Der letzte Tag, an dem das Klima Bocksprünge machte

Kurzgeschichte zum Thema Zukunft

von  Nachtpoet

Tagebucheintrag des Herrn K. vom 17.04.2032

Schweißgebadet bin ich an diesem Samstagmorgen aufgewacht. Aber nicht von einem schlechten Traum - jedenfalls erinnere ich mich nicht mehr – sondern weil es draußen wieder so laut war. Noch bevor ich mir die Augen rieb, drückte ich das Fenster, das auf Kipp stand zu und drehte den Griff herum. Ich setzte mich wieder auf's Bett, rieb mir den Schlaf aus den Augen und merkte, dass irgendwas nicht stimmte. Etwas war anders an diesem Morgen. Aber was?

Warum hatte ich nochmal das Fenster geschlossen? Wegen dem Lärm klar, aber waren das nicht Vogelstimmen? So laut? Ich zog das Fenster wieder auf und da kam mir sofort ein gewaltiger Schwall aus Pflanzenduft entgegen. Auch die Vögel, die hektisch und in enormer Zahl durcheinander zwitscherten, verwirrten mich auf's Äußerste. Aber mein Atem stockte erst als mein Blick auf das Außentermometer viel! Der Zeiger stand auf 12 Grad plus! Das konnte nicht sein! Ich lehnte mich hinaus und die Luft war tatsächlich warm, als hätte jemand draußen die Heizung aufgedreht!

Erst jetzt fiel mir auch auf, dass sogar kleine, feine Pflänzchen sich den Weg aus dem Mutterboden bahnten, da wo bis gestern noch eine – wenn auch zurückgehende – Eisschicht den Boden bedeckte. Nur vereinzelt sah man noch kleine Eisinseln, die sich wohl bald der Sonne ergeben müssten.

Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich mir das erstbeste T-Shirt anzog und nach draußen hastete um zu sehen ob das alles Wirklichkeit war. Ich rannte wie ein Sprinter in den Stadtpark um die Ecke und kam schnell wieder zum Stehen, als ich sah, was dort los war ...

Dort standen und tanzten die verschiedensten Leute und reckten ihre Arme in die Höhe. Einige riefen: "Hurraaa!!" Andere weinten vor Freude, Paare küssten sich so leidenschaftlich, als wollten sie sich gegeseitig auffressen! Kinder kugelten sich gackernd auf dem Boden herum, auf dem immer wieder sprießendes Grün in ganz junger Form zu erkennen war. Auch die Bäume waren grünbefleckt von Knospen, die endlich wieder zu sprießen schienen. Ich riss ein paar von ihnen ab und roch gierig an den winzigen Knollen wie ein Rauschgiftsüchtiger an seiner Droge. Es war das herrlichste Gefühl, dass mich seit Jahren durchtränkte!

Erst jetzt platzte es auch aus mir heraus und ich schrie in einer Tour und lief über die Parkflächen und schrie und lief und schrie und ... hatte plötzlich dieses fremde, rothaarige junge Mädchen im Arm, dessen glasgrüne Smaragdaugen mich nicht mehr losließen und dessen Mund sich kaum zügeln konnte vor überschäumender Verzückung. Sie schloss die Augen, warf den Kopf leicht zurück und umarmte mich so innig, dass sie fast auf mich drauf fiel und ich sie festhalten musste.

Sie löste sich von mir, nicht ohne noch eine Hand von mir zu greifen und tanzte mit mir über die Wiesen, wobei ihre langen, feinroten Haare wild durch die aromatische Luft kreisten und die Sonne sie mit den schönsten Frühlingsfarben veredelte.

Paare lagen jetzt aufeinander und man hätte ihnen Schamlosigkeit unterstellt, wäre es  nicht so ein außergewöhnlicher Tag gewesen. Senioren saßen auf der Bank und grüßten mit ihren Stöcken die jauchzende Jugend, die jetzt schon Decken und Essen für Picknicks heranschafften, Gitarre spielten, sangen, Sekt tranken und den albernsten Klamauk veranstalteten. Die Autos auf den Straßen hupten, als wäre jedes eine Hochzeitslimousine auf dem Weg zur großen Feier.

Es lag einfach eine Explosion von Leben in der Luft, Leben, wie wir es so lange nicht mehr gekannt hatten. Die Hoffnug, tja die war immer da, aber dass der Weg so unglaublich weit werden würde, und dass die Menschen das ertragen könnten, das hätte kaum einer für möglich gehalten. Ein Mensch kann viel durchmachen, mehr als er sich vorher vorstellen kann, das ging mir rückblickend durch den Kopf, als ich erschöpft, meiner roten Freundin schon wieder verlustig, in der Sonne lag und einfach nur die Wärme genoss, die ich sonst nur noch vom Heizkörper her kannte ...




Pressemeldung des SPIEGEL ONLINE vom 18.04.2032

Aufgrund der höchst außergewöhnlich hohen Außentemperaturen von bis zu 15 Grad Celsius der westlichen Hemisphäre, wie sie zuletzt nur vor fast 11 Jahren zu messen gewesen waren, bringt RTL am heutigen Abend eine Sondersendung zum Thema: Das Ende vom Bocksprungklima? Ist die Eiszeit der Moderne - dessen endgültige Gründe von der Wissenschaft immer noch nicht restlos geklärt sind -  jetzt endlich vorbei? In ganz Europa feierten die Menschen wieder den ersten Frühling seit 2021, versöhnten sich und unternahmen Autokorsos, die ganze Großstädte lahmlegten.

Wie wir alle wissen, begann plötzlich das Klima vor genau 3997 Tagen in der westlichen Welt – auch im Sommer - nicht mehr über die Null-Grad-Grenze hinauszukommen. Die Landmasse vereiste, der Schnee schmolz nicht mehr und die Eisdecke wuchs an und machte Ackerbau schier unmöglich, während Strom und Gaskonzerne die mächtigsten Unternehmen der Welt wurden, wenn sie es bis dahin noch nicht gewesen waren. Die nachfolgende Finanz-und Energiekrise brachte Arbeitslosigkeit und Straßenproteste mit vielen Verletzten und Toten mit sich. Erst die technische und finanzielle Umstellung in vielen neuen Projekten brachte eine leichte Entspannung für die Menschen in Europa, die jedes Jahr hofften, dieser eisige Alptraum sei bald vorbei.

So eben wurde von der Wall Street in New York zudem ein erheblicher Kursabfall gemeldet. Wie dieser zu bewerten ist, bleibt zur Zeit noch spekulativ. Man kann nur hoffen, dass die Menschen in Europa, die jetzt in Sachen Wirtschaft, Agrar und Ökologie abermals umdenken müssen, nicht die Nerven verlieren und die Politiker die richtigen Weichen für die Zukunft stellen, die jetzt wieder eine neue sein wird.

Gestern jedenfalls – und das bleibt zu hoffen – war der letzte Tag, an dem das Klima Bocksprünge machte.


Anmerkung von Nachtpoet:

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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (24.12.13)
Habe mir die Sendung angeschaut uind fürchte, Bocksprünge sind immer mal möglich, oder? Frohe Weihnachten

 Nachtpoet meinte dazu am 24.12.13:
Ja AZU, aber bitte nicht gerade in unserer Zeit. Frohe Weihnachten dir auch!
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