Zugegeben, als die Keilschrift erfunden wurde, hatte ich noch nicht den eleganten Schwung wie heute, mit dem Achtung gebietenden Punkt darunter. Ich glich eher einem geadelten Wursthaken. Aber selbst die einfachsten Untertanen hatten Respekt vor mir und fragten auf Teufel komma raus, wie sie den Priestern die Schatullen und den Pharaonen die Grabkammern füllen konnten. Heute brauchen Sie daran ja nicht mehr zu denken, weil das alles per Steuerbescheid automatisch geregelt wird.
Zur Akzeptanz der Wissenschaft - die hinkt ja bekanntlich immer hinter der Realität her - verhalf mir dann nicht etwa Pippin der Kurze, sondern Karl der Große mit seiner karolingischen Minuskel. Apropos Minuskel. Sie sehen, ich habe mich von Anfang an bescheiden gegeben.
Hoch im Kurs stand ich bei den scholastischen Theologen, die mehr fragten, als alle Narren dieser Welt beantworten können, bis dann dieser Klassiker, der Dr. Faustus, alles kaputt machte. Von wegen „Im Anfang war die Tat.“ Im Anfang war die Frage, wie Gott sich die Langeweile vertreiben könnte. Als Antwort darauf schuf er den Menschen.
Ja, und dann ging das mit der Fragerei gleich weiter, als Gott sich fragte, wie er dem Adam Gesellschaft verschaffen könne und aus seiner Rippe die Eva kreierte. Heute fragen sich die letzten Feministinnen, warum sie so viel schlauer als die Männer sind, wo sie doch aus Adams Rippe entstanden sind. Fragen über Fragen und die orthographische Planwirtschaft funktioniert, denn der Vorrat an Fragezeichen ist unerschöpflich. Eva musste sich natürlich fragen, wie sie Adam verführen konnte, diesen tumben Tor, und dann kam ihr gleich diese zischelnde Schlange zur Hilfe.
Deshalb, liebe Herren der Schöpfung, unterscheiden Sie immer genau zwischen harmlosen und Schlangenfragen. Lassen Sie sich letztere schriftlich geben und verweigern Sie die Antwort, wenn kein Fragezeichen dahinter steht.
Übrigens, neulich hat die Stiftung „Fragetest“ wieder eine statistische Erhebung durchgeführt. Wissen Sie, welche die statistisch beliebteste Frage ist? „Liebling, liebst du mich noch?“ Da ich immer dahinter stehe, kenne ich auch die statistisch häufigsten Antworten: Wenn s i e die Frage stellt, brummt e r: „Na klar“, um dann seinerseits die rhetorische Frage anzuschließen: „Holst du mir noch ein paar Flaschen Bier?“ Wenn e r die Frage stellt, lächelt s i e charmant: „Wie kannst du nur fragen?“ Um ihm dann zu erzählen, dass der Mann ihrer besten Freundin am Samstag mit dieser nach Wertheim Village fährt. Ich weiß, Sie hätten Ihre Frau oder Ihren Mann auf diese Frage sogleich in den Arm genommen und den fragenden Mund mit Küssen verschlossen. Das ist doch selbstverständlich, denn Sie fallen aus jeder Statistik.
Wissen Sie auch, welche die beliebteste Antwort ist, die Politiker auf die Frage geben, wie ein bestimmtes Problem zu lösen ist? „Seien Sie versichert, das wird von unseren Gremien sorgfältig geprüft und zu gegebener Zeit unverzüglich in Angriff genommen.“
Das sind heikle Fragen, müssen Sie einräumen. Sie müssen ja das von Ihnen erarbeitete Steuergeld nicht in die Hand nehmen und haben von der Last der Verantwortung keinen blassen Schimmer.
Aber das sind alles Peanuts im Vergleich zu der Frage, „was die Welt im Innersten zusammen hält?“ (Goethe, Faust I) Hinter dieser habe ich auch so oft gestanden, und ich antworte Ihnen:„Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.“ (Goethe, Faust I)
Sie sehen, es ist nicht leicht, ein Fragezeichen zu sein. Fragen Sie mich lieber mal, was Leib und Seele zusammen hält? Ich antworte Ihnen: „Essen und Trinken.“ Also, stellen Sie die richtigen Fragen, und Sie erhalten vernünftige Antworten.

© Ekkehart Mittelberg, November 2013


Anmerkung von EkkehartMittelberg:

Hallo Argusaugen, der Text enthält ein paar Fragezeichen mehr, als der Duden erlaubt. Ich hoffe, ihr könnt trotzdem schlafen.

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Kommentare zu diesem Text


 susidie (20.11.13)
Die Fragezeichen von gestern noch auf der Stirn, fragte ich mich beim Aufstehen, welchen Text ich wohl heute morgen in meinen Kaffee tunken soll? Fraglos wählte ich und siehe da? Die Antwort fiel in die Morgensonne, und damit bekam mein Lachen für den Tag einen ganz rötlichen Schimmer. Danke ich dir dafür? Rate mal!!! Liebe Grüße in deine Nacht, Su :)

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.11.13:
Grazie, Su, ich kann ganz schlecht raten, aber ich freue mich sehr, dass du in die Morgensonne lachen konntest.
Liebe Grüße
Ekki

 Jorge (20.11.13)
Ab jetzt sehe ich nur noch geadelte Wursthaken auf den Stirnen meiner Mitmenschen *ggg*.
Und da sage noch einer Satzzeichen haben kein Innenleben.
Liebe Grüße
Jorge

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 20.11.13:
Vielen Dank, Jorge. Von wegen geadelte Wursthaken. Ist ja nur ein Spaß. Aber mal im Ernst: Was wäre mit der Entwicklung der Menschen ohne die vielen gescheiten Fragen.
Liebe Grüße
Ekki
chichi† (80)
(20.11.13)
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 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 20.11.13:
Merci Gerda. Es freut mich, dass du dich amüsieren konntest.
Heitere Grüße
Ekki
Laudalaudabimini (59) äußerte darauf am 20.11.13:
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 SapphoSonne (20.11.13)
Wirklich gut geschrieben. Lässt bei mir keine Fragen offen. Bin praktisch für einige Minuten Fragezeichenfrei gewesen.

LG Sappho

 Jorge ergänzte dazu am 20.11.13:
fraglos ein guter Kommentar.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.11.13:
Grazie, Sappho und Jorge. Ein paar Fragen bleiben doch immer offen. Aber ich weiß, wie du es gemeint hast, Sappho.

„Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“ (aus Brecht: Der gute Mensch von Sezuan).

LG
Ekki
(Antwort korrigiert am 20.11.2013)

 Lluviagata (20.11.13)
Ekki, magst du mich noch? ...bin ich angesichts der von SWT und dir offengelegten Statistik versucht zu fragen. :D

Ein kurzweiliger, launiger Text, der mir den vernebelten Feiertag versüßt hat und mich dennoch fragend zurücklässt, so als Frau ... ;)

Liebe Grüße
Llu ♥

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.11.13:
Merci, Andrea. Aller Ironie/Selbstironie zum Trotz. Ich mag Frauen und insbesondere die emanzipierten. Jetzt könnte ich noch etwas mit vier Worten hinzufügen. Aber ich bin sicher, dass du es errätst.
Liebe Grüße
Ekki

 TassoTuwas (20.11.13)
Einfach herrlich!
Und nun lieber Ekki, bin ich gespannt, wann und wie du dir nach Komma und Fragezeichen das "Semikolon" zur Brust nimmst. )))
Es macht Spaß gemein zu sein, oder?
Herzliche Grüße TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.11.13:
Vielen Dank, Tasso, ich überlege noch, welche Geheimnisse das Semikolon, dieser Zwitter, birgt.
"Es macht Spaß, gemein zu sein?" Die Gedanken sind frei, Tasso.
Herzliche Grüße
Ekki
Gringo (60)
(20.11.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.11.13:
Muchas Gracias, Gringorine, das kann nicht sein; denn ich hätte der Sachbearbeiterin eine mit Stachelkaktussen besetzte lange Bank geschenkt.

 AZU20 (20.11.13)
Jetzt habe ich keine Fragen mehr. Köstlich. LG
Laudalaudabimini (59)
(20.11.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.11.13:
Vielen Dank für deinen anregend bildreichen Kommentar, Lauda. Weißt du, Sticheleien sind nicht so meine Masche, aber ich bin manchmal übermütig, einfach aus Spaß an der Freude.
LG
Ekki
Fabi (50)
(20.11.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.11.13:
Grazie, Fabi. Er sollte vor allem lustig sein.
LG
Ekki
Fabi (50) meinte dazu am 20.11.13:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.11.13:
Das freut mich natürlich, Fabi. DANKE.
Was die anderen Satzzeichen angeht: Es könnte die Luft raus sein. Ob noch genug drin ist, merke ich erst, wenn ich schreibe.
Zweifler (62)
(20.11.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.11.13:
Vielen Dank, Zweifler.
Lass uns gemeinsam dem Gemeinen ins Gesicht grinsen.

 loslosch (20.11.13)
die hinweise (pippin ..., minuskel ...) verführten mich, ad fontes zu sinken. es hat mich erstaunt, fasziniert und überzeugt:

 hier.

da latein im mittelalter die lingua franca war, wische ich alle zweifel beiseite. und das "?" (aus q o) grient mich an.
(Kommentar korrigiert am 20.11.2013)

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.11.13:
Danke, Lothar. Das ? Aus q o. Eine witzige Hypothese. Sie könnte sogar stimmen.

 TrekanBelluvitsh (20.11.13)
Also, ja, ich, gebe, zu, ich, habe, mir, den, Text, des, Kommas, sehr, zu, Herzen, genommen, und, jetzt, frage, ich, mich, ob, das, so, richtig, war?
Aber, wertes, Fragezeichen, ich, kann, sie, beruhigen, denn, schon, seit, frühester, Jugend, und, immer, noch, bin, ich, ein, Fan, der, drei, ???

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.11.13:
Ergebensten Dank, lieber Fan, wenn man dem Fragezeichen gibt, was des Fragezeichens ist, dann lasse ich auch dem Komma, was des Kommas ist.
Pocahontas (54)
(20.11.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.11.13:
Liebes Ausrufezeichen, noblesse oblige. Ich gestehe Ihnen gerne, dass ich schon immer zu Ihren stillen Bewunderern gehörte, zumal Sie von Hochadel sind.
Verraten Sie mir doch bitte, welches Fitnesscenter Sie besuchen. Ich fühle mich mit meinen ausladenden Formen gar nicht uptodate.
Ergebenst
Ihr Fragezeichen

Zum P.S. Grazie, Sigi, ein origineller Gedanke. Ob aus Rippe oder aus Lehm, beide Geschlechter zerfallen zu Staub.
Liebe Grüße
Ekki
(Antwort korrigiert am 20.11.2013)
(Antwort korrigiert am 20.11.2013)

 Alias (20.11.13)
ein anregender text, lieber ekkehart, erinnert mich an diesen supercomputer, der die frage nach dem Leben, dem universum und dem ganzen rest beantworten sollte - nach millionen von jahren rückte er mit der antwort heraus: 42. warum 42? die frage war falsch gestellt.
liebe grüße v. ingrid

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.11.13:
Vielen Dank, Ingrid. Das werde ich mir merken.
Liebe Grüße
Ekki
Scrag (28)
(20.11.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.11.13:
Thank you so much, Markus. Na klar habe ich Interesse. Das grüne gefällt mir am besten, weil es sich zurücklehnt, um die Frage nachdenklich zu betrachten.
LG
Ekki
wa Bash (47)
(20.11.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 21.11.13:
Vielen Dank, wa Bash. Ich freue mich besonders darüber, dass es sich gut liest.

 ViktorVanHynthersin (21.11.13)
Der Vorhang fällt, lieber Ekkehart, und keine Frage bleibt offen - sehr gelungen, wie ich meine.
Herzliche Grüße
Viktor

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 21.11.13:
Grazie, Viktor. Es wird noch ein paar offene Fragen geben. Die sieht man nur nicht, weil der Vorhang gefallen ist. )
Herzliche Grüße
Ekki
(Antwort korrigiert am 22.11.2013)

 irakulani (22.11.13)
Ein Fragezeichen im geschriebenen Text kann ganz entscheidend die Bedeutung der Worte ändern.
Er liebt sie. -Er liebt sie? - Liebt er sie?...

Auf jeden fall ist es eine hohe Kunst, die richtigen Fragen zu stellen. Damit wurde schon mancher Politiker (oder Ehemann ) zu Fall gebracht.

Was zum Teufel könnte ein Fragezeichen sonst noch ausplaudern? Hi und da hinterlässt auch Schweigen so manches Fragezeichen.
Ein weiterer interessanter Aspekt deiner kleinen Geschichte ist, lieber Ekki, dass sich offenbar sogar die Satzzeichen ihren Rang gegenseitig streitig machen!:-)
Muss man sich da noch wundern?

L.G.
Ira

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 22.11.13:
Merci, Ira, wieder einmal sehr anregende Beispiele von dir, die mich zu einer Anekdote inspirieren könnten, zum Beispiel "Der überfragte Ehemann".
LG
Ekki
MarieM (55)
(22.11.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 22.11.13:
Liebe Marie,
das Fragezeichen fühlt sich geehrt und bedankt sich herzlich.
Liebe Grüße
Ekki
Laudalaudabimini (59) meinte dazu am 22.11.13:
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 Dieter Wal (30.11.13)
Leute, lasst die Satzzeichen reden. Fürchte, das können die anderen Autoren als Alltagsweiseheit nur leider nicht ansatzweise einmal halb so gut!
CoffeeTin (34)
(04.02.15)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 04.02.15:
Danke. Du wirkst so entspannt. Sie sind bestimmt losgegangen.^^
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