Gibt es die Sünde ohne Vergeltung?

Essay zum Thema Philosophie

von  LotharAtzert

I
Der Marburger Germanist Dr. Ekkehart Mittelberg verfasste ein Gedicht über den Philosophen Epikur, in welchem unter anderem folgende zwei Verse stehen:

"und es gibt keinen Hades,
vor dem man sich fürchten muß"

Ich bat Ekki um Auskunft, ob er denn persönlich denke, daß es keine Sühne für Verfehlungen und Verdrängungen von Ungewünschtem gäbe, für die ja der Hades zuständig sein soll, worauf er antwortete, daß er ein Gedicht geschrieben hätte über Epikur und dieser nichts zum Thema Verdrängen gesagt hätte. (Nachzulesen auf kV)
Nun ist es so, daß der Hades nach griechischer Vorstellung der Ort ist, wo die sündige Seele nach dem Tod ihre Buße für die Verfehlungen in der Lebenszeit empfängt und erst danach "Lethewasser" (Vergessen) trinkt - und damit alles Erinnern ans Gewesene verliert, um die neue Geburt an einem ihr zustehenden Ort abermals beginnen zu können.
Epikur, der dem Materialismus des Demokrit nahestand, leugnete das Sein der Götter nicht so direkt, hob es aber auch nicht hervor, da den Olympischen des Menschen Schicksal relativ gleichgültig sei, sie sich infolgedessen um Gebete und Opfer auch nicht sonderlich scherten.

- Sie scheren sich nicht, aber der geklärte oder geläuterte Anteil im Menschen läßt das unzerstörbare Prinzip des Himmels klarer erkennen. -

Bei den zwei Zeilen des Dichters gibt es zwei Möglichkeiten der Betonung, was die Bedeutung jeweils entschieden verändert.
1. Die Leugnung: Es gibt keinen Hades!
2. Die Anpassung: Es gibt zwar den Hades, doch muß niemand ihn fürchten.
Weil, wie gesagt, Epikur die Götter nicht leugnete, ist hier wohl die zweite Variante anzunehmen. Doch das wirft weitere Fragen auf. Vor allem: was ist ein Hades, den man nicht mehr fürchten muß? - Gibt es etwa die Sünde ohne Vergeltung? War Epikur, der sich wegen unerträglicher Schmerzen durch Blasensteine im Alter von 72 Jahren das Leben nahm, ein Verharmloser und somit selbst ein Verdränger des Wirkprinzips? Von Sokrates zumindest wissen wir, daß die Frage, ob einer gut gelebt hat, sich erst am Lebensende schlüssig beantworten läßt. (Ich glaube, das wurde im Gastmahl thematisiert?)
Da nun bekanntermaßen der Philosoph den durch Vernunft kalkulierend-geregelten Genuß in den Mittelpunkt seiner Lehre stellte, steht dieses Ende im Widerspruch dazu. Ein Indiz ist es allemal: Er hat die Rechnung ohne den verdrängten Wirt gemacht. Doch dem Hades wird's wurscht gewesen sein ...

II
Damit ist auch die verleugnende Betonung des Gartenfreundes klar: Genuß ohne Reue soll das Leben sein. Ein Genuß, der, weil reuelos, in der Steinbildung gipfelt und im Selbsttötungsakt den Weg konsequent endet.
Wer genießt, genießt das Leben Anderer, deren Fleisch seinen Bauch zu füllen hat. Verzehr kostet die Verzehrten das Leben. Ihnen ist doch zu gedenken, zu danken, die ihr Leben für uns gaben! Und eigene Verdienste opfere man ihrer Wohlfahrt, das ist ein Gebot mentaler Hygiene.

Da habe ich noch etwas Versöhliches von Epikur entdeckt:

»Lebe im Verborgenen! Entziehe dich den Vergewaltigungen durch die Gesellschaft - ihrer Bewunderung, wie ihrer Verurteilung. Lass ihre Irrtümer und Dummheiten und gemeinen Lügen nicht einmal in der Form von Büchern zu dir dringen.«

Ja, die Vergewaltigungsgesellschaft, die Offiziellen, da teile ich des Philosophen Ansicht gänzlich. Kein Status ist erstrebenswert, doch auch für Verweigerung sei keine Zeit. Nur, wie es bei Bodhidharma heißt, die offene Weite.
"Was ist der Sinn der heiligen Lehre" wurde jener, der als erster Zen-Patriarch in China bekannt wurde, einmal vom König gefragt.
"Nichts von heilig - bloß offene Weiten" war dessen Antwort.

Den gemeinen Lügen nicht zu verfallen ist dem Griechen nicht vollständig gelungen. Er glaubte SICH und verfiel - im Gegensatz zum Inder - dem Gedanken der Richtigkeit des Gedachten - vom kontrollierten Genuß, der die Extreme von Oben und Unten, gleich Himmel und Hölle relativierte, um die ausgleichenden Folgen am zerstörerischen Ende doch erfahren zu müssen.
Zum Zwang, zur geistigen Käfighaltung wird jeder verharmloste Hades oder Pluto.

Die Epikureer - dazu fallen mir eigentlich sofort die Blumenkinder von San Franzisco in den Sechzigern ein: gentle peopel with flowers in ther hair ... bis der Skorpion kam, und die kommerzielle Industrie, wie hieß der doch ... Charles Manson oder so ... da war Schluß mit flowerpower ... immer ans Ende denken, der gute Sokrates, so scheint mir, war nicht eben dumm ...


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Kommentare zu diesem Text

BabetteDalüge (67)
(15.04.14)
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Graeculus (69) meinte dazu am 15.04.14:
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 LotharAtzert antwortete darauf am 15.04.14:
Liebe Babette, wo ich manchmal recht umständlich bin, hast Du die Gabe, kurz und prägnant den Nagel auf den Kopf zu treffen.
Hier auf kV ist man wohl ... wie heißt das Wort ... KONSTER-NIERT, da ich am Meister Kritik übte. Dh. eigentlich nicht einmal Kritik - nur ein vorsichtiges Anfragen ... jungejunge ...

Egal, die meisten großen Entwürfe scheitern an den Mittelmäßigen, die dann, wenn sich was durchsetzt, behaupten, das wäre ihr Werk.
Beispiel Zwölftonmusik: Wer kennt noch ihren Schöpfer Josef Matthias Hauer? Den Arnold Schönberg kennen's alle. Doch leider fehlt dem der Spirit ...

"Da bist du in die Arme mir gesprungen - nun hab ich dich und halte dich umschlungen" ist Mephistos Schlußwort in Lenaus Faust. Der Mephisto ist natürlich auch ein Hades, ein Unsichtbarer aus dem Schattenreich, dem Orkus.
Gruß
Lothar

 LotharAtzert schrieb daraufhin am 15.04.14:
@ Graeculus: Du musst nicht ausfallend werden. Wenn Du etwas nicht verstehst, kannst Du es genauso machen, wie ich bei Ekkehart: nachfragen! Bei mir, bei Babette, wo immer. Oder ist das unter Deiner Professorenwürde?
(Wäre schlimm, wenn's so wäre!)
Gruß (ja kann man auch machen)
Lothar
BabetteDalüge (67) äußerte darauf am 16.04.14:
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