Eine Straßenlaterne erzählt

Text zum Thema Licht

von  EkkehartMittelberg

Eine Straßenlaterne erzählt

Ich weiß gar nicht, wie viele Liebende sich in meinem sanften Licht getroffen haben. Meine Romantik wird nie erlöschen. Freilich leuchte ich heute nur noch wenigen Fußgängern heim, und mein Licht dient mehr Katern und Katzen sowie Fledermäusen zum Liebesspiel als den Menschen.
Aber ein Dichter und Sängerinnen haben mich unsterblich gemacht und von ihnen möchte ich erzählen:

Hören Sie auch immer noch den wundervollen Text „Lili Marleen“ von Hans Leip, der mich im April 1915 erstmals betextete, bevor er an die russische Front abkommandiert wurde, jenes Lied, das die größten Chanson-Sängerinnen in ihrem Repertoire hatten, allen voran Lale Andersen, die mich zuerst besang und berühmt machte? Aber auch Greta Garbo, Marlene Dietrich, Ute Lemper, Connie Francis und Milva schenkten mir ihre bezaubernden Stimmen.

Hier ist der Text von Hans Leip, auszugsweise zitiert. Bei Eingabe von Hans Leip "Lili Marleen" findet man den kompletten Text mehrfach bei Google.

Eine Interpretation von Marlene Dietrich finden Sie bei Google unter  http://www.golyr.de/marlene-dietrich/songtext-lili-marlene-698731.html


Lili Marleen
Musik: Norbert Schultze
Text: Hans Leip
1939

"Vor der Kaserne,
Vor dem großen Tor,
Stand eine Laterne
Und steht sie noch davor.
So woll'n wir uns da wiederseh'n,
Bei der Laterne woll'n wir steh'n
Wie einst, Lili Marleen.

Unsere beiden Schatten
Sah'n wie einer aus,

[...]

Aus dem stillen Raume,
Aus der Erde Grund,
Hebt sich wie im Traume*
Dein verliebter Mund.
Wenn sich die späten Nebel dreh'n,
Werd' ich bei der Laterne steh'n
Wie einst, Lili Marleen."

* In der ursprünglichen Fassung von Leip heißt es “Hebt mich wie im Traume...  “ Die von mir gewählte „Hebt sich wie im Traume...“ findet sich in neueren Fassungen und scheint mir besser zu der Metapher zu passen.

Hach, ich schwärme von diesem Text. Vor allem zwei Metaphern haben es mir angetan:

„Unsere beiden Schatten
Sah'n wie einer aus,....“

Kann man es schöner ausdrücken, dass Liebende miteinander verschmelzen?

Und dann

„Aus dem stillen Raume,
Aus der Erde Grund,
Hebt sich wie im Traume
Dein verliebter Mund.“
Da merkt man doch, wie Liebe beflügelt.

Freilich bin ich nicht die Hauptperson in diesem Lied, aber es beginnt mit mir, und ich darf doch bescheiden anmerken, dass ich Lili Marleen und ihrem Geliebten Orientierung, Halt und Licht gegeben habe. Die Erfolgsstory des  Chanson war einmalig. Lesen Sie nur:
„[...] Der Sender Belgrad erhielt in der Hochphase täglich über 12.000 Soldatenzuschriften, meistens das Lied Lili Marleen betreffend. Bald breitete sich das Lied über alle anderen Wehrmachtssender aus. So wurde Lili Marleen, obwohl das NS-Regime das Lied wegen seines „morbiden und depressiven“ Textes vorübergehend verbot, zu einem „Schicksalslied“ des Zweiten Weltkriegs.
Auch unter den alliierten Soldaten wurde Lili Marleen gesungen. Bereits 1941 wurde es durch britische Truppen in Nordafrika so oft mitgesungen, dass die Generalität einschreiten musste. „Überall in der Wüste“, so hielt ein britischer Kriegsberichterstatter fest, „pfiffen englische Soldaten das Lied“. Als Marlene Dietrich ab 1943 das Lied vor amerikanischen Soldaten sang und es damit bei den Truppen der Alliierten richtig populär machte, störte es niemanden, dass derselbe Komponist die Musik für Propagandamärsche wie Bomben auf Engeland oder das U-Boot-Lied geschrieben hatte.
Im August 1944 kam in Großbritannien ein Film mit dem Titel "The True Story of Lilli Marlene" in die Kinos – das Lied ging in mindestens 50 Übersetzungen um die Welt. Des Weiteren gibt es mindestens eine Persiflage von Lucie Mannheim. Vier Jahre nach dem Krieg erbat sich Winston Churchill das Lied von einer Tanzkapelle an der Riviera. Und General Eisenhower sagte, Leip sei der einzige Deutsche gewesen, der während des Krieges der ganzen Welt Freude gemacht habe. In den Jahren nach seiner Veröffentlichung wurde alleine die deutsche Fassung von Lili Marleen zwei Millionen Mal verkauft und avancierte damit zum ersten Millionenseller der deutschen Schallplattengeschichte.  Der Stern bestätigte, dass Lili Marleen die erste rein deutsche Platte gewesen sei, die über die Millionengrenze kam [...]“ (Wikipedia: Lili Marleen)

Ich sagte schon, dass es heute still um mich geworden ist. Früher, als sich die Liebenden noch nicht ins Auto zurückzogen und als beschwipste Kneipengänger in meinem Schein ihren Schlüssel suchten, weil ich wenigstens Licht bot, war mein Leben interessanter. Aber ich hatte nicht so viel Zeit nachzudenken. Heute ist das anders. Jetzt im November/Dezember, wenn sich die Nebel um mich drehen, kommen mir die besten Ideen. Wissen Sie, der Nebel ist doch ein Symbol für das Geheimnisvolle, und wenn er sich um mich windet, denke ich:
Das Licht und das Geheimnis suchen einander, denn Gegensätze ziehen sich an.

© Ekkehart Mittelberg, Dezember 2013

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Kommentare zu diesem Text

Zweifler (62)
(05.12.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.12.13:
Merci, Zweifler. Auch mich rührt das Lied immer wieder an. Es ist interessant, sich die unterschiedlichen Vertonungen anzuhören. Meine Favoritin ist Marlene Dietrich. Doch "de gustibus non est disputandum" (Es ist müßig, sich über Geschmack zu streiten.)

 TrekanBelluvitsh (05.12.13)
" Und General Eisenhower sagte, Leip sei der einzige Deutsche gewesen, der während des Krieges der ganzen Welt Freude gemacht habe.
Ich denke, da wird die Laterne dem General nicht widersprechen.

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 05.12.13:
Ja, danke, Trekan. Es ist schwierig, einem General zu widersprechen. In diesem Falle ganz besonders.
holzköpfchen (31)
(05.12.13)
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 loslosch schrieb daraufhin am 05.12.13:
aufgepasst: 2013 - 1915 = 98.

 hier

grandiose dissonanz zwischen bild und ton. (mein lieblingssong.) hoffentlich wird das jetzt nicht gesperrt.
(Antwort korrigiert am 05.12.2013)

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 05.12.13:
Vielen Dank Sockenpuppe und Lothar
für die Hinweise. Durch die partielle Zitierung gehe ich allen Problemen aus dem Wege. Der komplette Text ist ja bei Google leicht zu frinden.
holzköpfchen (31) ergänzte dazu am 05.12.13:
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 loslosch meinte dazu am 05.12.13:
es steht vollständig im netz, in sämtlichen versionen vertont.
holzköpfchen (31) meinte dazu am 05.12.13:
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 SapphoSonne (05.12.13)
Mir gefällt die Version von Nina Hagen zusammen mit Apocalyptica am besten. Kann leider den link von youtube nicht posten, da ich mit meinem altersschwachen Handy on bin ... LG Sappho

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.12.13:
Grazie für den Hinweis, Sappho. Die Version von Nina Hagen findet sich unter
www.youtube.com/watch?v=koZ36XMnfF4‎
und eine gemeinsame Version von Nina Hagen und Nana Mouskouri unter
www.youtube.com/watch?v=9tZJnFGs3tE.
LG
Ekki

 AZU20 (05.12.13)
Sehr schön geschrieben, weckt viele Erinnerungen. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.12.13:
Vielen Dank, Armin.
LG
Ekki
Fabi (50)
(05.12.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.12.13:
Liebe Fabi,
Vielen Dank. Bei den zwei Personen mit den Vornamen Lili und Marleen handelt es sich laut Wiki um eine unbestätigte Version.
Für mich ist der Lesegenuss höher, wenn es sich um eine Person Lili Marleen handelt. Ich pfeife also auf den unbestätigten Hintergrundbericht.
Liebe Grüße
Ekki
Fabi (50) meinte dazu am 05.12.13:
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 loslosch (05.12.13)
die laterne weiß sehr viel.

das hättest du vllt. anders zuschneiden sollen. dass menschen (besoffene spätheimkehrer) nur im lichtpegel den hausschlüssel suchen, reizt zu einer tiefenpsychologischen betrachtung aus sicht der laterne. als folge zwei?

ich finde übrigens den link unter sockenpuppe zu lale andersen, vor der kaserne ..., das beste überhaupt. heute wieder dreimal abgespielt!

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.12.13:
Lothar, dein Link zu Lale Andersen ist interessant wegen der begleitenden Kriegsbilder. Ich schätze jedoch die Stimme von Marlene Dietrich mehr, ihr Timbre ist differenzierter.

 franky (05.12.13)
Hi lieber Ekki,

Ich kann mich noch gut erinnern, als das Lied in den Jahren 42 43 44 45 aus dem Volksempfänger meines Vaters klang. Mich stimmte es schon als Kind immer traurig und
habe, ohne einen Grund nennen zu können, ein Paar Tränchen deswegen vergossen.
„Ein kleines Liedchen kann Völker verbinden und tausend Kanonen erschießen die große Freiheit.“

Herzliche Grüße

von Franky

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.12.13:
Merci, Franky, ja, die Grundgefühle diesseits und jenseits der Schützengräben sind gleich oder sehr ähnlich. Aber für die Schmiede der tausend Kanonen zählt nur der Profit.
Herzliche Grüße
Ekki
wa Bash (47)
(05.12.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.12.13:
Solange sie nicht langweilt, ist es mir recht, wa Bash.
Gracias
Ekki

 irakulani (05.12.13)
Das Zusammenspiel von Licht und Dunkel ist eine schöne Symbolik, die sich im Bild der Straßenlaterne vereint, lieber Ekki.

Natürlich haben wir alle den Klang des melancholischen Liedes im Ohr, ich habe sogar kürzlich den Film wieder gesehen...

Seither verbinden sich Straßenlaternen mit der Vorstellung von Liebesgeschichten. Vielleicht war das vorher auch schon so.

Aber man darf nicht vergessen, dass so manche Strassenlaterne wahrscheinlich auch Zeuge ganz anderer und wesentlich unerfreulicherer Szenen wurde und wird. Verbrechen, die des Nachts geschehen, Verhaftungen, Obdachlose, die am Fuß er Laterne sitzen und eingeschlafen sind, etc.

Viel zu erzählen gibt es da allemal!

L.G.
Ira

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 06.12.13:
Grazie, Ira, uns verbindet, dass wir mit der Laterne mehrere Assoziationen verknüpfen, und deshalb ist sie auch ein literarisches Motiv, dass noch lange nicht ausgereizt ist.
LG
Ekki
Scrag (28)
(06.12.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 06.12.13:
Vielen Dank, Markus.
LG
Ekki
MarieM (55)
(06.12.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 06.12.13:
Wie schön, liebe Marie, in dir eine Leserin zu haben, die die Faszination von "Lili Marleen" mit allen Fasern spürt und auch die richtigen Worte dafür findet.
Mit herzlichem Dank und lieben Grüßen
Ekki
MarieM (55) meinte dazu am 06.12.13:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 06.12.13:
Es würde mich sehr freuen, wenn der Text bei einer kleinen Weinachtslesung zu Worte käme. Danke, Marie.
MarieM (55) meinte dazu am 06.12.13:
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Pocahontas (54)
(07.12.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 07.12.13:
Grazie, Sigi, "Sag mir wo die Blumen sind" ist sicher vergleichbar schön. Es geht mir schon seit einiger Zeit im Kopf herum. Gedankenübertragung?!
Liebe Grüße
Ekki
Graeculus (69)
(24.06.16)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 25.06.16:
Danke, Wolfgang. Das kann ich gut nachvollziehen. Ob er das Lied wohl in der Vertonung von Mahalia Jackson gekannt hat.
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