Ewige Feinde

Erzählung zum Thema Magie

von  Mehrmeerland

Der Drachen saß auf dem Felsen und ein Licht, dass sonst nur die Weisesten erleuchtete, umgab ihn. Es reichte genau bis zu der Stelle, an der Roebruk stand. Der Rest der Welt versank in ewiger Dunkelheit.

Ritter gegen Drachen! Wer hätte da nicht einen Kampf auf Leben und Tod erwartet. Doch keiner der beiden erhob die Hand gegen den anderen. Sie standen nur da und betrachteten sich eingehend, bis es schließlich der Drachen wagte und das Wort ergriff. Seine Stimme war tief und gleichmäßig und beruhigte, anstatt dass sie Angst und Schrecken verbreitete, wie es Drachenart war.
  „Du kämpfst nicht gegen mich, greifst nicht an?“, fragte er.
  „Ich... ich weiß nicht“, antwortete Roebruk zögerlich. „Es scheint mir nicht das Richtige zu sein.“
  Der Drachen lachte warm. „Vielleicht ist es nicht das Richtige, weil ich der letzte Drachen bin und wenn du mich erschlägst, Ritter, bist du beschäftigungslos.“
  „Ja, du hast recht“, führte Roebruk den Gedanken weiter, „und wenn du mich mit einem Happs verschlingst, ist es auch um deinen Ruhm geschehen, weil ich der Letzte meiner Art bin.“
  „So ist es.“
  „Aber warum ist es so?“
  Der Drachen seufzte und ließ die Flügel hängen.
  „Die Menschen glauben nicht mehr an uns. Oder besser: Sie getrauen sich nicht mehr an uns zu glauben, weil zu viele sie sonst verlachen würden.“

Roebruk nickte traurig. Doch dann fiel ihm das Buch ein. Angstvoll, weil er fürchtete, es verloren zu haben, ließ er seinen Kopf nach allen Seiten kreisen. Zum Glück lag es zu seinen Füßen. Er hob es auf und wischte vorsichtig den Sand von dem braunen Einband.
  „Aber hier steht doch alles drin!“
  Der Drachen seufzte abermals. „Ja, da steht alles drin. Geschichte für Geschichte, Abenteuer für Abenteuer, alles von A bis Z. Doch wenn es gelesen wird, dann nur im Geheimen. Am schlimmsten ergeht es jedoch jenen, die neue alte Geschichten aufschreiben wollen. Man packt sie und wirft sie in dunkle Verliese und die tiefsten Kerker.“

„Oh mein Herr, für den alle Ritter streiten: Ist denn die ganze Welt reich an Heiden?“, rief Roebruk da erbost aus. Er ballte die Linke zur Faust und umklammerte mit der Rechten seines Vatervaters Schwert. „Was ist zu tun?“

„Lass uns zusammen für unsere Welt einstehen!“
  Nun schaute Roebruk den Drachen mit großen Augen an. Das schien zu abwegig zu sein. Doch der mächtige Lindwurm beugte sich zu ihm hinab, bis ihre Gesichter nur noch zwei Handbreit von einander entfernt waren.
  „Verwerfe das nicht vorschnell! Erinnre dich, mein Freund. All das ist schon einmal geschehen und es kann sich wiederholen. Denk an das Haus!“
  „Welches Haus?“, fragte Roebruk.
  Der Drachen lächelte. „Natürlich. Nun gut, für dich: Denk an die Burg!“
  Die Bilder kamen zurück.



Das Röcheln des Kobolds, den Roebruk gerade erlegt hatte, ließ er hinter sich. Er zählte gern mit. Es war der achte, seit er in die Burg eingedrungen war. Und es war bestimmt nicht der Letzte. Schwarzes Koboldblut troff von seiner Klinge. Zwei weitere Wächter, die nur ungelenk mit ihren Piken umgehen konnten, kam auf ihn zu...

Neun. Zehn.

Hastig blickte er sich um. Der nur schwach von wenigen Laternen erleuchtete Thronsaal war leer, abgesehen von den toten Kobolden. Andere dieser unseligen Gesellen zerrten zwar von Außen an der mächtigen Tür, doch Roebruk hatte den starken Eichenriegel vorgeschoben. Aber wie kam er nun auf den Turm?
  Da fiel im endlich das leichte Schimmern an einer Stelle der Seitenmauer auf. Ein Geheimgang! Mit aller Kraft warf er sich gegen die Mauer. Ein Schmerz wie ein Hammerschlag fuhr durch seinen Körper, aber die Tür zerbarst unter seinem ungestümen Vorpreschen. Eine von Fackeln beschienene steile Treppe kam zum Vorschein. Das war der Weg zu dem Turm, auf dem der dunkle Magier und die böse Hexe sie gefangen hielten.
  Mit einem lauten Schrei kam der nächste Kobold die Treppe hinunter und auf ihn zu. Er war größer als die anderen und trug eine Rüstung von Eisen. Es war ein Koboldhäuptling, keine Frage.

Elf.

Eine alte Eule flog da Roebruk um die Ohren und feierte mit ihrem Geschrei des Ritters Sieg. Woher der Vogel gekommen war, vermochte der er nicht zu sagen. Jedoch gab es auch Wichtigeres zu tun. Er musste sich beeilen.
  Immer zwei Stufen auf einmal nehmend hastete Roebruk die Treppe hinauf. Auf einem Absatz stand ein Koboldmann und noch ein Koboldmann, beide mit einem mächtigen Schnauzbart. Sie schmähten den Ritter mit Worten, waren aber keine besonders begabten Kämpfer.

Zwölf. Dreizehn.

Doch all das Koboldschlachten war umsonst. Zu spät würde Roebruk die Spitze des Turms erreichen.

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (16.01.14)
Alte Feinde, Drache und Ritter versöhnen sich. Ein schöner Gedanke, warmherzig erzählt.

 Mehrmeerland meinte dazu am 16.01.14:
Ja, seltsame und gegensätzliche Paare sind in Geschichten aller Art schon immer ein Hit gewesen.
Hab Dank für das "warmherzig erzählt."
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