Heller werden

Innerer Monolog zum Thema Bewusstsein

von  blauefrau

http://www.pinakothek.de/gabriel-cornelius-von-max/der-anatom


Was ziehst Du an dem Tuch? Hast Du noch nie einen Busen gesehen? Lass das Tuch da! Ich friere. Ja, und kannst Du die Schädel im Hintergrund zudecken? Ich kann den Blick auf Totenschädel nicht ertragen. Ja gut, meine Haare liegen jetzt auch nicht mehr ganz so wie auf dem Ball. Besonders die eine Strähne stört mich. Die Augenbrauen hatte mir gestern Mittag noch Magdalena gezupft -falls Du es wissen willst, sie ist meine Kammerzofe- obwohl meine Mutter es ihr morgens noch verboten hatte. Es würde mein Gesicht zu kokett wirken lassen. Wen interessiert das? Erst hatte ich sogar noch meinen Spaß auf dem Ball: Alfred gefiel  mir mit seinen pomadigen Haaren ganz gut, und sein Schnurrbart dicht an meiner rechten Wange...  Aus seinem Mund sprach er mir von Liebe, und dann streifte mich seine Schnurrbartecke... Als ich kurz raus bin, um mich frisch zu machen, bin ich auf die Terrasse geraten. Alfred wollte auf mich warten. Dann sah ich in der Nähe des Oleander ein Irrlicht hin- und hergeistern, und als ich zu dem Baum trat, steht da plötzlich der verwarzte Offizier, und ich will noch rückwärts gehen, doch da hatte er schon seine Hände an meiner Kehle...
Ich bin eine unbekannte Landschaft, die Du vermessen willst, und vielleicht findest Du auch heraus, was ich von Alfred dachte oder woran ich, wenn Du das Tuch weiter herunterziehst, dachte, wenn ich Alfred sah oder was ich fühlte, als ich zu dem Irrlicht ging und als der Mann mir an die Kehle griff. Die Vermessung meines Leibes ist nicht die Vermessung meiner Welt ist nicht die Durchdringung meiner Gedanken! Du eiskalter Mann Du! Könntest Du etwas singen, nur ein paar Töne, dass mir heller wird? Bitte!


Anmerkung von blauefrau:

Assoziationen zum Bild:

Gabriel von Max. Der Anatom. 1869.

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