Ich blicke vom Bildschirm auf und spüre Erleichterung. Die Bilder der Erinnerung lösen sich auf. Die Bäume und Büsche vor meinen Augen ruhen weiterhin reglos in sich. Sie handeln nicht, sind ganz Hingabe, empfangend. Dankbar nehmen sie den nährenden Regen, dankbar auch den Wind, der ihr totes Holz bricht. Kein Widerstand geht von ihnen aus. Angepasst bleiben sie in ihrer Umgebung, auch wenn Holzfäller oder Feuer nahen. Sie erdulden es, vom Schicksal dazu bestimmt, ihren einmal eingenommenen Platz nicht verlassen oder verändern zu können. Sie können nur sich selbst ändern, langsam im Wachsen und Schwingen im Winde.
Ganz auf die Sonne ausgerichtet strecken sie sich ihr entgegen, bieten sich ihr dar und empfangen Licht mit den Blättern, die sie ihr wie geöffnete Hände entgegenstrecken. Sie sind Teil einer Ordnung, die sie nur gut heißen können. Anpassen, mitschwingen und harmonieren.
Hier bin ich Teil einer Ordnung, die mich nicht bedroht, so lange ich mich an ihre Gesetze halte. Diese sind einfach und nachvollziehbar. Jedes Wesen will nach seiner Fassung leben. Aggressionen sind an den Erwerb der Nahrungsaufnahme gebunden. Jeder darf sich verteidigen. Jeder handelt innerhalb eines vorgegebenen Rahmens, was jedes Handeln bis zu einem bestimmten Grad berechenbar macht. Keines der Tiere, die ich kenne, misshandelt seine Nachkommen. Alle tragen sie die größte Sorge darum. Nur der Mensch ist zu solch abartigen Handlungen fähig. Nur der Mensch kann derart aus seiner eigenen Ordnung fallen. Ihm ist ein freier Wille gegeben, heißt es, doch entspricht dies der Realität?
Da ich nicht Teil in der Nahrungskette des Waldes bin, habe ich nichts zu befürchten, so lange ich lebe und mich an die Gesetze des Waldes halte. Nach meinem Tode werden sich die Kleinlebewesen über meinen Körper hermachen und das ist gut so….Fliegenmaden, Vögel oder auch Mäuse mögen an mir nagen, bis mein Fleisch zerfällt, Körpersäfte sickern in den Boden, der mich vordem nährte und geben ihm Energie zurück, die Mikroben umwandeln, damit Pflanzen daraus Nutzen ziehen. Später werden im besten Falle Blumen aus mir wachsen und lächelnd ihre Herzen der Sonne zuwenden. …
Das Hellerwerden des Tages gestaltet sich zäh. Es ist schon nach acht und die Landschaft wie mit einem grauen Schleier bedeckt. Die ferne Straße liegt völlig still. Irgendwo bellt ein Hund. Merkwürdig, denke ich, immer bellt in großer Stille irgendwo ein Hund.
Eine der Errungenschaften der französischen Revolution wirkt bis heute nach. Das einfache Volk darf auf die Jagd gehen. Jeder darf hier seinen Jagdschein machen. Die alten Weinbauern haben ihren Waffenschrank, in dem hinter Glas stolz ihre Gewehre ausgestellt werden. Doch obwohl heute am Mittwoch Jagd ist, höre ich keine Geländewagen mit Hunden. Scheinbar wird weniger gejagt, als die Jahre vorher. Sogar den Jägern fehlt es an Nachwuchs, dabei ist die Jagd noch einer der letzten Betätigungsbereiche der Männer, wo es gilt, Mut, Umsicht und Stärke zu beweisen.
Ein Insekt regt sich genau über mir im Dach. Es sirrt und schwirrt, macht auf sich aufmerksam und will seinem selbst gewählten Gefängnis entkommen. Mein Feuer ist inzwischen runtergebrannt. Ich wickele eine dicke Süßkartoffel zwei Mal in Aluminiumfolie und lege sie in die Glut.
Früher konnte man die Autos auf der Straße hinter den Weinfeldern fahren sehen, doch mit den Jahren ist alles zugewachsen und schob eine dichte Hecke vor meinen Ausblick. Die Hütte ist nun auch im Winter nicht mehr von der Straße aus sichtbar. Bäume und Büsche haben jede Aussicht, aber auch jede Einsicht verschlossen. Das eine scheint nicht ohne das andere zu existieren. Nur wer Ausschau hält, kann zur Einsicht kommen. Nur wer seinen Blick über den Tellerrand, über seine Begrenzungen hinaus erhebt, kann sich und seine Problematik von anderer Seite betrachten, unter anderen Blickwinkeln. Betrachte ich mich mit den Augen anderer, so sehe ich mich verändert. Dies kann helfen, mich besser zu verstehen, mich sowie meine Situation. Es kann helfen Fragen zu stellen und in Frage stellen. Verhältnisse in Frage stellen, von denen man schon lange ahnte, dass sie so nicht stimmen können, da sie so nicht in Ordnung sein können, aus einer Ordnung gefallen, die man nicht kennt, die irgendwo hinter dem Bekannten liegen muss.
Es gab diese tiefe Ahnung von Harmonie in mir, woraus die Sehnsucht nach Liebe ihre Nahrung bezog. Sich auf die Suche zu begeben, um Möglichkeiten zu entdecken, wenigstens im Traum, solange anderes nicht möglich ist. Innerlich lebendig bleiben und wach.
Das fahle Licht, das jetzt in meine Küche fällt, reicht aus um die Wäsche zu waschen. Ich mische heißes und kaltes Wasser in der Schüssel, lege zuerst die helleren Wäschestücke hinein und beginne sie mit Kernseife einzureiben. Ein Stück nach dem anderen wird gereinigt und in den Eimer gelegt. Dann nehme ich alles mit hinunter zum Fluss, tauche es nacheinander ins kalte Wasser und schwenke es aus. Die gelöste Seife fließt in weißen Schwaden mit dem Wasser davon. Alles entschwindet, zieht in die Welt und bleibt doch auf immer Teil von ihr.
Hemden, T-Shirts und Leggins hänge ich eines neben das andere auf die Leine und betrachte anschließend zufrieden mein Werk.