Fadenschein

Gedicht zum Thema Lebensweg

von  Irma

Mein Winterkleid hab ich gestrickt
mit viel zu dicker Nadel.
Der Faden schien perfekt zu sein,
er wirkte edel, haltbar, fein,
ganz ohne Fehl und Tadel.

Ich wickelte ihn recht geschickt
um meinen kleinen Finger.
Der Anschlag schien mir glatt geglückt,
vor Woll-Lust ward ich schier verrückt
zum Luftmaschenbezwinger.

Dann hab ich alles schick bestickt
mit weißen Liebesschnüren -
so wohlig-warm zu spüren.
Das Muster wirkte sehr verzwickt,
schon fielen Maschenringe!

Ganz aufgelöst und aufgeregt
sah ich: Der Strick hat sich gelegt
zu einer Schlaufenschlinge.

Ich habe kaum mehr durchgeblickt
und war - verflixt und zugenäht -
alsbald am faden Ende.
Es glitt mir durch die Hände.

Nun fühl ich mich auf links gedreht
und friere, wenn der Wind kalt weht,
er pfeift durch jedes Loch.

Doch ich nehm neue Maschen auf
und lass dem Stricksal seinen Lauf.
(Man sagt, ich wolle noch.)

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Kommentare zu diesem Text


 Jorge (02.12.13)
Im Fadenschein wird einem bewusst, dass das Leben viele Luftmaschen bereithält.
LG Jorge

 Irma meinte dazu am 06.12.13:
Tja, manches scheint eben leichter als gedacht. Die Durchsicht bekommt man erst später.

Mir ist übrigens auch erst jetzt bewusst geworden, dass Stricken anscheinend bei Männern dreimal beliebter ist als bei Frauen (wenn man aus dem m/w-Verhältnis der Kommentierenden Rückschlüsse zieht) ... )
LG und Dank, Irma

 AZU20 (02.12.13)
Vielleicht muss man sich mit einem einfacheren Muster begnügen. Die Übertragung auf das Leben gefällt mir gut. LG in die Woche

 Irma antwortete darauf am 06.12.13:
Tja, lieber Armin, das Leben ist nicht immer einfach. Aber dadurch auf jeden Fall spannend. Und wer selbst nicht so einfach gestrickt ist, wird schon Lösungswege finden. Ich danke dir herzlich, auch für das Aufmerksammachen auf den Fehler in Z.18. LG Irma
KoKa (45)
(02.12.13)
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 Irma schrieb daraufhin am 06.12.13:
"Fadenscheinheilig" gefällt mir, da hast du fadenscheinig und scheinheilig sehr passend miteinander verstrickt! Danke dir herzlich, John. LG Irma

 franky (02.12.13)
Hallo liebe Irma,

Verstrickt und zugenäht. „Das erinnert mich an Wilhelm Buschs Gedicht, wo der Vogel sich am Schluss sich am Geschlinge erhängt.

Herzlich geschmunzelt;-)

L-G Franky

 Irma äußerte darauf am 06.12.13:
Danke schön, Franky. Diese Assoziation freut mich! Den Bezug zum "Erhängen" hatte ich mir erhofft (siehe meine Erläuterungen bei Mona). Herzliche Grüße, Irma

 monalisa (02.12.13)
Liebe Irma,
ja dieses Winterkleid lese ich als Beziehungsstrick; die 'zu dicke Nadel' als überhöhte Erwartungen, der Faden 'ohne Fehl und Tadel' vielleicht doch durch die rosa Brille besehen und nicht ganz so untadelig. Geschickt wird er um den Finger gewickelt - o lalà! - der Anfang läuft recht glatt, na klar – auch mit Wolllust (auch Wohllust?) bis zum Verrücktwerden - die Luftmaschen passen nicht ganz zum Stricken, der Bezwinger umso besser, obwohl ich von einer Bezwingerin ausgehe (sexistisch!?)
Das Besticken mit den Liebesschwüren gibt ja dann einen recht eindeutigen Hinweis, um welche Art Kostüm es sich hier handelt, ein wenig schleicht sich hier bei mir schon der Verdacht ein, dass da ein bisschen zu viel des Guten getan wird - das Muster ist so verzwickt, dass schon da und dort Maschen verloren gehen, sich Fehler einschleichen.
'... Der Strick hat sich gelegt
zu einer zur Schlaufenschlinge.
Das ist mir nicht ganz klar. Hast du da irgendwie halbherzig geändert (was vergessen), oder steh ich auf dem Schlauch? Und was passiert da genau, wenn sich der Strick zu einer Schlaufenschlinge legt ;)?
Großartig finde ich das 'am faden Ende' und ich mag es auch, dass sich dein LI nicht unterkriegen lässt und auch die Wortspielkünstlerin nicht zu kurz kommt, indem sie 'dem Stricksal seinen Lauf' lässt, und ein zweideutiges wolle an vorletzter Stelle plaziert. Und ob ich noch wolle, ich wolle es gern immer wieder lesen. Sehr hübsche Idee, schön auch wie sich das Strickmuster in Form des Reimschemas leicht abwandelt und ein wenig Freiraum (Luft) lässt, um sich anzupassen.

Sehr gern die Maschen (auf)gelesen!
Liebe Grüße,
mona

 Irma ergänzte dazu am 06.12.13:
Liebe Mona, vielen Dank für dein eingehendes Maschenauflesen! Du hast mein Strickmuster überzeugend aufgelöst. Und sogar einen Fehler, den meine kurzsichtigen Augen nicht mehr sehen wollten, hast du aufgedeckt. Das „zur“ in V.18 war natürlich eine Masche zuviel, das habe ich behoben. Danke dir! Auch für das farblich passende „glatt“, das ich in Z.8 (anstelle des „gut“) doch schnell noch mit einstricken musste!

Der Faden kann noch so gut sein – wenn man mit zu dicken Nadeln strickt, wird das ganze löcherig. Es gibt sicherlich viele schicke Schals etc., die genau diesen Effekt ausnutzen. Aber für ein warmes Winterkleid taugt diese Strickart nicht. Da pfeift der Wind tatsächlich durch jedes Loch. Die „Luftmaschen“ finde ich deshalb sehr passend für diese luftige Strickart. Zudem spricht man beim Maschenanschlag, wo die Maschen mit doppelter Nadel aufgenommen werden, tatsächlich von „Luftmaschen“, auch wenn man diesen Begriff sonst eher vom Häkeln kennt.

Was passiert, wenn sich der Strick zu einer Schlaufenschlinge legt? Klar hat man es beim Stricken ohnehin nur mit Schlaufen und Schlingen zu tun. Aber wenn der Strick (das Gestrickte) eine Schlinge legt (wie beim Henkersknoten), dann wird er schnell zum Fallstrick. Man sich daran - so wie du es getan hast - aufhängen.

Ja, das Reimschema wollte ich dem Inhalt entsprechend langsam auflösen. Die dritte Strophe sieht noch ordentlich gestrickt aus, aber bei näherem Hinsehen sieht man in der dritten Maschenreihe, dass dort etwas zu früh aufgenommen wurde. Dadurch verschiebt sich das ganze Strophenmuster, es bildet sich die besagte Schlinge. Nachdem mehr und mehr fallen gelassen wurde und sich aufgelöst hat, steht LyrIch verwundert im Kalten. Was bleibt, ist ein totaler Neuanfang. Ganz lieben Dank und Gruß, Irma
(Antwort korrigiert am 06.12.2013)

 Füllertintentanz (03.12.13)
Hallo Irma, ein schönes Strickmuster hast du uns hier getextet. Wirklich gern gelesen. Fast jeder wird sicher einen Teil von sich selbst in deinen Strophen finden.
NG
Sandra

 Irma meinte dazu am 06.12.13:
Danke schön, liebe Sandra. Der Faden ist dehnbar, insofern müsste das Strickkleid für jeden passend sein. LG Irma
Scrag (28)
(04.12.13)
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 Irma meinte dazu am 06.12.13:
Vielen Dank, Markus! Da sage doch noch mal einer, dass sich Männer nicht für Handarbeitliches interessieren würden ... ) Liebe Grüße, Irma

 plotzn (05.12.13)
Was für ein fein gewebter Lesestoff, liebe Irma!
Du beherrscht es perfekt, zwei Themen, die auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun haben, sprachlich und wortspielerisch so zu durchflechten, dass der Leser mit Vergnügen nach Interpretationen sucht.

Liebe Grüße, Stefan

 Irma meinte dazu am 06.12.13:
Und noch ein weiterer Mann, der Vergnügen am handarbeitlichen (Ent-)Stricken gefunden hat. Ich freue mich! Herzliche Grüße, Irma
(Antwort korrigiert am 06.12.2013)
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