Teil 14

Roman

von  AnastasiaCeléste

Zu selben Zeit lag Cat auf ihrem neuen Bett, zusammen mit einem Buch, dass sie sich von Asher geliehen hatte. Sie wusste gar nicht mehr, wann sie das letzte Mal ernsthaft gelesen hatte. Es musste Jahre her sein.
Sie hatte sich mühsam durch die ersten zehn Seiten gekämpft, doch sie fand keine Ruhe. Nicht, dass der Roman schlecht begonnen hätte, aber ihre Gedanken waren woanders. Zwei Türen weiter, auf der gegenüberliegenden Seite des Flures, um genau zu sein.
Ave verhielt sich ihr gegenüber immer noch vollkommen abweisend. Diese Tatsache weckte nicht gerade ihr Vertrauen zu diesem undurchschaubaren Kerl. Und vor allem, fühlte sie sich unwohl. Cat schob das Vorhaben, mit ihm zu reden schon seit Tagen vor sich her.
Noch einmal setzte sie bei dem nächsten Kapitel an. Nach nur einer Seite gab sie auf, klappte das Buch zu und sprang auf. Was konnte schon passieren? Schließlich lebte sie nun schon seit Tagen mit dieser starken Verbindung zu Corvin unter einem Dach. Wenn er gewollt hätte, hätte er sie schon längst ausliefern oder umbringen können – eine Sache in der er ja anscheinend gut war.
Sie zupfte sich das Top zurecht, warf einen kurzen Blick in den Spiegel und sprach ihrem Spiegelbild Mut zu.
Barfuß tappte sie in den Flur. Aves Tür war geschlossen. Auf Zehenspitzen schlich sie über den kalten Boden. Bevor sie klopfte, atmete sie noch einmal tief ein, um sich zu beruhigen.
Sie klopfte vorsichtig – keine Reaktion. Aber sie wusste, dass er da war. Er hatte den ganzen Abend sein Zimmer nicht verlassen.
Sie hatte jetzt einmal allen Mut zusammengerafft, nun wollte sie sich nicht wieder abweisen lassen. Vorsichtig drückte sie die Klinke herunter und trat ein. Ave schlief. Geschlagen wollte sie gerade wieder umkehren, als hinter ihr die Tür zuwehte. Auf den dumpfen Knall folgte ein leiseres und helleres Geräusch. Erschrocken prallte sie mit dem Rücken an die Zimmertür. Ihr Reflex wollte sie schnellstmöglich in Sicherheit bringen, denn der Lauf einer silbernen Beretta war zielgenau auf sie gerichtet, bevor Ave realisierte und die Waffe senkte. „Du bist es“, er klang selbst erschrocken. „Entschuldige, es tut mir leid.“ Warf er hinterher, diesmal aber wieder deutlich emotionsloser.
Cat schlug das Herz bis zum Hals. Sie drückte sich immer noch wie versteinert an die Tür und starrte ihn an. Es dauerte eine Weile bis sie Worte fand. „Bist du immer so schreckhaft?“, fragte sie vorwurfsvoll. Ave hatte die Beretta wieder auf ihren angestammten Platz auf seinem Nachtisch gelegt. „Ich wollte dich nicht erschrecken! Ich habe im ersten Moment nur realisiert, dass du nicht Asher bist! Das war der Auslöser!“, sagte er ruhig. „Dein Bruder lebt gefährlich!“, meinte Cat und machte ein paar unsichere Schritte in die Raummitte.
Cat musterte Ave eine Weile und er tat es ihr gleich, bis sie sich ein Herz fasste und näher kam. „Darf ich?“, fragte sie zögernd und deutete mit den Augen auf die Bettkante.
Ave, der mittlerweile mit dem Rücken an das kalte Kopfteil seines Bettes gelehnt saß,  wendete nichts dagegen ein, also setzte sie sich neben ihn und schaute ihn forschend an.
Sein bloßer Oberkörper schimmerte in dem warmen Licht der Nachttischlampe. Er war gut trainiert und schien Kraft zu haben. Doch was ihr vielmehr ins Auge stach, war die ansehnliche Sammlung von Narben, die er trug. Jede dieser Narben, barg eine Geschichte. Doch sie schienen ausnahmslos Spuren seines gefährlichen Jobs zu sein. Sie zählte mehrere verheilte Schussverletzungen, Schnitte und Stiche und trotzdem entstellten ihn diese Wundmale in keinster Weise. Vielmehr unterstrichen sie sein Wesen, seine gefährliche und undurchschaubare Ausstrahlung. Zusammen mit dem Tribalförmigen Tattoo, das sich scheinbar vom Schulterblatt aus über die Schulter bis zum Hals und über die Rippen seiner rechten Seite ausbreitete, wirkte er geheimnisvoll und vielleicht gerade deswegen irgendwie sehr anziehend.
„Du weichst mir aus, seitdem ich hier bin“, begann sie vorsichtig. „Ich kann mir vorstellen woran das liegt“. Sie sah ihm in die Augen, versuchte zu erkennen, was in ihm vor sich ging, aber er gab keine Regung preis. „Ich möchte dir einfach dafür danken, dass ich hier bei euch leben darf. Dass ihr mir Zuflucht bietet. Und ich weiß, dass du und Asher euch wegen mir streitet, dass du eigentlich dagegen bist.“ Sie wartet ab, doch er sagte auch weiterhin nichts. „Asher ist ein sehr großherziger Kerl, der mich umsorgt wo er nur kann, ich habe begonnen ihm zu vertrauen…“, erklärte sie, bevor sie den Blick senkte.“ Dich jedoch kann ich nicht einschätzen. Ich weiß was du tust, in welcher Verbindung du zu Corvin stehst, und das macht mir Angst!“ Sie wagte einen erneuten Blickkontakt und sah einen ebenfalls eindringlich forschenden Mann. Ave erlöste sie von dem knisternden Schweigen „Wenn ich dir etwas hätte tun wollen, hätte ich es längst getan“, erklärte er so trocken mit seiner dunklen Stimme, dass es Cat einen Schauer über den Rücken jagte. „Du bist mir aber ein großes Rätsel, Cat.“ Sie schaute fragend. „Ich habe das auch schon Asher gefragt. Warum bist du hier? Du müsstest tot sein. Du hättest niemals lebend aus dem Innocent rauskommen dürfen, oder hättest vor seinen Mauern den tot gefunden, wie so viele, viele andere Mädchen vor dir. Also, warum bist du hier?“ Cat schluckte nervös, wusste nicht was sie ihm antworten sollte, da sie es doch selbst nicht verstand. Es gab womöglich nur einen Grund, den sie ihm nicht nennen konnte. Einen Grund, den sie nicht aussprechen durfte, um diesen sanften Killer vor ihr nicht umzustimmen – um zu überleben.
Sie schüttelte leicht den Kopf. „Ich weiß es nicht“, hauchte sie, den Tränen nahe. „Ich weiß nur, dass ich die Hölle ertragen musste und ich wem auch immer danke, der dafür verantwortlich ist, dass ich jetzt hier sitzen darf, wenn auch dieser Hölle in Form von dir doch sehr nahe“. Ave ließ seinen Blick über ihren Körper wandern. Hier und da waren noch leichte Verfärbungen unter der Haut zu erkennen. Die heilenden Schnittwunden wirkten zu grob an diesem zarten Körper. Er hörte ihren Schmerz in jedem Wort. „Ich habe die Angewohnheit aus gutem Grund, so gut wie niemandem zu vertrauen. Ich habe dich damals gesehen, mehr tot als lebendig. Ich sehe dir an, dass du noch immer leidest, und weiß, dass du ehrlich bist. Und trotzdem, bist du für mich und meine Position eine potenzielle Gefahrenquelle. Und Gefahrenquellen meide ich oder lösche sie umgehend aus, zu meinem und dem Schutz von Asher.“ Er sprach ruhig und leise, um sie nicht mit seiner Ehrlichkeit zu erschrecken. „Asher hat es scheinbar zu seiner persönlichen Aufgabe gemacht, dich zu schützen. Und solange ich davon ausgehe, dass du vertrauenswürdig bist, werde auch ich das tun.“ Cat wusste nicht was sie fühlen oder denken sollte. Sie fühlte Dankbarkeit, auch Erleichterung, und doch wusste sie nicht so recht mit ihm umzugehen. Verlegen fuhr sie sich mit der Hand an den Nacken, und befühlte vorsichtig die wunde Stelle dort, die ihr noch immer Schmerzen bereitete. Ein winziges Zucken durchfuhr sie, als ein unangenehmer Schmerz durch ihren Nacken zog, woraufhin sie die Hand wieder wegnahm und ihr Haar über die Schulter floss, um die Sicht auf die entzündete Verletzung freizugeben.
Blitzschnell packte Ave ihren Arm und zog sie ein Stück näher. Panische Angst überkam sie. Zu oft wurde sie so grob angefasst. Er strich ihr Haar beiseite und begutachtete die offene und gerötete Stelle. „Was ist das?“, wollte er wissen. Cat zitterte, war wie erstarrt in seinem Griff. „Woher hast du das? Ich habe so etwas schon mal gesehen, an einem Toten.“ „Lass mich los, bitte“, hauchte sie erstickt. Ave tat es. Cat vergrößerte den Abstand zwischen sich und ihm um einen halben Meter. „Das habe ich mir selbst zugefügt“. Sie schluckte schwer. Die Schmerzen, die sie sich dabei selbst angetan hat, brannten in ihren Gedanken. „Das war ein Mikrochip.“ Sie suchte seinen Blick um zu erfahren, was er wusste. Musste er doch etwas wissen, wenn er so eine enge Beziehung zu Corvin hatte.
Ave erwiderte ihren Blick mit hungriger Wissbegierde „Ein Chip?“ „Unter der Haut, zur Kontrolle“, erzählte sie zögernd. „Was heißt zur Kontrolle?“ Ave war ungeduldig. Cat schloss die Augen. Es fiel ihr nicht leicht, die  Dinge aufzuzählen, die Corvin damit tun konnte. „Er hat damit die totale Macht über dich. Er hat mir darüber nicht viel erzählt, nur das er diese Chips lange mit klugen Köpfen weiterentwickelt hat.“ Sie hätte sich gewünscht hier einfach abbrechen zu können, zurück in ihr Zimmer zu gehen und dieses Gespräch zu löschen.
„Er bestimmt über deinen Körper , über dein Nervensystem über Schmerz und….ich weiß nich wie viel Wahrheit darin steckt, aber er hat auch damit gedroht, dass einem dieses Ding im Nacken töten könnte, wenn es erst einmal mit dem Nervensystem verbunden wäre.“ Ave war nicht mehr so ruhig wie noch vor wenigen Minuten. Er sah sie an, mit einem unheilvollen Blick, der sagen wollte, dass diese Geschichte ein ernsthaftes Problem darstellte. „Cat, was du mir hier erzählst ist äußerst alarmierend. Ich habe noch nie etwas über diese Chips gehört und normalerweise weiht mich der Boss in seine Pläne ein. Ich glaube wir haben alle ein ziemlich großes Problem!“ Mit diesen Worten sprang er aus dem Bett und lief aus dem Raum. Cat sah ihm irritiert hinterher. Kaum konnte sie einen Gedanken fassen, als er mit Asher im Schlepptau zurückkam. Ave erzählte seinem Bruder, was er gerade selbst erfahren hatte und weihte ihn und Cat in seine bösen Ahnungen ein. „Corvins einziges Streben ist das Streben nach Macht, nach Kontrolle und somit seiner eigenen Sicherheit. Denn er weiß natürlich, dass genügend Gegner in den Straßen herumschleichen, die alles tun würden, um ihn zu beseitigen. Mal angenommen, er verpasst allen Menschen in einer gewissen Reichweite so einen Chip. Und er besitzt die Möglichkeit wie mit einem GPS –Sender zusehen, wer sich gerade wo befindet - Spinnt das doch mal weiter. Er kann dich auf Knopfdruck außer Gefecht setzen. Und wenn es stimmt, dass diese Dinger auch töten können. Darüber darf man gar nicht lange nachdenken. Das ist ein Horrorszenario. Wenn du versuchst dir dieses Ding, so wie Cat, selbst herauszuholen, wirst du vorher gekillt.“ Ave fuhr sich durchs Haar. Er war aufgeregt und ernsthaft besorgt. Am meisten machte ihm zu schaffen, dass er nichts darüber wusste. Und somit konnte er das ganze Ausmaß diese Sache nicht einschätzen. Eine Situation, die ihn rasend machte.
Asher war kreidebleich geworden. Nur langsam spann sich das Netz dieser möglichen Situation in seinen Verstand.
Ave wandte sich an die junge Frau, die noch immer auf der Bettkante saß und abwechselnd von einem Bruder zum anderen sah. „Cat, ich weiß das ist nicht leicht für dich, aber du musst uns alles über diese Chips erzählen, egal was es ist. Wir brauchen alle möglichen Informationen, die wir bekommen können. Nur so können wir uns auf das Schlimmste vorbereiten.“ Cat nickte. Nie hätte sie geahnt, was sie mit diesem Gespräch auslösen würde. Sie wusste nur, dass ihr Moment des Glücks wohl schneller vorbei sein würde, als sie gehofft hatte.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (30.12.13)
Aaaahhh... wir kommen zum 'Casus Knacktus'!

Es ist schön zu sehen, dass du die ganze Zeit eine Idee verfolgt hast, darum die Geschichte aufbaust, sie aber erst jetzt, im 14ten Teil dem Leser mitteilst.

Wer Teil 1 - 13 noch nicht kennt: Los jetzt lesen!

Und wie ich mir gedacht habe, wird jetzt aus der grauen, zwar allgegenwärtigen, aber doch eher unfassbaren Bedrohung nun einen ganz konkrete Gefahr. Prima!
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