J.C. feiert rein

Text

von  MrDurden

Es ist dieser eine Abend im Jahr. Schwer zu sagen, wie lange wir schon in diesem Wagen sitzen. Ein dünner Schweißfilm hat sich auf Balthassars Stirn gebildet, was ihn jedoch nicht davon abhält, wie in Trance auf seinem iPhone 5c herumzutippen. Er weiß, dass es eine selten dämliche Idee war, den Weg über Google Starmaps zu suchen, und wir wissen, dass Balthassar der Technikgeek unserer Truppe ist. Wir alle wissen, wie diese Sache Jahr für Jahr abläuft, darum schweigen wir.

Wie jedes Jahr haben wir uns auch an diesem 23. Dezember verfahren. Caspar sitzt genervt am Steuer und knirscht unwillkürlich mit den Zähnen. Er und Balthassar konnten sich nie wirklich leiden. Vermutlich wegen Balthassars Vorurteilen gegen Schwarze, wobei Caspar eigentlich gar nicht schwarz ist. Ich erinnere mich an einen Nachmittag in der Agentur,  als er von Balthassar vor versammelter Belegschaft gefragt wurde, wie man sich ein Leben mit solch einer Pigmentstörung vorzustellen habe. Als dann noch Michael Jacksons Name fiel, waren die Fronten endgültig abgesteckt. Ich habe die Diskussionen um Caspars Hautfarbe nie wirklich verstanden, denn er war immer weiß.

Die randvolle Tragetasche mit jüdischem Essen auf meinem Schoß kühlt allmählich ab. J.C. liebt jüdisches Geburtstagsessen und wenn ich mir vorstelle, wie wir uns jedes Jahr drei Tage lang den Bauch damit vollschlagen, wird mir übel. Doch vielleicht ist der Brechreiz auch nur dem penetranten Myrrhegeruch geschuldet, der sich langsam in unseren Klamotten festsetzt. Die Situation ist mir peinlich, denn es war meine Idee, J.C. dieses stinkende Zeug mitzubringen. Gerade als ich aufstoßen muss und Caspar bitten will, kurz rechts ranzufahren, erreichen wir endlich unser Ziel.

J.C. wohnt in einer kleinen Einzimmerwohnung am Stadtrand, direkt gegenüber eines alten Viehstalls mit Futterkrippe. Bedenkt man, dass er der Junior Geschäftsführer unserer Agentur ist, kann man den Anblick seiner ärmlichen Wohnverhältnisse nur sprachlos hinnehmen. Japsend steige ich aus dem Wagen und lasse das unbezahlbare Geburtstagsgeschenk fallen, das Balthassar noch in letzter Minute für unseren Vorgesetzten besorgt hat. Es ist ein MacBook Pro. Es war ein MacBook Pro. J.C. macht sich ohnehin nichts aus Appleprodukten.

Nach kurzem Warten öffnet J.C. uns die Haustür, schnuppert mit einem wohligen Grinsen an unseren Klamotten und bittet uns herein. Wie alt er wohl wird? Seinem Bart und dem langen Haar nach zu urteilen wurde er vor etwa 2000 Jahren in dem Viehstall gegenüber geboren, doch irgendwie mögen wir ihn. Er macht sich nichts aus Äußerlichkeiten und weltlichem Besitz. J.C. ist einfach der Sohn seines Vaters. Der Sohn seines verbitterten Vaters, der ihn bei jeder Gelegenheit als Rechtfertigung für die eigene Tyrannei missbraucht und für die Fehler anderer Mitarbeiter öffentlich kreuzigen lässt. Jeder in der Agentur fürchtet diesen grausamen alten Mann und es ist nur verständlich, dass J.C. niemals gegen ihn aufbegehrt. J.C. war niemals eine Führungspersönlichkeit. Er ist nur das Werkzeug seines Vaters und das Opferlamm, das uns vor der Willkür des obersten Geschäftsführers schützt. Manchmal denke ich, wir sollten J.C. bewundern, doch eigentlich bemitleiden wir ihn nur.

Wir wärmen das kalte Essen in seiner Mikrowelle auf. Wir stinken nach Myrrhe, doch er nimmt es uns nicht übel. Er schenkt Balthassar ein aufgesetzt dankbares Lächeln für das MacBook Pro mit dem zerbrochenen Display, bietet jedem von uns einen Platz an seinem Tisch an und dankt uns für unsere Gesellschaft. Während wir essen, erzählt er uns von der Güte seines Vaters, wie er es immer tut. Er sieht in den Schlechtesten nur das Gute, denn er kann nicht anders. Er hält jedem Schläger auch die andere Wange hin, denn er will es so. Es gibt keinen Platz in dieser Welt für einen Mann wie ihn. Doch hier, zwischen einem alten Viehstall und dem Arsch der Welt, ist dieser wunderliche Späthippie ohne Ellenbogen einer von uns. Und sein Vater kann uns heute mal gernhaben.


Anmerkung von MrDurden:

Frohes was auch immer.

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