Ein Teil von mir

Text zum Thema Tod

von  Nachtpoet

Als mein Vater vor mir auf dem Sofa lag, mit dem leeren, offenen Mund, als wäre hieraus sein Leben entwichen, so dass nur noch die Körperhülle übrig blieb, da erinnerte ich mich an seine harmlosen Atemaussetzer beim Schlafen auf der Couch, als wir noch am Birkenweg wohnten. Damals hatte ich Angst er sei tot und rüttelte ihn, bis ein erlösendes Schnarchgeräusch mich wieder beruhigte. Da war ich ein Kind und doch schon von ängstlicher Natur.

Der zweite Gedanke, der sich in mir aufbäumte, war, dass keiner - und sei er auch noch so einflußreich - über jemandes Leben zu bestimmen hatte! Niemals! Papa hatte sich schlichtweg kaputtmalocht, kaputtgeraucht und kaputtgesoffen. Er salutierte vor jedem Chef und ließ fast alles mit sich machen, so kam er mir jedenfalls vor. Sprach oft von Pflicht und "Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps" und dergleichen. Mir ging die Frage durch den Kopf, warum Gutmensch heute ein Schimpfwort geworden war. Mir ging so vieles durch den Kopf in diesem Moment.

Mein ganzer Körper zitterte immer noch, seit Mama mich vor der Arbeit angerufen hatte und nur eilig ins Telefon jammerte: "Bitte komm' vorbei Papa ist tot." Mein verstörtes: "Waaass?!" War schon zuviel für sie. Mein Herz bekam Extraschläge und raste. Ich stellte mir vor, dass Mama zusammengebrochen auf dem Sofa lag und weinte, aber als ich reinkam, lief sie nur aufgeregt in der Wohnung hin und her und zog genauso hecktisch an ihrer Zigarette. Sie verstand erstmal kaum eine Frage von mir, erst später ging es etwas besser.

Den Arzt anrufen, den Leichenwagen, alles musste ich erledigen. Draußen gingen Leute zur Arbeit oder zum Hundausführen und lachten. Sie lachten! Direkt am Fenster wo ich neben meinem toten Vater saß. Oder sie quasselten belangloses Zeug. Das war noch schlimmer. "Schamloses Pack" dachte ich, obwohl ich sie eigentlich um ihren Tag beneidete.

Beim Weg zu Fuß zur Apotheke lag mitten auf der Straße eine tote Taube. Nie lag sonst irgendwo eine tote Taube auf dem Weg. "Zu viel Tod heute" war mein Gedanke. Als die nette Apothekerin mir noch einen schönen Tag wünschte, wusste ich nicht ob ich lachen oder weinen sollte.

Meine nächste Erinnerung war, dass der Kripobeamte mich und Mama in den Flur lockte, damit sie Papa ohne Drama in den schwarzen Plastiksack verpacken konnten, den sie dann wie ein ausgemustertes Möbelstück durch den Flur trugen. Als Mama das sah, zuckte sie zusammen. Ich fühlte mich hilflos und wütend. Vor allem wütend! Unglaublich wütend! Diese Wut, die nicht aufgehört hat in mir zu lodern, ist heute ein Teil von mir geworden.


Anmerkung von Nachtpoet:

Todesursache: Vater war bei der Arbeit vom LKW gestürtzt und hatte sich die Hüfte geprellt. Er ignorierte den Rat der Kollegen, die ihn zum Arzt bringen wollten, blieb lieber zu Hause, lies sich nicht krankschreiben, sondern für die Zeit Urlaub abziehen und wollte am Montag - wenn es geht - wieder zur Arbeit erscheinen. Zu Hause liegend bekam er dann eine unbemerkte Lungenentzündung, die seiner schon durch Rauchen stark geschädigten Lunge den Rest gab und er am nächsten Morgen nicht mehr aufwachte.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (17.02.14)
In solchen Momenten kommt es einem fürchterlich vor, was die anderen tun. Als mein Opa gestorben ist, habe ich es in der Wohnung meiner Großeltern nicht ausgehalten und bin ziellos durch die Stadt gelaufen. Und dann hält eine Wagen neben mir und ein Typ fragt mich: "Wo gehts hier zum Puff?" Gut das Deutschland so ein restriktives Waffengesetz hat...

Aber wäre es besser, wenn jeder Anteil nehmen würde? Ist es nicht in Wahrheit hilfreich, dass man ein Stück weit mit seinen Gefühlen allein ist? Und hilft es nicht, wenn man die Welt dafür, dass sie sich weiterdreht als wäre nichts geschehen, einfach mal hassen darf?

 Nachtpoet meinte dazu am 17.02.14:
Ja dass die Anderen lustig sind, wenn sie nicht wissen wie es dir geht, das kann man ihnen ja nicht verübeln, nur das Gefühl ist halt komisch. Tja jeder trauert anders, der eine lieber alleine, der andere in Gesellschaft.

Vielen Dank dir! Ralf

 Dieter_Rotmund (09.05.20)
Bitte komm' vorbei Papa ist tot.-> Bitte komm' vorbei, Papa ist tot.

Und lass doch die Anmerkung weg, die ist doof.
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