Über Hochwasser, Schnee, Erdbeben...

Text zum Thema Natur

von  Ganna

Alles was ist, vergeht. Das bezieht sich auf sämtliches Material. Wie es uns bei Bäumen und sogar Steinen geläufig ist, so geschieht es selbstverständlich auch mit Atomkraftwerken und Leitungssystemen. Der Mensch, selber von Verfall geprägt, ist nicht in der Lage, diesen bei seinen Schöpfungen zu vermeiden. Er kann nicht schaffen, was nicht in ihm schon als Anlage vorhanden ist. So unterliegen alle seine materiellen Schöpfungen von vorn herein dem Gesetz der Wandlung.
Dass Menschen selber Schwankungen in ihren Leistungen unterworfen sind und Fehler machen, wirkt sich zusätzlich destabilisierend aus. Dazu kommt ein nicht rechtzeitig voraussehbares Verhalten der Natur, das die Grundlage für Überschwemmungen, Erdbeben und Tornados bildet.

Ich lebe in einer unsicheren Welt. Das menschliche Konstrukt einer technisierten Welt hat sich von der natürlichen Welt abgehoben und kann jederzeit zusammenbrechen. Das gehörte zu den ersten Erkenntnissen, die mir hier bewusst wurden. So lange ich in einer Stadt lebte, nahm ich meine mit Strom funktionierende Welt und das saubere Wasser aus dem Hahn als selbstverständlich hin. Hier jedoch war vieles anders.

Im Alltag sind es fast nie die großen Katastrophen, die ein ruhiges und gleichförmiges Leben unterbrechen. Meistens sind es kleine Sachen, die einen etwas aus der Bahn werfen. Und regnet es etwas mehr als üblich, fällt im Winter Schnee oder stürmt es stark, dann fällt der Strom aus und das Telefon ebenso.

Miit Beginn der Regenzeit im Herbst schwellen Bäche und Flüsse an, steigen über ihre Ufer, ergießen sich über Weinfelder, Straßen und Brücken und reißen alles mit, was lose im Wege steht, tote Bäume, Zäune, Autos, Wohnwagen und auch Menschen, wenn diese sich nicht genügend in acht nehmen. Die Menschen dieser Gegend sind daran gewöhnt, man kennt das, es kommt und es geht. Nur wer fremd ist, unterschätzt oft die Gefahr.
Vor drei Jahren erst ertrank hier im Dorf ein kleines Mädchen, gerade zwei Jahre alt. Die Eltern hatten nur einen kurzen Augenblick weggeschaut. Plötzlich war ihre kleine Tochter wie vom Erdboden verschwunden. Sie suchten in großer Angst. Die Nachbarn halfen und fanden sie schließlich ertrunken zwischen dem Treibholz. Das reißende Wasser des Flusses hatte sie einfach verschluckt und mit sich genommen.

Wenn anhaltend starker Regen Sturzbäche die Berge hinunterrinnen lässt und das Wasser im ansonsten fröhlich plätschernden Bach stündlich steigt, beobachte ich das Geschehen aufmerksam. Die Entscheidung, ob ich bleiben will und kann, muss gefällt werden, weil die Brücke, die mich mit der Straße verbindet, unter Wasser gesetzt werden kann. Wenn der Zeitpunkt der Abfahrt verpasst ist, muss ich ausharren, bis das Wasser wieder gesunken ist und das kann einige Tage dauern. Die längste ununterbrochene Regenzeit, die ich hier erlebte, hielt drei Wochen an. Das hieß, drei Wochen Aufenthalt in der kleinen Hütte ohne irgendwelche Ablenkung.

Ich muss also meine Holz- und Lebensmittelreserven überprüfen und die Wasservorräte anschauen. Die braune Brühe aus dem Hochwasser führenden Fluss ist nicht trinkbar und mit nassem Holz lässt sich schlecht Feuer machen. Auch an die Geräte und Werkzeuge im Garten muss ich denken und sie an einem höher gelegenen Ort verstauen. Zwar ist der Garten seit ich hier bin noch nie vom Fluss aus überschwemmt worden, doch das Wasser stieg schon bis an seinen Rand und mein Vorgänger auf dem Grundstück erlebte, wie das am Fluss liegende Land auch auf dieser Seite unter Wasser stand.

Wenn mich jemand fragte, was ich denn ohne Telefon mache, wenn etwas passiere, musste ich jedes Mal erklären, dass ein Telefon mich nicht retten könne, wenn es im Bedarfsfall einfach seinen Dienst aufgibt. Inzwischen fragt niemand mehr. Wenn bei Unwetter die Straßen unpassierbar sind, kann auch kein Auto bis zu mir durchkommen.
Heute haben fast alle ein Handy und Rettung erfolgt durch Hubschrauber, doch vor 10, 20 Jahren verhielt es sich noch anders. Fraglich ist allerdings, ob ein Hubschrauber rechtzeitig Hilfe leisten kann, wenn man von der Umwelt abgeschnitten auf sich allein gestellt dem Hochwasser trotzen muss, denn auch er benötigt Platz und bestimmte Bedingungen zum Landen, die es hier nicht überall gibt.

Im ersten Winter, den ich hier verbrachte, ging über Nacht so viel Schnee nieder, dass er Straßen, Plätzen und Feldern die Konturen nahm. Alles verschwand unter einer über einen Meter dicken Schneedecke. Der Strom fiel aus und Telefon ging ebenso nicht, kein Schulbus konnte die Straße finden, weder das Bäckerauto kam, noch der Postbote.
Und dann passierte gar nichts.

Es war nicht üblich und das ist bis heute so, den Schnee zu räumen. Man wartet so lange, bis er von selbst verschwindet, um dann mit dem Alltag fortzufahren. Da es nicht zuverlässig schneit im Winter, manche Jahre nicht einmal gefriert, lohnt es nicht, teure Schneeräumgeräte anzuschaffen.
Dann herrscht himmlische Stille mitten in einem grenzenlosen Weiß. Nur die im Schnee tobenden Kinder sind zu hören. Die Dorfleute schaufeln mit ihren Müllschippen kleine Pfade zu den Nachbarn, klopfen an Türen und fragen sich gegenseitig, ob alles Nötige vorrätig ist und sie helfen können. Es gibt plötzlich nichts mehr, das getan werden muss. Jede Eile erstirbt im endlosen Schnee. Jeder kehrt bei sich selber ein und Zeit gibt es ohne Ende. Das Leben macht einfach Pause und fehlendes Fernsehen und Internet geben die Köpfe frei. Menschen kommen aus ihren Häusern heraus, treffen sich auf der Straße und haben Muße, miteinander zu reden, stundenlang. Die Weisen und die Kinder freuen sich darüber.

Einmal, aber das ist schon lange her, durften wir hier sogar ein Erdbeben erleben. Mein Kind und ich schliefen während des Geschehens tief und fest. Am nächsten Tag kam es aus dem Kindergarten und erzählte vom Erdbeben. Jaja, dachte ich, da muss es irgendetwas verwechselt haben, sicherlich in China oder irgendwo. Als ich einige Tage später ins Dorf ging, zeigten mir die Bewohner die Risse in ihren Häusern. Dann erreichten mich besorgte Anfragen aus Deutschland, wie wir das Beben überstanden hätten. Es lag auf der Richterskala bei einem Wert von 5,6 und wurde in den Nachrichten bekanntgegeben. Doch wirkliche Schäden gab es zum Glück nicht.

Doch, ich liebe sie, die kleinen Unwetterkatastrophen, die meine menschlichen Fähigkeiten herausfordern und Mut, Ausdauer und Erfindungsreichtum auf die Probe stellen. Dann fühle ich mich in meiner eigenen Kraft, aufgehoben, stark und mit mir eins. Dann funktionieren die Sinne im Gleichklang mit dem Körper, kreative Einfälle verschaffen sich wie von selber Geltung, Gedanken streifen nicht unnütz hin und her, sondern sind, wie der ganze Mensch, auf die Bewältigung der anstehenden Probleme ausgerichtet.
Dies verschafft mir ein Gefühl der Stärke. Gerade dann ist Panik mir fremd, der Geist wird klar und ich sehe alles schonungslos und ohne Schnörkel, wie es ist. All das lässt mich klug und besonnen handeln und das Nötige tun in einer Situation, in welcher das Gewohnte nicht mehr selbstverständlich ist. Wenn die Witterung den gewohnten Arbeitsablauf im Garten lahm legt, entstehen nicht nur Pausen, sondern Freiräume für Fragen nach dem Sinn des Ganzen.

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Kommentare zu diesem Text


 Regina (23.03.14)
"Das menschliche Konstrukt einer technisierten Welt hat sich von der natürlichen Welt abgehoben und kann jederzeit zusammenbrechen. Das gehörte zu den ersten Erkenntnissen, die mir hier bewusst wurden."
Das ist eine Botschaft, die mir auch klar geworden ist. Extreme Abhängigkeit von der Technik finde ich beklemmend.

 Ganna meinte dazu am 23.03.14:
...extreme Abhängigkeit finde ich in jeder Hinsicht beklemmend...

LG Ganna
Gringo (60)
(10.05.14)
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