Teil 15

Roman

von  AnastasiaCeléste

Cat saß an ihrem Fenster und beobachtete das Treiben am Ende der Straße. Sie sah nicht viel. Die Entfernung war zu groß, so dass sie die Wange an das Kühle Glas legte, um wenigstens den Blickwinkel zu vergrößern.
Dunkle Gestalten, machten sich über die gesamte Straßenbreite zu schaffen. Sie zogen eine Art Straßensperre hoch. Und die äußeren Wohnungen der angrenzenden Häuser schienen als eine Art Wachturm zu dienen. Die Fenster waren beleuchtet und ihn ihnen konnte sie schemenhaft Männer erkennen, die große Waffen bei sich trugen.
Sie war beunruhigt, nicht zuletzt weil sie von Ave wusste, dass dies nicht die einzige Sperre dieser Art in der Stadt war. Überall in einem gewissen Umkreis um das Innocent herum, wurde mit diesen Sperren ein Teil der Stadt förmlich abgeriegelt. Doch es machte wohl nichts den Anschein, dass Menschen die entweder in diesen Kreis hinein oder aus ihm heraus wollten, an ihrem Vorhaben gehindert wurden – noch nicht.
Cat wusste, dass Ave in den letzten Wochen alles versucht hatte, um etwas über diese Chips herauszubekommen, ohne Erfolg. Aber er hatte erzählt, dass Corvin Andeutungen machte. Es würde eine Frage der Zeit sein, bis er seinen besten Mann in die Pläne einweihte.
Die Stimmung war seit dem Tag in Aves Zimmer angespannt. Es lag etwas in der Luft, seit sie den Brüdern von diesem Chip erzählt hatte. Besonders Ave verhielt sich seitdem sehr abwesend. Nicht, dass er sonderlich viel mit ihr sprach, aber es war seit diesem besagten Gespräch besser geworden. Es schien, als würde ihm nicht nur die unbekannte Zukunft sorgen. Vielmehr war ihr, als würde er mit sich ringen.
Asher ließ ihn weitestgehend in Ruhe. Doch auch er war in Aufruhr. Auffällig oft  klopfte er in den letzten Tagen an ihre Tür, um sich an ihr Fenster zu schleichen, welches das einzige war, dass die Sicht auf diese bedrohliche Baustelle frei gab.
Auch an diesem Tag stand Asher an ihrem Fenster. Die deutlichen Falten auf seiner Stirn, sahen ihm gar nicht ähnlich. Als er sich von dem Ende der Straße löste, traf ihn Cats erwartungsvoller Blick. Sofort entspannten sich seine Züge und seine hellblauen Augen gewannen ihr vertrautes Strahlen zurück. „Bevor wir noch in Depressionen verfallen – Hast du Lust mir heute Abend Gesellschaft zu leisten? Ich wollt mir ein, zwei Filme anschauen.“ Cat wusste nicht, ob sie es sich nur einbildete, aber ihr war, als würde Asher förmlich eine positive Antwort von ihr herbeisehnen.
Seine Sammlung an Filmen aller Genre, war ihr schon mehrmals aufgefallen. Cat freute sich über diese Geste und nahm die Einladung gerne an. Der jüngere Bruder wusste immer, wie man die Stimmung heben konnte und so erwischte sie sich nach dem Abendessen dabei, wie sie vor ihrem Spiegel stand und ihre Haare in Form brachte, mit einem dunklen Kajal ihre Augen nachzog und nach einer passenden Lipglossfarbe suchte, in der halben Kosmetikabteilung, die Asher ihr zusammen mit einer Unmenge an Klamotten besorgt hatte. Sie musste Lächeln als sie daran dachte, wie er bepackt mit tausend Tüten in ihr Zimmer gestiefelt kam und schüchtern so etwas stammelte wie: „Ich weiß nicht, ob dir das gefällt. Ich hoffe ich habe deinen Geschmack halbwegs getroffen, ich kenn mich da nicht so aus!“ Als sie dann die Sachen begutachtete, war sie entzückt von seinem durchaus guten Geschmack. Er schenkte ihr damit unbewusst ein Stück neue Weiblichkeit. Sie fühlte sich wie eine normale junge Frau, wie früher, als volle Kleiderschränke noch das Leben bedeuteten. So euphorisch über diese Geste, war sie ihm um den Hals gefallen und bedankte sich vielmals.
Wieder und wieder fragte sie sich, wer dieser Mann war, der sich trotz all dieser widrigen Bedingungen, ein reines und unberührtes Herz bewahrt hatte. Nie hatte sie so etwas gekannt, außer von ihrer eigenen Mutter.
Als sie an Ashers Türrahmen klopfte, winkte er sie freundlich herein und bat ihr an, es sich ruhig auf seinem Bett bequem zu machen. Für einen kurzen Moment hielt Sie inne. Von einem Mann so freundlich auf ein Bett gebeten zu werden, mit der Gewissheit, dass er keine Hintergedanken dabei hat, war eine Erfahrung, die sie fast verstörte. Auch wenn dieser Gedanke einen traurigen Hintergrund hatte, musste sie Lächeln. Asher registrierte ihre Mimik sofort und tat es ihr nichts wissend gleich.
Kaum hatte sie sich in die vielen weichen Kissen gekuschelt, ging die schwierige Qual der Wahl los. Erstaunlicher Weise entschieden sich beide, in Anbetracht der bestimmt hundert Filme, recht schnell für eine Komödie. „Gute Wahl“, kommentierte Asher. „Schließlich ist das Leben auch schon so ein einziger Horror, voller Action und überhaupt ein riesiges Drama.“ Er grinste schief.
Nach wenigen Handgriffen lief der Vorspann des Filmes, während Asher es sich mit gebührendem Abstand selbst auf seinem Bett bequem machte.
Cat fühlte sich unglaublich wohl. Sie fühlte sich entspannt und ausgelassen und sicher neben diesem Freund. Dieses Wort hatte sich mit der Zeit leise aber sicher zurück in ihr Leben geschlichen. Nie hätte Sie geahnt, dass in ihrem Leben so schnell ein „Freund“ Platz fände, zwischen all dem Misstrauen und der Unsicherheit.
Sie lachten zusammen, kommentierten hier und da eine Szene und in diesem Moment war dies das ungetrübte Leben, welches sich alle so sehr wünschten.
Während Asher sich keinen Zentimeter von seiner Seite rührte, hatte Cat ihren Abstand ganz unbewusst mehr und mehr verringert. Als sie es bemerkte, spürte sie eine leichte Röte auf ihren Wangen, denn Sie konnte es sich erst nicht erklären, was sie so näher zog. Er war ihr ein herzensguter Freund geworden, ohne Hintergedanken. Seine Art, wie er sie ansah, erschien ihr so ehrlich und unschuldig, dass es vielleicht genau das war, was ihrem Unterbewusstsein so viel Vertrauen einflößte, dass sich eine kleine, aber hungrige Sehnsucht nach Nähe formte. Einfache Nähe, das Bedürfnis nach Wärme und Geborgenheit, in den Armen eines Menschen, der für sie da war und sie respektierte.
Sicher hatte Asher etwas bemerkt, aber er sagte nichts.
Als der Film eine gute Stunde lief, spürte Asher plötzlich eine warme Hand an seiner rechten Seite. Als er hinunter sah, schaute er in zwei große, vorsichtig prüfende Augen. Das außergewöhnliche Grau-Blau, entlockte ihm unwillkürlich ein warmes Lächeln, dass sie gewähren ließ. Noch etwas zögerlich, aber dann mit einem entspannten Seufzen, kuschelte sich Cat an seine Brust. Asher war überrascht über ihre Zutraulichkeit, obwohl er ihr Näherkommen durchaus aus dem Augenwinkel heraus beobachtet hatte. Er war schlichtweg überwältigt, vor dem Hintergrund der Umstände, dass sie sich nun an ihn schmiegte, wie ein kleines Lamm.
Langsam legte er ihr einen Arm um die Schultern und widmete sich wieder der Komödie.
Auch als der Abspann schon eine Weile lief, wagte keiner der Beiden etwas zusagen.
Cat war letztlich doch die Erste, die es wagte sich aus dieser vertrauten Position zu entfernen. „Danke“, sagte sie schüchtern.
Asher war etwas irritiert: „Du bedankst dich? Wofür?“
Cat legte ihre Hand auf seine. „Einfach so. Danke“, sie lächelte. „Du gibst mir so viel. Auch wenn du das wahrscheinlich gar nicht bemerkst. Allein mit diesem Abend, hast du mir ein großes Geschenk gemacht. Du schenkst mir Normalität und noch viel mehr.“
Asher wusste nicht so recht, was er dazu sagen sollte. Stattdessen zog er sie einfach wieder in seine Arme. Asher war der erste Mann, der dies auf eine Weise tat, die nicht alle Alarmglocken in ihr zum Klingeln brachte. Kein Überlebensinstinkt, der sich meldete. Keine Todesangst und keine gespannten Nerven, die auf Schmerz warteten. Er war einfach nur da, so wie sie. Er war da und beschützte sie ohne Gegenleistung. Ganz so, wie in einer kleinen Familie.

Als Ave ein paar Tage später zum Innocent fuhr, dauerte es nur wenige Sekunden, bis ihm die Plakate auffielen, die zahlreich und lieblos in unterschiedlichen Ausführungen an jede zweite Hauswand, jeden Zaun und jede freie Fläche geklebt worden waren.
Er fuhr langsam an eines der Plakate heran, kurbelte das Seitenfenster herunter und las den neuesten Coup seines Bosses.
„Einführung eines Sicherheitssystemes“, stand dort in Großbuchstaben, in einem auffälligem Rot.
„Alle Bewohner der Stadt und der umliegenden Region werden dazu aufgefordert, sich innerhalb der nächsten Woche im Innocent oder den Straßenposten zu melden und sich mit einem Sicherheitschip registrieren zu lassen.
Diese Maßnahme soll gewährleisten, dass die Gewalt auf den Straßen kontrolliert und das Leben in der Stadt und dem Umland sicherer wird.
Die Kriminalitätsrate zu minimieren und Straftaten aufzuklären, steht an höchster Stelle dieses Programms.
Wer sich nicht registrieren lässt, gilt als potentieller Straftäter.
Der Durchlass an den Straßenposten wird nach dem 15.8. nur noch mit einer Registrierung möglich sein!“
Ave las die Ankündigung mehrere Male, bis er letztlich an der eingefügten Unterschrift von Corvin hängen blieb.
Er hatte genau so etwas erwartet. Zwar hatte Corvin ihn noch immer nicht eingeweiht, aber er wusste, dass sein Boss sein Vorhaben für die Bewohner in einer rosa Wolke verpacken würde, die die Stadt mit Sicherheit beregnet. Kein Wort der ständigen Kontrolle jedes Menschen, kein Wort des Zwangs und vor allem kein Wort über die Funktion dieser Chips.
Erst wenn Corvin zum ersten Mal auf den Knopf drückt und die Menschen von Schmerzen gepeinigt auf die Knie gehen, werden Sie merken, wessen Sicherheit hier wirklich gewährleistet werden soll.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (30.01.14)
Im ersten Teil fängst du die Zärtlichkeit von Normalität sehr schön ein, berührend auch für unsere Welt, nahezu unglaublich für die von dir geschaffene fiktionale Welt
"zu melden und sich mit einem Sicherheitschip registrieren zu lassen.
Diese Maßnahme soll gewährleisten, dass die Gewalt auf den Straßen kontrolliert und das Leben in der Stadt und dem Umland sicherer wird."
Die erschreckende Aktualität konsequent weitergedacht. Vor der Bundestagswahl hieß Corvin noch Friedrich oder Kauder.
DocHerb (44) meinte dazu am 05.02.16:
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